Wenn ich heute vor meinem PC sitze, dann ist es für mich ganz normal, dass mich Musik begleitet. Und zwar nicht irgendwelche Musik, sondern genau die, die ich mir ausgesucht habe.
Etwa, indem ich sie mir aus dem Internet streamen lasse. Oder vielleicht, weil ich sie als MP3-Datei gekauft habe. Und es kommt kein Spiel mehr ohne einen eigens komponierten Soundtrack aus, der es in vielen Fällen durchaus mit den symphonischen Klängen eines Kinofilms aufnehmen kann. Dafür, dass ich das alles hören kann, sorgen meine treuen 2.1-Lautsprecherboxen und meine USB-Soundkarte. Ganz einfach, technisch aufzurüsten, wenn ich irgendwann einmal mit dem Klang nicht mehr zufrieden sein sollte. Überhaupt kein Problem.
Als ich 1985 meine ersten Erfahrungen mit Musik aus dem Computer machte, da war es eine ganz andere Welt. Mein Schneider CPC 464 hatte einen eingebauten Soundchip, der es zwar nominell auf 3-Kanal-Stereoton brachte, von dem man wegen der nicht sonderlich guten Lautsprecher nicht ganz so viel hörte. Austausch der Komponenten? Nicht möglich!
Gerüchteweise hatte ich damals davon gehört, dass man mit einer Kabellösung den CPC an eine Stereoanlage anschließen könne. Nur kannte ich niemanden, der so etwas schon mal gemacht hätte und ich hätte auch gar keine Stereoanlage besessen, um es auszuprobieren. 1985 war mir nämlich Musik noch größtenteils egal – wenn man davon absieht, dass ich natürlich die klassischen Phasen der verschiedenen Kinderlieder durchlaufen hatte.
Und so kam es dazu, dass die Musik aus diesem dunkelgrauen Dudelkasten in einigen Fällen zu besonders prägenden Erinnerungen für mich geworden ist. Erinnerungen, die sich heute zum Glück nicht mehr mit akustischen Beispielen belegen lassen…
Singend durch den Dschungel
Die 1980er Jahre waren das große Zeitalter des Actionfilms. An allen Ecken und Enden explodierte etwas, wurden Schnellfeuergewehre abgefeuert oder Panzer zu Schritt gefahren. Es war die Zeit der Stallones und Schwarzeneggers und ihrer großen, ikonischen Filmrollen. Eine der größten Ikonen aus dieser Zeit ist sicherlich John Rambo, eine von Sylvester Stallones Paraderollen. In (zunächst) drei Filmen machte er eine Wandlung durch vom Vietnamveteranen, der einfach nur seine Ruhe haben wollte, hin zur martialischen Kampfmaschine, der auch ein direkter Treffer mit einer Panzerfaust wahrscheinlich nicht einmal einen Kratzer verursacht hätte.
Es war kein Wunder, dass sich die Hersteller von Computerspielen nur zu gerne an diese Welle hängten. Und so kam es dazu, dass eine Menge Spiele erschienen, in denen es genauso wie in den Filmen darum ging, die gestellten Gefahren zu überleben. Und sah man sich auch einer Übermacht von 1:10.000 gegenüber, Hauptsache das Stirnband verrutschte nicht.
Die 1980er Jahre waren das große Zeitalter des Actionfilms. An allen Ecken und Enden explodierte etwas.
Michael Behr
Eines der aus meiner Sicht besten Spiele dieser Gattung war Ikari Warriors von Elite Systems. Das Spielprinzip ist simpel: Laufe von unten nach oben, zerstöre Gebäude, töte Soldaten und passe auf, dass du selbst nicht getötet wirst.
Das Spiel zählt auf dem Schneider zu den schwierigsten Herausforderungen, an die ich mich erinnern kann. Man bekommt eine Handvoll Leben und muss mit diesen gefühlte Kilometer zurücklegen, bis man irgendwann am Ziel ankommt. Ohne einen Cheat, der mir unendliche Leben bescherte, hätte ich dieses Ziel nie zu sehen bekommen.
Ich lud mir Ikari Warriors oft in den Speicher meines Computers. Die Grafik war gut anzusehen, mit dem Cheat war man ungefähr eine Stunde lang nett beschäftigt und es passierte trotzdem noch genug, um keine Langeweile aufkommen zu lassen.
Manchmal lud ich das Spiel jedoch nur, um dann im Titelbildschirm zu bleiben. Diese Titelbildschirme sind für den Schneider ziemlich typisch gewesen. Sie wurden oft während des Ladevorgangs als Überbrückung gezeigt und verschwanden dann, sobald das Spiel fertig im Speicher war.
Bei Ikari Warriors war das anders. Nachdem das Programm geladen war, setzte eine Melodie ein. Eine Melodie, die ich auch nach all diesen Jahren immer noch auswendig kenne: Leises Trommeln, bald überlagert von einem dunklen, depressiven und tiefen Melodieverlauf, der eine Weile vor sich hin spielt, um dann plötzlich von einer fröhlichen und in hohen Tönen schwelgenden Melodie abgelöst zu werden.
EIN MULTI-I/O-CHIP IM SCHNEIDER
Der Soundchip des Schneider CPC, ein AY-3-8912 von General Instrument, fand ebenfalls im ersten Gameboy und im Atari ST Verwendung. Auch wurde er bei Arcade-Spielen eingesetzt. Beispiele hierfür sind Moon Patrol, TRON oder Burger Time.
Viele Musikstücke auf dem Schneider waren eher kurz, zumal im Titelscreen eines Spiels. Die meisten Programmierer wussten nicht, was sie vernünftiges mit dem Soundchip des CPC anstellen sollten und die, die es wussten, wurden allzu oft vor die Tatsache gestellt, dass der Arbeitsspeicher des Rechners mit seinen 64 Kilobyte nicht eben reich bemessen war.
Da war es eine absolute Besonderheit, dass die Melodie von Ikari Warriors nicht nur recht lang war, sie wiederholte sich auch nicht einfach, sondern wurde mit Variationen weitergeführt, bis sie irgendwann zu einem eindeutigen Ende gelangte. Es handelte sich tatsächlich um ein Soundtrackstück. Vielleicht sogar um ein Lied!?
Ein Lied! Ich weiß nicht, welche Synapsen in meinem Kopf an dieser Stelle (fehl-)schalteten, aber ehe ich es mich versah, hatte ich ein Fragment eines Liedtextes im Kopf, der sich auf die Melodie singen ließ. Und auch dieses Fragment, dem später noch einige andere folgen sollten, habe ich noch genau in meinem Kopf. Ich könnte mich jetzt sofort hinstellen und es singen. Ich werde es nicht tun. Es wäre mir peinlich.
Aber damals spürte ich, dass das Spiel auf eine mir nicht ganz einleuchtende Weise eine neue Dimension hinzu gewann. Durch meine kreative Leistung, so kindisch und im Nachhinein peinlich sie auch immer sein mag, hatte ich aus einem ganz normalen Spiel etwas gemacht, das nun zu einem Stück weit auch mir gehörte.
Ich habe den Text des Liedes nie aufgeschrieben. Ich glaube, ich habe es nie jemandem vorgesungen. Es existieren keine Aufnahmen davon. Und dennoch ist es immer bei mir, wenn ich mich an dieses Spiel erinnere. Nachfragen sind übrigens zwecklos, es sei denn, ihr bietet mir einen anständigen Preis an, um über meine Selbsterniedrigung hinweg zu sehen…
Verschärfte Ohrenfolter
Aber Ikari Warriors war nicht das einzige Spiel, das mich zu kompositorischen Leistungen trieb. Ein anderes, ungleich einfacher gestricktes und doch, so behaupte ich mal, wesentlich einflussreicheres Spiel, wurde ebenfalls melodisch von mir bedacht.
Retrospielern etwas über Manic Miner zu erzählen wäre wahrscheinlich so, als ob man dem Papst etwas über Katholiken erzählt. Der eifrige Schatzsucher Willy, der in einer ganzen Reihe von gefährlichen Höhlen seinen Reichtum gegen den Willen der seltsamen Bewohner zusammenklauben muss, ist auf so ziemlich jedem Computersystem erschienen, angefangen bei A wie Acorn BBC und aufgehört bei Z wie ZX Spectrum. Auch für mich war Manic Miner eines der ersten Spiele, die ich kennenlernen durfte.

Aber ich lernte es nicht nur kennen, ich verbiss mich regelrecht hinein. Immer wieder versuchte ich, mit den wenigen Leben, die man zur Verfügung hat, bis in die letzte Höhle zu kommen und das Spiel zu gewinnen. Das Spiel war einfach gut, auch wenn es optisch nicht viel hergab.
Der Schwierigkeitsgrad hatte die richtige Verlaufkurve, stieg aber im Lauf des Spiels knackig an. So hätte eigentlich alles gut sein können, wenn nicht…
Sprechen wir es aus, wie es ist: Auf dem CPC war die Musik dieses Spiels eine mittlere Katastrophe. Im Titelscreen wurde ein Irgendwas gespielt, das in mehreren Oktaven gleichzeitig den Soundchip quälte und im Spiel selbst gab es dann eine kurze Melodie mit handgezählten 24 Tönen, die immer und immer wiederholt wurde. Absolut nervtötend, so dass ich immer auf dem schnellsten Weg versuchte, diesen beiden Bedrohungen für das kindliche Trommelfell zu entgehen.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste war, dass ich das Trommelfell Unbeteiligter noch viel schlimmer malträtieren würde, als das Spiel mein eigenes gequält hatte.
Irgendwann in meiner Kindheit fanden meine Eltern und ich, es sei eine gute Idee, wenn ich auf eine Musikschule gehen würde. Ich weiß bis heute nicht, was mich da hingetrieben hat oder was ich da sollte, denn ich zeichnete mich (leider) schon in jungen Jahren durch eine ausgesprochene Unmusikalität aus. Dennoch wurde nichts unversucht gelassen und mir sogar eine für damalige Verhältnisse ziemlich gute Bontempi-Orgel zur Verfügung gestellt. Da hätte ich nun Dinge wie den Schneewalzer oder altdeutsches Liedgut üben können. Aber wieder machte mir meine kreative Ader einen Strich durch die Rechnung.
Manic Miner übte einen gewaltigen Reiz und Einfluss auf mich aus. Es war ein Spiel, das mich weit über das eigentliche Spielerlebnis fesselte. Und weil ich bei anderen Spielen durchaus gute Musikstücke gehört hatte – gut für die damaligen Verhältnisse – sah ich es nicht ein, dass dieses Hitspiel mit so einem schlechten Sound leben musste.
Etwas Besseres musste her, eine neue Melodie, ein ganz neuer Sound, am besten auch mit einem packenden Text!
Und so kam es dann, dass ich irgendwann, an irgendeinem Wochenendtag, meinen Vater aus dem Bett schmiss, damit er mir doch bitte die Bontempi-Orgel reiche, die wegen des benötigten Platzes auf dem Schlafzimmerschrank meiner Eltern stand. Nett wie mein Vater war, tat er das auch und legte sich dann wieder hin. Weniger nett, wie ich war, verbrachte ich das Instrument in die Küche, verkabelte es, legte mir einen Kochlöffel (!) dazu und schaltete ein.
Was folgte war Ohrenfolter der schlimmsten Sorte und ist mir noch viel peinlicher als alles andere, was ich je in Bezug auf Computerspiele getan habe. Ich drückte mit meiner ganzen nicht vorhandenen Musikalität auf die Tasten der Orgel und fabrizierte mit der zweiten Hand so etwas wie einen „Rhythmus“ mit dem Kochlöffel, den ich auf den Küchentisch hämmerte. Dazu sang ich ein „Lied“, das quasi in dem Moment entstand, in dem ich es sang. Und ja, auch hier kenne ich noch den Anfang und weiß sogar noch, welche Töne ich ungefähr auf der Orgel erzeugt habe.
Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, bis meine beiden Eltern in der Küche standen, die zweifellos geglaubt haben mussten, dass jemand dabei war, mir den Kopf abzureißen, dass das Haus zusammenstürzte, oder dass all dies gleichzeitig passierte.
Nachdem sie sich von meiner Unversehrtheit überzeugt hatten, wurde die Orgel weggeräumt und nie wieder über den Schneewalzer gesprochen. Mir war das ganz recht so, denn ich hatte damals schon gemerkt, dass ich mich vielleicht lieber auf das Schreiben von Texten verlassen sollte, als auf deren Interpretation. Ein großer Musiker würde jedenfalls nie aus mir werden, das stand fest.
Und heute?
Alle Jahre wieder überkommt mich der Wunsch, mich doch noch einmal mit dem Thema Musik auseinander zu setzen. Dann installiere ich mir ein entsprechendes Programm oder kaufe mir, wie vor zwei Jahren geschehen, ein einigermaßen annehmbares Keyboard. Aber zum Glück meines Umfelds verliere ich schon nach kurzer Zeit wieder das Interesse daran – spätestens dann, wenn mir die beiden gerade geschilderten Episoden wieder ins Gedächtnis kommen.
Die Untermalung von Spielen jedenfalls überlasse ich heute den Profis und ich habe auch längst meinen Frieden mit „Musik“ wie der von Manic Miner gemacht. Heute höre ich mir entsprechende Melodien an und schwelge in einer Nostalgie, die diese Musikstücke kaum verdient haben, aber doch regelmäßig hervorrufen.
Und wenn ich dann daran denke, wie ich dereinst mit Kochlöffel und Bontempi, mit Inbrunst und kindlicher Energie versucht habe, zwei Spiele-Klassikern ein angemessenes musikalisches Mäntelchen umzuhängen, dann besiegt ein wohlwollendes Schmunzeln die Peinlichkeit.
Ansonsten hätte ich diese Geschichte wohl nicht erzählen können.
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