Schlagbaum hoch: Aufschwung Ost!

Von Thilo Niewöhner am
Kommentiert von: Thilo Niewöhner, ferdi, Stephan, Thilo Niewoehner, André Eymann
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Aufschwung Ost reiht sich für mich ein in eine Serie von interessanten und komplexen Aufbau- oder Wirtschaftssimulationen. Für mich war es das vierte oder fünfte Spiel, das ich intensiv gespielt habe, nachdem mich Titel wie SimCity, Civilization und Railroad Tycoon geprägt hatten. Vorab sei gesagt, dass mich das Drumherum wesentlich stärker fasziniert als das Spiel selber. Deshalb auch die ausführliche Einleitung.

Es begann in den 1980ern

Hey, Deutsche Einheit! Was könnte cooler sein, als DAS Ereignis, das den Übergang von den 1980ern zu den 1990ern markiert?

Meine Kindheit begann in nennenswertem Umfang erst Mitte der 1980er. Damals war Deutschland noch geteilt, ein unüberwindlicher Zaun teilte das Land von der Ostseeküste im Norden bis hinunter ins heutige (großzügig interpretiert) Vierländereck Hessen-Thüringen-Bayern-Tschechien im Süden (Tschechien war damals noch Teil der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik oder ČSSR). Wir lebten in der Nähe von Kassel, nahe am sogenannten “Zonenrandgebiet”.

“Zone” – So nannten wir damals alles, was jenseits des Zaunes lag und sich bis zur Sowjetunion erstreckte. Auf den Schulkarten oft genug nur grau schraffierte Ungewissheit, sagenumwobenes Fremdland und die Menschen und Staaten, die uns nebulös als “böse Kommunisten” vorgestellt wurden.

Walter Ulbricht, bis 1971 Vorsitzender des Staatsrates der DDR. (Bild: Sunflowers)
Walter Ulbricht, bis 1971 Vorsitzender des Staatsrates der DDR. (Bild: Sunflowers)
Erich Honecker, bis 1989 Generalsekretär des Zentralkomitees der SED. (Bild: Sunflowers)
Erich Honecker, bis 1989 Generalsekretär des Zentralkomitees der SED. (Bild: Sunflowers)
Räumung von Wohnhäusern an der Berliner Mauer unter den wachsamen Augen der DDR-Grenzer. (Bild: Sunflowers)
Räumung von Wohnhäusern an der Berliner Mauer unter den wachsamen Augen der DDR-Grenzer. (Bild: Sunflowers)

An den Wochenenden fuhr man schon mal ins Grenzgebiet rund um den Meißner zum “Grenze gucken”. Rückblickend reichlich zynisch, damals aber unfreiwillige Realität und die einzige Chance für greifbare Eindrücke vom “Drüben”.

Allerdings war ich in der privilegierten Position, schon vor der Wende “den Osten” zu sehen. Ich erinnere mich unter anderem an eine Reise nach Leipzig mit meinem Vater, der 1985 geschäftliche Besprechungen dort hatte, und an das Hotel Merkur, in dem im Aufzug für die ersten fünf Stockwerke keine Tasten da waren. “Da sitzt ‘Horch&Guck’, die Stasi”, erklärte mein Vater mir damals. Verstanden habe ich das erst viel später. Viel prägender war für mich der Eindruck maroder Infrastruktur, schlechter Straßen, schiefer Bahngleise und allgegenwärtigen Braunkohlerauches.

Es ist der 9.November 1989. (Bild: Sunflowers)
Es ist der 9.November 1989. (Bild: Sunflowers)

Dann kam 1989

1989 war Einiges im Gange, verbunden mit Ungewissheit und dem vagen Gefühl der Veränderung. Davon habe ich als 11-Jähriger natürlich nicht wirklich etwas wahrgenommen. Dafür was das alles zu unscharf und irreal.

Außerdem hatte ich sicher anderes im Kopf.

Als im November dann die Grenze geöffnet wurde, hieß das vor allem eines: Raus in den unwirtlichen nordhessischen Winter und schauen, wo sich denn die Lücken auftun würden. Bei uns in der Nähe von Wanfried, inoffizieller und nun bald offener Grenzübergang mitten im Wald jenseits von Eschwege. Etliche Menschen auf beiden Seiten warteten auf das, was kommen mochte. Grenzer beider Seiten beäugten sich argwöhnisch, bis per Feldtelefon die Order kam:

Dr. Helmut Kohl bei der Öffnung eines Grenzabschnittes. (Bild: Sunflowers)
Dr. Helmut Kohl bei der Öffnung eines Grenzabschnittes. (Bild: Sunflowers)

“Schlagbaum hoch!”

Die Grenzer schauten sich noch eine Weile unsicher an, dann ein zögerlicher Handschlag. Die Anderen waren da wesentlich euphorischer bei der Sache. Eine irgendwie unwirkliche, surreale Situation. Besonders aufregend muss das für die Familien gewesen sein, die seinerzeit durch die deutsch-deutsche Grenze von ihren Nachbarn getrennt oder sogar geteilt wurden, wie bei uns in der Region z. B. zwischen Bad Sooden-Allendorf im Westen und Sickenberg oder Wahlhausen im Osten. Und natürlich ähnliche Begebenheiten in Berlin, das für uns aber ganz weit weg war.

Die Grenze war offen, fast 45 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 28 Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer.

Einfach so.

Brandenburger Tor - Die Berliner Mauer fällt. (Bild: Sunflowers)
Brandenburger Tor – Die Berliner Mauer fällt. (Bild: Sunflowers)

Der Osten. Unendliche Weiten.

Nicht ganz. Wohl aber ein bisher Unbekanntes Land, das es zu erforschen und zu erleben galt.

An vieles aus diesen Tagen habe ich keine echte eigene Erinnerung. Vielmehr blieb das, was ich mir im Nachhinein konstruiert und von anderen, älteren Zeitzeugen erfahren habe.
Wohl erinnere ich mich aber an die Zeit nach der Grenzöffnung und der lang ersehnten Wiedervereinigung. Unsere Ausfahrten nach Thüringen und Sachsen. (Weiter sind wir seinerzeit nicht gleich vorgedrungen)

An seltsam vertraute und doch fremdartige Städte mit ihrer unverkennbaren Melange aus braunkohlerauchgeschwängerter Luft und Dunstwolken des guten “33er Minol”, und reichlich sanierungsbedürftigen Straßen und Häusern. Jena, Erfurt, Eisenach, Leipzig, Dresden – und vor allem großartige, gastfreundliche Menschen, die wir allerorten kennenlernen durften.

Checkpoint der US Army an der Friedrichstraße zwischen West- und Ostberlin. (Bild: Sunflowers)
Checkpoint der US Army an der Friedrichstraße zwischen West- und Ostberlin. (Bild: Sunflowers)

Überall, wo in jenen Tagen eine Kerze im Fenster stand, durfte man klingeln oder klopfen, und mit den Bewohnern den hausgemachten Kuchen nebst Kaffee teilen. Zu Feiertagen besuchte man sich mit Delegationen vom Posaunenchor, verschiedener Parteien oder Sportvereine, aß und trank zusammen und genoss Lokalkolorit.

Im Gegenzug machten sich viele Wagemutige in kurios und irgendwie furchtbar zerbrechlich anmutenden Fahrzeugen (ja, Trabis) auf den Weg gen Westen, trotzten drohenden Achsbrüchen und anderen Fährnissen, nur um endlich und vor allem selbstbestimmt die für sie neuen und bisher unerreichbaren Bundesländer zu erkunden.

Die ersten Jahre sind in meiner Erinnerung geprägt von freundlichen und unendlich hilfsbereiten Menschen, kuriosen Situationen und einer großartigen Aufbruchsstimmung.

Außerdem lernten wir eine Menge über die ostdeutsche Infrastruktur, die für uns zum Teil völlig unverständlich war – “Wie, es gibt keine Beschleunigungsspur?!” – und oft auch Fachleute vor große Aufgaben stellte.

Es mussten die vom Staat offenbar bewusst gefälschten Karten korrigiert und alle Straßen neu vermessen werden. Die weitere Infrastruktur war wenigstens unbekannt, oft auch marode und vernachlässigt. Und, was meinen späteren Beruf als Elektrotechnikingenieur berührt, es musste auch das ostdeutsche Stromnetz irgendwie mit dem Westdeutschen verbunden werden, eine große Erweiterung für das spätere Europäische Verbundnetz geschaltet werden, ohne alles aus der Bahn zu werfen.
Das alles stellte sich in der Praxis als viel komplizierter dar, als man anfangs gedacht hatte.

Also begann die neue alte Bundesrepublik ein Mammutprogramm unter dem Namen

„Aufschwung Ost“. (Bild: Sunflowers)
“Aufschwung Ost”. (Bild: Sunflowers)

“Aufschwung Ost”

Und genau dieses Setting greift das gleichnamige Spiel von Sunflowers, das 1993 für Amiga und PC erschien, auf. (Aufschwung Ost Deluxe erschien offenbar um 1995). Die Grenze ist offen, Ost und West an den Splitterkanten verbunden. Nun müssen die Teile wieder sauber zusammengefügt werden.

Das Spiel beginnt mit einem raschen Überblick über die Geschichte der Teilung Deutschlands und der politischen Entwicklungen, die letztlich zur Wiedervereinigung geführt haben.

JFK spricht am Schöneberger Rathaus. (Bild: Sunflowers)
JFK spricht am Schöneberger Rathaus. (Bild: Sunflowers)

Alles beginnt beim Sieg der Alliierten 1945, fortgeführt über die Entstehung der DDR und den Aufstieg der SED. Dann der Mauerbau 1961, weiter über Kennedy und Kohl bis hin zum Durchbruch – im wahrsten Sinne des Wortes – in Berlin 1989.

Die Grenze ist offen, der Wiederaufbau nach 40 Jahren Sozialismus kann beginnen.

Die erste Entscheidung im Spiel: Das Szenario. (Bild: Sunflowers)
Die erste Entscheidung im Spiel: Das Szenario. (Bild: Sunflowers)

Aufschwung Ost kennt keinen Sandbox-Modus, sondern entwickelt sich von 7 verschiedenen Szenarien aus. Das Einsteigerszenario dürfte den besten Überblick über das Spiel geben.

Berlin im Stadtbildschirm, das Baumenü. (Bild: Sunflowers)
Berlin im Stadtbildschirm, das Baumenü. (Bild: Sunflowers)

Der Einstieg in das eigentliche Spiel erfolgt mit Blick auf Berlin in der mittleren Zoomstufe, die wohl am ehesten an Railroad Tycoon erinnert. Von hier aus direkt erst mal der Klick auf die Deutschlandkarte, die sich klar auf die neuen Bundesländer konzentriert.

Die Übersichtskarte zeigt aktuelle Problemstellen. (Bild: Sunflowers)
Die Übersichtskarte zeigt aktuelle Problemstellen. (Bild: Sunflowers)

Hier erkennt man dann auch die akuten Problemstellen: Blinkende Punkte signalisieren, wo Straßen löchrig, Eisenbahnverbindungen unterbrochen oder Umweltschäden zu sanieren sind. Die Anzeige für Strom, Wasser und Müllentsorgung zeigen, wo neue Infrastruktur nötig ist. Alles, was erforderlich ist, um die Bedürfnisse der Bürger zu befriedigen.

Diese Ebene der Instandsetzung erfolgt wieder in der mittleren Zoomstufe. Hier können Verkehrswege repariert oder komplett neu verlegt werden, übrigens auch um die sporadisch eintrudelnden Aufträge zu erledigen.

Gera im Stadtbildschirm, Zuordnung der Gelder zu Ressorts. (Bild: Sunflowers)
Gera im Stadtbildschirm, Zuordnung der Gelder zu Ressorts. (Bild: Sunflowers)

Natürlich ist die eher makroökonomische Korrektur nur eine Seite der Medaille. Die Städte an sich haben natürlich auch ihre Sorgen. Fehlender Wohnraum, hohe Arbeitslosigkeit und steigende Kriminalität werden angemahnt, oft sogar per Videotelefonat von Beratern der Polizei oder anderer Behörden. Dann hilft es nur, die Stadt aus der Nähe anzuschauen. Wer sich hier an SimCity erinnert fühlt, liegt sicher nicht falsch. Nach ähnlichem Muster gilt es hier, den Sorgen der Bürger gezielt mit den richtigen Gebäuden zu begegnen. Polizeistationen, Krankenhäuser, Unis, Büro- und Wohngebäude – Hier tobt sich dann das Mikromanagement aus. 25 Städte können auf diese Weise in den grünen Bereich gebracht werden, auch wenn man sicher mit den Städten anfängt, die in ihrer Statistik rote Flecken aufweisen.

Die regelmäßige Auswertung zeigt dem Spieler die Bilanz seines Wirtschaftens. (Bild: Sunflowers)
Die regelmäßige Auswertung zeigt dem Spieler die Bilanz seines Wirtschaftens. (Bild: Sunflowers)

Mit dem Geld (natürlich der Deutschen Mark, wie in dem Setting auch nicht anders zu erwarten) muss gehaushaltet werden. Die Verteilung der Mittel erfolgt einmal auf Bundesebene durch Steuersätze und Infrastrukturausgaben (natürlich inklusive der schon bei SimCity gefürchteten Möglichkeit zur Reduktion der Instandhaltungskosten unter Inkaufnahme der daraus folgenden Kosten für den Wiederaufbau), auf Stadtebene durch Verteilung auf die Sektoren und Ausbau der Gebäude. Alles bezogen auf die verschiedenen Ressorts und Budgets, und immer in Abwägung zwischen Langfristentwicklung des Landes und Wählerstimmengewinnung mit Kurzfristfokus.

Die Städte im Überblick, mit Bewertung der Hautptaufgabengebiete. (Bild: Sunflowers)
Die Städte im Überblick, mit Bewertung der Hautptaufgabengebiete. (Bild: Sunflowers)

Interessant dabei ist übrigens, dass natürlich im Sinne des Bundeshaushaltes auch nach Bodenschätzen gesucht werden kann, die dann gefördert und verarbeitet werden. Und bei der Infrastruktur gilt es wieder einmal, auch wichtige Entscheidungen zu treffen: Bleiben wir bei der zuverlässigen und bewährten Kraftwerkstechnik? Oder überwiegt das grüne Gewissen und wir bauen Solar- und Windenergie aus? Und was machen wir mit den Ostseefischern? Und natürlich möchten die Bürger die neu gewonnene Reisefreiheit auch ausnutzen und sich auf Autobahnen und Eisenbahnstrecken durchs Land bewegen. Wo Bedarf ist, erfährt man durch gesonderte Aufträge oder lotet die Lücken auf der Übersichtskarte aus.

Natürlich wird der Spieler als Staatsoberhaupt auch regelmäßig bewertet. Neben den Bürgerbedürfnissen spielt auch die Beliebtheit eine große Rolle. Schließlich will man ja auch wiedergewählt werden, oder?

Die Beliebtheit des Spielers. (Bild: Sunflowers)
Die Beliebtheit des Spielers. (Bild: Sunflowers)

So arbeitet man sich denn durch die Infrastruktur der sechs Bundesländer, um immer weiter in Stand zu setzen, zu modernisieren oder neu zu erschaffen, was die Bürger benötigen.

Offen gesagt kann ich mich nicht mehr erinnern, wie das Gewinnszenario aussieht. Ich weiß auch nicht mehr, ob ich damals überhaupt bis zum Ende gespielt habe oder schon vorher abgebrochen habe. Beim Wiederspielen kam ich definitiv nicht bis zur Auflösung. Nach zwei, drei Stunden war für mich Schluss.

Vielleicht kann einer der Leser diese Wissenslücke mit eigenen Erfahrungen füllen.

Warum habe ich nicht weitergespielt?

Das hat verschiedene Gründe. Das Spiel an sich ist einwandfrei gut gemacht. Informationen sind da, wo sie hingehören, das Interface muss sich vor bekannteren oder jüngeren Spielen nicht verstecken.

Gegen das Spiel sprechen für mich zwei Aspekte, von denen der erste subjektiv ausschlaggebend war.

Zum einen habe ich mich zu weit vom Genre “Aufbausimulation” entfernt. Irgendwann wird es für mich mühsam, und ich mag mich nicht zum Weiterspielen zwingen. Deshalb kenne ich auch das Ende bzw. die Auflösung der meisten Aufbausimulationen nicht. (Außer bei Civilization, also dem ersten Teil der Civ-Serie, die leider nie wieder so gut war. Aber das ist eine völlig andere Geschichte).

Zum anderen ist die Grafikdarstellung meiner Meinung nach im Großen und Ganzen eher mäßig gealtert. Die damals zeitgemäße Auflösung macht es für heutige Augen vergleichsweise schwer, den Überblick über die Lage im Land zu behalten. Es gibt nur drei verschiedene Zoomstufen, die dann auch völlig unterschiedliche Informationen darstellen.

Fazit

„Das Szenario Wiedervereinigung ist nicht mehr so brandaktuell, wie es Anfang der 1990er war. Und für die, die diese Zeit nicht miterlebt haben, erschließt sich die Faszination dieses großartigen Vorhabens vielleicht nicht. Dennoch greift Aufschwung Ost die damalige Aufbruchsstimmung durchaus auf und ermöglicht es dem Spieler, sich einmal selbst an dieser Herkulesaufgabe zu versuchen und dabei zu vergleichen, welche Ergebnisse die reale Umsetzung durch mehrere Bundesregierungen zeigte. Aufschwung Ost ist als Wirtschaftssimulation handwerklich hervorragend gemacht und trotz der altertümlich anmutenden Grafik für Genre-Liebhaber und Geschichtsinteressierte auf jeden Fall einen Blick wert.“

Die folgenden Bilder wurden vom Computerspielemuseum in Berlin zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank für die Unterstützung!

Packshot - Vorn - von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)
Packshot – Vorn – von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)
Packshot - Hinten - von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)
Packshot – Hinten – von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)
Handbuch, Diskette und Unterlagen von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)
Handbuch, Diskette und Unterlagen von Aufbau Ost. (Bild: Computerspielemuseum Berlin)

Veröffentlicht in: Spielebesprechungen

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Kommentare (6)

  1. Lieber Thilo,
    genau wie Du bin ich im „Zonenrandgebiet“ Kassel geboren und außerhalb Kassel – auf dem Land – aufgewachsen. Im Gegensatz zu Dir aber schon ein paar Jahre früher. Beim Mauerfall war ich schon 20 und habe das sehr bewusst wahrgenommen. Mehr noch: Jede Berichterstattung über den „Osten“ habe ich regelrecht verschlungen. Das war ja schließlich jahrzehntelang eine im Nebeldunst liegende Blackbox. Außerdem war ich oft drüben, da in Ost-Berlin die Oma Erna, der Onkel Klaus und jede Menge weitere Verwandte gelebt haben und – bis auf die Oma – auch noch leben.

    Nach dem Mauerfall wollten mein ältester Bruder Micheal und ich unbedingt nach Berlin, um das hautnah mitzuerleben. Das hat leider nicht geklappt, wir sind erst etwas später hin. Mein Bruder hat in Berlin studiert und kannte sich bestens aus – in Ost und West. Der hat noch nie ein Navi gebraucht. Selbst wenn wir nach Spanien gefahren sind. Nicht mal eine Karte.

    Wir sind natürlich über Checkpoint-Charlie rüber, haben unsere Verwandten in Ost-Berlin besucht und sind mit unseren Cousinen und Cousins durch die Kneipen gezogen. Und dann sehe ich ein Plakat von The Alarm, die am folgenden Abend im Metropol auftreten sollten. Das war eine Indie-Rockband aus Wales, die ich zu der Zeit klasse fand. Natürlich waren wir – mit den Cousinen und Cousins um Schlepptau da. Die schwärmen noch heute davon. War aber auch ein Hammer-Konzert.

    Aber auch direkt in Kassel war unmittelbar nach der Grenzöffnung die Hölle los, besser gesagt die Trabbis. Ich erinnere mich noch genau, wie ich – wieder mit dem Michael – mit dem Auto nach Kassel gefahren bin. Einfach so. Wir sind die Leipziger Straße über den Platz der Einheit (wie passend) Richtung Innenstadt gefahren. Die Leipziger Straße – Du weißt ja hoffentlich wie lang die ist – war komplett mit Trabbis zugeparkt. Wie an der Perlenkette aufgereiht am rechten Straßenrand. Aber auch vor, neben und hinter uns – nichts als Trabbis. Ein paar Ladas mögen auch dazwischen gewesen sein. Das war schon ein außergewöhnlicher und unvergesslicher Anblick – und Geruch.

    Nach der Wende war ich oft in Erfurt, Weimar, Eisenach, Altenburg und weiß der Kuckuck wo beruflich unterwegs. Und auch das waren aufregende Zeiten. Allein schon die Hinfahrt. Dabei habe ich viele tolle, nette Menschen kennengelernt. Aber das ist eine andere Geschichte.

    Zum Spiel Aufbau Ost kann ich leider überhaupt gar nichts beitragen. Das ist komplett an mir vorbei gegangen. Aber gut, dass Du soooooo eine lange Hinführung zum eigentlichen Spiel geschrieben hast. Denn die war für mich ausgesprochen interessant. Ich mag Deinen Schreibstil. Also schreib doch nochmal was für die VSG.

    1. Auch Dir, Ferdi, vielen Dank daß Du Deine Erinnerungen mit uns und mir teilst!

      “Black Box” trifft es nicht ganz, finde ich. Es war ja nicht nur das Unbekannte, sondern auch das, was man uns erzählt hat.
      Ich schrieb nicht umsonst “grau schraffierte Ungewissheit, sagenumwobenes Fremdland und Menschen und Staaten, die uns nebulös als „böse Kommunisten“ vorgestellt wurden.”

      Da ging es (für mein Empfinden) auch um Stimmungs- und Angstmache. Umso beruhigter war ich nach der Wende, daß die Menschen in der DDR sich nicht nur als völlig normale Menschen, sondern eben auch als freundlich, hilfsbereit und liebenswert erwiesen haben. Umso mehr hat es mir damals weh getan, als dann später die Querelen zwischen unserer Sozi-Hochburg und der 98%-CDU-Partnerstadt in Thüringen aufkamen.

      Wie kann man sich nur über solche Nichtigkeiten streiten?

      Wir waren jedenfalls immer gerne dort und haben den ganzen Kleinkram quasi an der Grenze zurückgelassen.
      Dafür war sie nämlich durchaus gut.

  2. Vielen Dank für diesen sehr interessanten und spannenden Artikel, Thilo.

    Für mich ist vor allem der erste Teil mit deinen persönlichen Schilderungen aus den 80ern und 90ern interessant – auch, weil ich “Aufschwung Ost” nie gespielt habe.

    Es war für mich sehr spannend zu lesen, wie es sich angefühlt hat, so nah an der innerdeutschen Grenze zu leben. Ich bin im Grenzgebiet zu den Niederlanden aufgewachsen (und kann mich noch gut an die “Zoll/Douane” Schilder an allen Grenzübergängen erinnern) – die DDR war also für mich weiter weg als für dich damals.

    Im Rahmen eines Berlin-Urlaubs 1988 bin ich zusammen mit zwei Freunden zumindest einen halben Tag lang zu Gast in der “Hauptstadt der DDR” (darauf bestanden die Grenzer mit inbrünstiger Unfreundlichkeit und Deutlichkeit) gewesen. Das war schon zu Zeiten von Egon Krenz und es roch schon so gaaaanz leicht nach Umbruch damals – auch wenn der Ausgang zu dem Zeitpunkt völlig offen und ungewiss war. Jedenfalls habe ich meinen Freunden direkt nach der Rückkehr nach West-Berlin geschworen “Dieses Land betrete ich erst wieder, wenn die Mauer weg ist!” – dass dies dann so schnell passieren würde, damit konnte keiner rechnen.

    An diese großartige Aufbruchstimmung Anfang der 90er kann ich mich auch sehr gut erinnern, man war fast schon euphorisch und hat wirklich geglaubt, es könne praktisch von selbst nur noch besser werden. Vielleicht liegt gerade in diesem naiven Glauben auch eine Wurzel der Probleme, die im Laufe der Jahre immer stärker zu Tage traten.

    Aber ich möchte meinen Kommentar gar nicht so pessimistisch schließen – ich hege die Hoffnung, dass Europa sich angesichts von den Entwicklungen in den USA und in GB zusammenrafft und enger zusammenrückt.

    Das Spiel habe ich wie gesagt leider nie gespielt und Aufbausimulationen waren auch nie mein liebstes Genre, aber eines muss ich noch loswerden – ich halte den zweiten Teil bis heute für den besten aller Civ’s. 😉

    1. Wir wollen uns mal nicht über Civ streiten. Das haben schon andere getan. 😉
      Letztlich sind es ja nur persönliche Präferenzen, ganz anders als bei der Wende.

      Vielen Dank für Deine Erinnerungen!
      Ich denke, es war etwas ganz Anderes, an einer der anderen Grenzen der BRD zu leben, wo Austausch und Treffen so viel einfacher waren als an der Grenze zur DDR. Vielleicht weiß ich deswegen die großartige Einrichtung des Schengen-Raumes so zu schätzen.

      Wie auch immer der Arbeitstitel ist: Teilung ist ein Zustand, der untragbar ist und zu Recht bekämpft wird.

      In dem Sinne: Lass uns die großartige Civ-Serie nicht weiter teilen. Da ist einfach für jeden das Richtige dabei. 🙂

  3. Lieber Thilo,

    Dein Text ist so voll interessanter “Geschichte”, dass man schon nach den ersten Zeilen nicht mehr aufhören kann mit dem Lesen. Ich finde es ganz toll, dass Du uns historisch anekdotisch “abholst” und Deiner Review damit das perfekte Fundament bereitest.

    Nun ist er gerade gestern von uns gegangen, der Altkanzler – Helmut Kohl. Und auf einmal spürt man den Zeitsprung wieder. Die Welt vor 1989 war natürlich auch spielerisch eine ganz andere. Und gerade deshalb finde ich Einblicke in vergangene Spiele immer wieder spannend. Denn sie stehen in einem großen Kontext und haben uns zum heutigen Tage in 2017 geführt.

    Sunflowers, so habe ich eben nachgelesen, gibt es nun auch schon seit 10 Jahren nicht mehr. Sie wurden von Ubisoft gekauft. Mir waren ehesten die Anno-Spiele der Firma bekannt, nicht aber Aufschwung Ost.

    Umso schöner, dass Du diesem Spiel nun ein würdiges Denkmal gesetzt hast.

    Vielen Dank für Deinen Artikel! Ich hoffe, es ist nicht Dein letzter hier 😉

    1. Lieber André,
      vielen Dank für die Gelegenheit und die Idee zum Artikel!
      Es war eine erfreuliche Reise zurück in die 90er, und eine willkommene Gelegenheit, mich mit einem der Spiele, die meine Eltern mir trotz einer gewissen Abneigung gegen “Am Computer daddeln” gekauft haben, noch einmal zu beschäftigen.

      Damals, ein paar Jahre nach der Wende – die Deutschlandfahne hing noch prominent im Kinderzimmer – war es aufregend, für einige Spielstunden das Ruder in der Republik zu übernehmen und zu sehen, wo die Reise im virtuellen Deutschland wohl hingeht und das Erlebte mit der Wirklichkeit zu vergleichen.

      Ich hoffe, daß diese Erinnerungen und Gefühle im Artikel herüberkommen, und der eine oder andere seine Erlebnisse auch noch schildern mag.
      Diese Zeit ist eine Periode, die wir auf jeden Fall im kollektiven Gedächtnis am Leben erhalten sollten. Wenn es Spiele zum Thema gibt, ist dies eine großartige Gelegenheit für einen Cross-Over zwischen Spiel und Realität.
      Und Spiele sind nicht zuletzt auch ein Bildungsmedium, auch wenn viele das nicht auf den ersten Blick sehen.

      Findet sich ein passendes Thema, wage ich mich gerne zu gegebener Zeit an einen weiteren Artikel. Beim nächsten Mal wird es dann auch sicher eine leichtere Geburt. 🙂