Eine Ode auf ein kleines, durchschnittliches, aber wunderschönes Spiel
Bei diesem Spiel handelt es sich um einen meiner kleinen Ausbrüche aus dem Alltag. Von der Fachpresse weitgehend zerpflückt (metacritic ~50er Score), beklagten viele die fehlende Abwechslung, die kaum vorhandenen Interaktionsmöglichkeiten, den Umfang und manchmal auch die Steuerung.
Submerged (untergetaucht, überschwemmt, eingetaucht; dict.cc).
Scheinbar wenige Tests, etwa ein einsamer Kurzbericht im Zeit Magazin, bescheinigte dem Spiel eine positive Entschleunigung – und erntete Kritik dafür in den Kommentaren. 4Players vergab eine 68er Wertung, Gamer’s Palace sogar 75. Beides sehr faire Bewertungen, wie ich finde. In anderen Reviews las ich jedoch: Laaaangweilig!
Und doch ist es eins meiner Lieblingsspiele. Warum?
Irgendwann Anfang 2020, weit bevor ich irgendetwas darüber las, hatte ich Submerged für knapp 20€ im Xbox Store entdeckt. Und war sofort Feuer und Flamme, denn Screenshots und Trailer zeigten mir ein interessantes, hübsches, scheinbar lange verlassenes Szenario auf. Eine überflutete Stadt mit bewachsenen Gebäuden und einigen „Landmarks“, irgendwo im Nirgendwo.
Aufgrund der wirklich sehr unterschiedlichen Bewertungen hatte ich aber lange gezögert, um dann im letzten Jahr, grob um die gleiche Jahreszeit wie jetzt, plötzlich ein breites Grinsen auf dem Gesicht zu bekommen, als ich auf meine Wunschliste schaute: Knapp 2€, heeeey!
Kaum gestartet, empfingen mich im Titelbildschirm melancholische und doch irgendwie geheimnisvolle Pianoklänge vor eben dieser überfluteten Kulisse und machten gleich ein paar Punkte wett. Das klang nach einem vielversprechenden Start.
Und so fand ich mich, Teeniemädchen Miku, zusammen mit meinem offenbar sehr kranken, jüngeren Bruder Taku, in einem kleinen Boot treibend inmitten dieser verlassenen und überfluteten Stadt wieder. Mehr weiss ich erstmal nicht.
Abseits von diesem Problem, welches mein Brüderchen anscheinend plagt, ist’s hier allerdings sehr schön. Der Wind rauscht durch die Palmen, die sich längst auf den Gebäuden breit gemacht haben, dass man ihn fast spüren kann. Der Wellengang ist sanft, aber teils dem Wind angemessen und Sonne oder Mond glitzern auf den Wellenkronen.
Vieles ist überwuchert und scheinbar lange verlassen. Genau mein Ding! Ein Hauch von Freiheit, trotz der misslichen Lage, macht sich breit.
Alles nass
Ich hasse eigentlich Wasser. So richtig. Nicht etwa beim Duschen, oder im Schwimmbad. Und bestimmt auch nicht, wenn es regnet, denn Regen mag ich richtig gern. Wasser ist toll und ich liebe es, am See, am Fluss, oder am Meer zu sein.
Aber wenn Gewässer tief sind und ich nicht weiß, wo der Grund ist, oder was da unter mir ist, mag ich es überhaupt nicht mehr und Panik macht sich schnell breit. Eine Urangst von mir sozusagen, das Ungewisse, Unbekannte. Ich habe lieber den Überblick – in diesem Fall Durchblick – sonst macht mir das manchmal Angst. Auch wenn Gedanken und Doku’s, was da unten so ist, immer wieder spannend sind, freue ich mich lieber über virtuelle Meere und Gewässer.
Aber was mache ich hier überhaupt? Klar, mein Bruder braucht Hilfe. Je schneller, desto besser, denn es geht ihm mit seiner rätselhaften Bauchwunde wirklich dreckig. Wir suchen Schutz in einer verlassenen, überwucherten Kirche. Unser Schutzraum für die nächsten Stunden und mein Startpunkt, wenn ich Medikamente und Hilfsmittel suche.
Warum wir überhaupt hier sind, das eröffnet sich mir als Spieler erst nach und nach in Form von einfachen Zeichnungen auf Tafeln, die mir nach bestimmten Spielsituationen jeweils in vier Bildern unsere Familiengeschichte erzählen. Und das genau im Takt von vier umspielten Klavierakkorden.
Dieses kleine, vielleicht unscheinbare, audiovisuelle i-Tüpfelchen, ich liebe es! Wenn man die gesammelten Tafeln vom Pausemenü aus in Ruhe betrachtet, hat man eher einen Überblick, was passiert ist. Die etwa zwölf Sekunden, in denen jeweils ein Tafel-Quartett im Spiel gezeigt wird, finde ich da etwas knapp.
Unsere Geschichte. Tragisch. Parallel finde ich die Geschichte der Stadt auf gleichen Tafeln erzählt, diese sind aber, entgegen der eigenen Geschichte, überall verstreut und lassen nach und nach erahnen, was hier los war. Ebenso gibt es Bonustafeln von besonderen Orten und Tieren, denen ich unterwegs in der Stadt begegne.
Taku
Da braucht jemand Hilfe, keine Frage. Daher halte ich Ausschau nach Kisten, die rettende Hilfsmittel beinhalten. Ob sie aus der alten Zeit stammen? Diese sind auf Gebäuden platziert, aber nicht wirklich versteckt. Wenn ich möchte, nehme ich mein Fernrohr dafür zur Hilfe, um Kisten zu markieren, muss ich aber nicht.
Dann heißt es, auf diese Gebäude hinaufzuklettern. Taku wartet schwächelnd im Unterschlupf. Meine auserkorenen oder zufällig gewählten Ziele erreiche ich mit unserem recht agilen Boot, welches uns sicher herbrachte und für das ich hier und da auch ein paar versteckte Upgrades finde, um etwas länger schnell fahren zu können.
Aber trotz totkrankem Brüderchen eilt es nicht wirklich, denn Zeit spielt in Submerged keine Rolle. Ich finde es unglaublich schön hier und muss tatsächlich aufpassen, dass ich Taku nicht vergesse, während ich die Stadt erkunde.
An bestimmten, nicht zu übersehenden, blumigen Ranken erreiche ich dann vom Boot aus wieder festen Boden und die Kletterei geht los. Herunterfallen oder abrutschen kann ich dabei nicht, sondern erklimme mir mit scheinbarer King Kong Ausdauer und etwas hölzernen Animationen den passenden Weg an den oft bewachsenen Fassaden nach oben.
Herausforderung gering bis null. Aber ich habe Gefallen daran, trotz Mittel zum Zweck. Freiheit, die ja eigentlich keine ist, da ich hier nichts falsch machen kann, macht sich breit. Bin ich übrigens bei einer dieser besagten Kisten angekommen, geht es nach einer kurzen Cutscene beim kleinen Bruder weiter.
Was geht ab?
Scheinbar geht es Taku nach der letzten Nacht etwas besser, als ich aufwache. Aber was geschieht mit mir? Und was war das da hinten, oder hab ich das geträumt? Sind wir vielleicht doch nicht ganz alleine hier?
Wie eingangs kurz erwähnt, gibt es einen Tag- / Nachtrhythmus, der wunderschöne Sonnenaufgänge produziert und die Fassaden der Häuser in goldenes Licht taucht. Diese machen aus spielerischer Sicht zwar keinen Unterschied, tragen aber viel zur Atmosphäre bei. Genau wie die Nächte, in denen das Wasser manchmal merkwürdig zu leuchten scheint. Ist hier vielleicht doch etwas im Busch?
Persönlich erscheint mir vieles in Submerged magisch und geheimnisvoll. Und unterbewertet. Nehme ich zum Beispiel neben den glitzernden Lichteffekten nur mal die Glühwürmchen, die mir nachts manchmal den Weg auf Gebäuden weisen. Die tierischen Begegnungen in den Gassen oder weit draußen, wenn ich mit dem Boot unterwegs bin. Oder die dicht bewachsenen Etagen einer Hausruine, herrlich!
Ja, trotz Macken, trotz steifer Spieleranimationen und trotz eines manchmal irrwitzig unrealistisch wendbaren Bootes – ich liebe es.
Spielerischen Tiefgang sucht man trotz des Titels aber vergeblich. Vielleicht ist es aber auch gerade diese spielerische Sicherheit, die mich hier gefangen nimmt. Die friedliche Bubble, in der nichts schiefgehen kann und in der keine Zeit läuft.
Und genau da holt mich Submerged mit dem roten Teppich ab und lädt mich ein in eine kleine Welt von Schönheit und Leichtigkeit.
An manchen Stellen sehe ich Parallelen zu meinem geliebten Enslaved – Odyssey to the West. Aber Submerged dreht hier eindeutig sein eigenes Ding und erzählt mir dabei eine doch interessante Geschichte.
Alltag
Mit dem Boot fahre ich manchmal noch durch die ehemaligen Straßen, die unter mir versunken sind. Vorbei an viel Grün, Ranken und reflektierenden Fensterfronten. Gebäude kann ich zwar nicht betreten, aber auf manche von ihnen klettern und die Aussicht genießen.
Für mich stellt Submerged, trotz vielleicht ein paar Ecken und Kanten, ein absolutes Wholesome Game dar, welches ich auch lange nach dem Durchspielen gerne für einen entspannten Ausflug nutze, denn es gibt nach der Story den Erkundungsmodus, falls man etwas übersehen hat.
Und immer noch mag ich es, mir meinen Weg durch kleine, von Wurzeln und schwimmendem Grünzeug bewachsenen Gassen zu bahnen, um dann auf eine der großen Hauptstraßen einzubiegen und entlangzupötteln. Dem großen Wal oder den Delfinen, die dort vergnügt und ohne Angst frei ihre Bahnen ziehen dürfen, sage ich dann gerne mal Hallo und entspanne mich bei dem beruhigendem Auf und Ab des Wellengangs und dem stimmungsvollen Soundtrack.
Informatives
- Das Studio Uppercut Games besteht aus teils erfahrenen Entwicklern, die unter anderem auch aus dem BioShock Lager kommen und ihr eigenes Ding machen wollten.
- Bei meinem aktuell angehefteten Tweet (kann sich natürlich ändern) hat Submerged den Start hingelegt und war sogar maßgeblich für die Idee des Hashtags #MomentsToLoveGamesFor verantwortlich, unter dem ich ab und an zeigen wollte, für welche Momente ich Spiele liebe.
- Ich hatte Submerged schon in meinem letzten Beitrag Die Entnetzung kurz als schönes Spiel erwähnt.
- Mein Spieltimer mit 100% Spielerfolg sagt aktuell 12h irgendwas, wohingegen ich schon von 5h für 100% und sogar unter 3h für bloßes Durchspielen gelesen habe.
- Manche meiner Screenshots tragen einen Stempel und Schmuddelrahmen, diese Bilder wurden mit dem im Spiel vorhandenen Fotomodus erstellt.
- Den wunderschönen piano- & streicherlastigen Soundtrack von Jeff van Dyck, der für mich so viel zur Atmosphäre beiträgt, gibt es bei Bandcamp.
- Und das Beste zum Schluss: Trotz der vermutlich überschaubaren Verkaufszahlen gibt es einen Nachfolger, Submerged – Hidden Depths, derzeit Stadia-exklusiv. Neugierig wie ich bin, habe ich die Entwickler angeschrieben, ob vielleicht die minimale Chance besteht, dass es irgendwann nicht mehr exklusiv sein wird. Zu meiner Freude schrieb man mir zurück, dass der Titel bald auch auf anderen Plattformen erscheinen wird. Und ja, da freue ich mich riesig drauf!
Links zu den anfangs genannten Reviews: Zeit online , 4Players , Gamer’s Palace ;
Achtung, Zeit online & 4Players spoilern die Geschichte!
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