Wie die meisten Videospieler*innen, die in den 90ern aufgewachsen sind, habe auch ich mit großer Neugier diverse Spiele-Magazine gelesen. Wer in die Welt des modernen Internets geboren wurde, der kann sich das vermutlich nicht mehr vorstellen, aber abgesehen von Gesprächen auf dem Schulhof und dem Besuch im kleinen Spiele-Laden um die Ecke – wenn es sowas in deinem Kaff überhaupt gab – waren Print-Magazine damals die einzige Informationsquelle für Spiele-Nerds.
Vor allem mochte ich die kleinen und großen Game-Guides – oder „Kaufberater“, wie man sie damals nannte – ,die hin und wieder den Heften beilagen oder am Jahresende als Sonderausgaben erschienen. Darin wurden gleich hunderte Titel in kurzen Steckbriefen vorgestellt. Für die Verlage war das meist nur eine lukrative Zweitverwertung alter Inhalte. Mir aber erlaubten diese Hefte zumindest einen kurzen Blick in all die vielen virtuellen Welten zu werfen, die mit meinem mickrigen Taschengeld unerreichbar schienen.
Erst Leser, dann Blogger
Doch es ist nicht nur das Lesen. Auf die eine oder andere Art begleitet mich auch das Schreiben über Videospiele schon seit meiner Jugend. Angefangen bei einfachen Postings in Spiele-Foren wie Wolfsoft oder Segacity bis hin zu richtigen Artikeln und Tests für den eigenen Blog sowie die Websites anderer. Fast genauso lange schleppe ich auch schon verschiedene Ideen für meine ganz eigene Version eines Spiele-Kompendiums mit mir herum. Obwohl ich beruflich letztlich einen ganz anderen Weg eingeschlagen habe, ist der Traum vom eigenen „Sonderheft“ nie so ganz aus meinem Kopf verschwunden.
Ich hatte mich über die Jahre schon etwas mit InDesign und auch der Open-Source-Software Scribus beschäftigt, konnte mich aber mit beiden nie so ganz anfreunden. Bei Adobe störten mich der Abo-Zwang sowie das generell eher unsympathische Geschäftsgebaren der Firma. In Scribus machte mir das Arbeiten durch das schlechte User Interface und den geringeren Funktionsumfang einfach keinen Spaß. Noch bevor ich dieser Idee eine richtige Chance geben konnte, kehrte ich daher immer wieder zum Bloggen zurück.
Ungeahnte Möglichkeiten
Mit den Jahren wurden meine Beiträge dann aber immer weniger. Natürlich hatte das auch mit meiner persönlichen Situation zu tun, aber es lag auch daran, dass ich zunehmend unzufriedener mit meinem Blog war. Zum einen war die Blog-Szene schon eine ganze Weile quasi scheintot, was für immer weniger Klicks und Interaktionen mit anderen Bloggern sorgte. Zum anderen frustrierte es mich inzwischen sehr, dass das moderne Web und nicht zuletzt der Fokus auf Smartphones dafür sorgten, dass sich Inhalte überall sehr ähnlich sahen. Ich versuchte darum immer wieder mit neuen Themes und diversen Plugins meinem Blog mehr Persönlichkeit einzuhauchen. Es endete dann aber doch immer nur mit Frust und vertaner Zeit. Theme-Anbieter stellten den Support ein, andere lieferten nicht das, was sie versprachen und am Ende sah es auch nie so aus, wie ich es mir wirklich vorgestellt hatte.
Im April 2020, also inmitten dieser Frustphase, stolperte ich dann eher zufällig über die DTP-Software Publisher von Affinity. Die konnte man einfach für unter 100 € kaufen und ohne weitere Kosten, Cloud-Zwang oder andere Tricksereien nutzen. Sollte es etwa endlich eine Software-Firma geben, die Adobe nicht nur angreifen, sondern mit ihren Programmen tatsächlich überflüssig machen konnte? Als jemand, der sich bis dahin weder groß mit Design noch Bildbearbeitung beschäftigt hat, war ich von den schier endlosen Möglichkeiten dieses Tools zunächst etwas überfordert. Doch obwohl ich eigentlich nur planlos damit herumgespielt hatte, war ich nach wenigen Tagen überzeugt, dass ich mit diesem Werkzeug echt coole Sachen machen könnte. Die Vorstellung, endlich volle Kontrolle über den Look meiner Inhalte zu haben, erweckte meine Kreativität zu neuem Leben.
Der Beginn einer langen Reise
Da war er wieder, dieser vage Traum vom eigenen Heft, der seit so vielen Jahren auf seine Umsetzung gewartet hatte. Ich öffnete also ein leeres Dokument und begann damit, mir ein grobes Konzept zu überlegen und unzählige Ideen zu sammeln. Über viele Monate hinweg wuchs das Dokument und das ganze Projekt bekam allmählich eine Struktur. Zur gleichen Zeit arbeitete ich mich langsam in Affinity Publisher ein. Als totaler Amateur beschäftigten mich dabei vor allem zwei Fragen: welche Möglichkeiten gibt es überhaupt und welchen Look strebe ich eigentlich an? Die Antworten musste ich mir beide erst nach und nach erarbeiten, indem ich stetig neue Dinge ausprobierte und iterierte. Also immer wieder Anpassungen vornahm, die mich Stück für Stück dem Ergebnis näherbrachten.
Da ich mit Print keinerlei Erfahrungen hatte und es obendrein auch sehr kostspielig ist, hatte ich mich entschieden, es in erster Linie als PDF zu designen, das sowohl an PC-Bildschirmen als auch auf Smartphones gut funktionieren sollte. Aus diesem Grund entschied ich mich beispielsweise gegen das übliche A4-Format. Und ich verzichtete auch weitestgehend auf Designs, die sich über mehrere Seiten erstrecken. Natürlich träumte ich auch ein wenig davon, irgendwann mal eine gedruckte Version in den Händen zu halten, aber ich hielt es für vermessen, das als Fokus zu wählen.
Ideen werden zu einem Plan geformt
Irgendwann hatte ich mich dann endlich auf ein inhaltliches Konzept festgelegt und ein eigenes Design entwickelt. Mir war schnell klar, dass ich unmöglich ganz allein ein traditionelles Magazin erstellen könnte. Statt von allem etwas zu machen oder ein ganzes Genre abzudecken, konzentrierte ich mich daher auf ein Kernthema. Meine Wahl fiel schließlich auf Spiele mit einem winterlichen Setting und/oder Kälte als Mechanik. Es sollte aber dennoch kein Best-Of oder Ranking werden und auch keine Sammlung ausführlicher Reviews der Spiele.
Es ist ohnehin nicht meine Stärke, Spiele bis ins kleinste Detail zu sezieren und super tiefgründige Texte darüber zu schreiben. Mein Ziel war viel mehr, einen ersten Eindruck vom Spiel zu vermitteln. Die Texte sollten nur so lang sein , dass jeder abschätzen kann, ob das Spiel zum eigenen Geschmack passen und sich ein Anspielen lohnen könnte. Außerdem wollte ich definitiv keine aktuellen Blockbuster im Heft haben, denn über die wird sowieso schon überall gesprochen. Ich wollte einerseits meine Liebe für die Indie-Szene zum Ausdruck bringen und andererseits an Titel erinnern, an die sich kaum jemand erinnert.
Zusammenfassend war es mir einfach wichtig, dass das Heft nicht einfach nur eine weitere Ansammlung von Inhalten ist, die man schon woanders gesehen, gelesen oder gehört hat. Diese vielen kleinen Überraschungen, die ich damals (und manchmal auch noch heute) beim Durchblättern der alten Guides und Kaufberater erlebte, wollte ich auch anderen bescheren. Jeder sollte beim Stöbern wenigstens einmal ein kleines „cool, das kannte/wusste ich noch nicht“ auf den Lippen haben.
Von professionellen Layouts habe ich auch keine Ahnung, aber ich bin begeistert, wie mich die unterschiedlichen Layouts in Kombination mit den Farben und Screenshots manchmal an diverse Videospielmagazine aus den 90ern denken lässt. Gefällt mir richtig gut und ich merke gerade, was ich an den ganzen Retro-Magazinen der letzten Jahre im Nachhinein vermisse: Über „neue“ Spiele zu lesen, die ich wirklich nicht kenne. Vielen Dank dafür.
Stardragon vom Segacity-Forum
Zaudern und zweifeln
Über einige Monate hinweg bastelte ich allein vor mich hin und als ich allmählich das Gefühl hatte, dass dies doch kein Hirngespinst, sondern ein richtiges Projekt ist, holte ich mir erstes Feedback. Das war durchweg positiv und konstruktiv, was sicher ein wesentlicher Faktor dafür war, dass ich bis zum Ende durchgehalten habe. Ich wollte das Projekt erst öffentlich auf meinem Blog und in Social Media erwähnen, wenn ich wirklich sicher war, dass es auch meinen eigenen Ansprüchen genügen würde. Da ich ganz groß darin bin, Dinge anzufangen und kurz darauf wieder hinzuwerfen, war ich lange sehr unsicher, ob ich dieses Heft jemals fertigstellen würde.
Man glaubt gar nicht, wie schwer es ist, über einen wirklich langen Zeitraum ganz für sich allein an etwas zu arbeiten. Ich bin ohnehin ein notorischer Zweifler, aber in diesem Fall hatte ich ganz extrem damit zu kämpfen. Games-Magazine sind ja selbst im kommerziellen Bereich nahezu ausgestorben. Wieso sollte also jemand seine kostbare Zeit mit dem Content eines Amateurs wie mir verschwenden? Und wie realistisch ist es überhaupt, ohne Vorkenntnisse und im Alleingang ein ganzes Heft zu designen und mit Inhalten zu füllen? Diese Gedanken habe ich bis zum Ende nie ganz abschütteln können, aber meine kleine Feedback-Gruppe konnte das zum Glück immer wieder etwas ausgleichen.
Der Floh im Ohr
So verging Monat um Monat. Dabei hatte ich auch immer wieder Phasen, in denen ich mich auch mal für Wochen nicht dazu motivieren konnte, Affinity Publisher auch nur zu starten oder eine einzige Zeile Text zu schreiben. Doch es gab in all der Zeit eigentlich nie einen Tag, an dem ich nicht zumindest über das Heft nachdachte. Ob auf dem Weg zur Arbeit, unter der Dusche oder im Bett, wenn ich eigentlich schlafen sollte: meine Gedanken kreisten früher oder später immer wieder um das Heft. Ich führte nicht nur eine schier endlos lange Liste an Spielen, die zum Winter-Thema passten, sondern mir kamen auch ständig Ideen für Bonusinhalte, die das Heft über die normalen Spielbesprechungen hinaus interessant machen sollten.
Cooles Zeug von coolen Leuten
So holte ich beispielsweise die JRPG-Experten Florian und Marc aus meiner Bubble ins Boot, die mir für ein Special von ihren liebsten Winterlocations des Genres berichteten. Das gefiel mir so gut, dass ich kurzerhand einen ganzen Community-Abschnitt einbaute, um auch noch interessante Projekte anderer Leute zu empfehlen. Als wäre das nicht genug, fragte ich nebenbei auch noch bei Indie-Entwicklern an, ob sie ihr nächstes Spiel mit einer kostenlosen Werbeseite im Heft präsentieren wollen.
Insbesondere die Reaktion besagter Indies hat mich echt umgehauen. Für mich waren das so talentierte Leute, die unglaublich cooles Zeug machten, dass ich mir wirklich nicht sicher war, ob die ihre Zeit für so ein unbedeutendes Projekt wie meins verschwenden würden. Doch sie waren nicht nur total freundlich, sondern sogar oft dankbar. Viele freuten sich riesig darüber, dass sie eine Seite in meinem schnöden Amateur-Heft füllen durften. Das fühlte sich einfach großartig und auch ein wenig surreal an. Allerdings kann und sollte man nicht unbedingt jede Idee auch umsetzen. Wenn man nicht aufpasst, wächst einem so ein Projekt sonst nämlich schnell über den Kopf und man wird nie fertig. In der Spiele-Entwicklung kennt man dieses Phänomen übrigens auch als Feature-Creep.
Das Zine sieht echt super aus! Ich freue mich, dass auch Casebook 1899 seinen Platz darin gefunden hat. Ich wünsche dir allen nur erdenklichen Erfolg!
Gregor Müller, Entwickler von Casebook 1899: The Leipzig-Murders
Moment der Wahrheit
Im November 2022, also gut zweieinhalb Jahre nachdem ich mit den ersten Ideen für das Heft experimentiert hatte, war dann endlich der große Moment gekommen. Ich lud das PDF bei itch.io hoch, stellte die Projektseite von privat auf öffentlich und verkündete via Social Media & Co. die Veröffentlichung. In den Monaten zuvor hatte ich zwar hin und wieder öffentlich über das Projekt gesprochen und kleinere Teaser veröffentlicht, aber ich konnte absolut nicht einschätzen, ob das Heft überhaupt mehr als eine handvoll Leser*innen erreichen könnte. Geschweige denn, ob es Leuten tatsächlich gefallen würde. Bis zum Release hatte ich ja nur meine kleine Feedback-Gruppe und selbst die bekamen nie das gesamte Heft zu sehen, sondern nur kleinere Ausschnitte davon. Lediglich Florian und Christian, die jeweils Teile des Korrektorats übernahmen und denen ich an dieser Stelle erneut ganz herzlich dafür danken möchte, konnten vorab größere Abschnitte lesen.
Wie misst man Erfolg?
Obwohl ich keine konkreten Erwartungen hatte, waren meine Aufregung und der Stress am Tag der Veröffentlichung enorm. Was, wenn ich trotz der vielen Kontrollen doch irgendwo einen peinlichen Fehler gemacht hatte? Oder noch schlimmer: wenn das Projekt einfach sang- und klanglos in den Untiefen von itch.io verschwindet? Nun, weder das eine noch das andere ist eingetreten. Wenn ich ehrlich bin, kann ich aber trotzdem nicht sagen, ob das Projekt ein Erfolg ist. Mittlerweile sind die 500 Downloads geknackt und die Projekt-Seite hat weit über tausend Aufrufe. Ich habe jedoch wirklich keine Ahnung, wie ich diese Zahlen einordnen soll. Leider hat sich auch nur ein Bruchteil derjenigen, die es heruntergeladen haben, mit irgendeiner Art von Feedback zurückgemeldet.
Was ich zu meiner großen Freude aber definitiv sagen kann, ist, dass es dafür fast durchweg positives Feedback war. Ein ganz besonderes Highlight war dabei sicher die schmeichelhafte Erwähnung im Newsletter von Stay Forever. Immerhin einer der ältesten und erfolgreichsten Games-Podcasts unseres Landes. An dieser Stelle nochmal von ganzem Herzen vielen Dank an all die Menschen da draußen, die sich nicht nur die Zeit genommen haben, um durch das Heft zu blättern, sondern mir mit ganz lieben Nachrichten, Social Media-Posts oder Erwähnungen in ihren eigenen Projekten so manchen Tag gerettet haben. Diese kleinen Gesten der Wertschätzung bedeuten mir, wie vermutlich allen kreativen Menschen, wirklich viel.
Noch wertvoller ist aber vielleicht die Erkenntnis, dass ich meine Zweifel überwinden und Fertigkeiten erlangen kann, die ich mir eigentlich gar nicht so zugetraut hätte. Wenn ich heute auf meinem Tablet durch das Heft blättere, dann denke ich mir durchaus auch mit ein wenig Stolz: „Du hast das wirklich durchgezogen und es ist sogar ganz gut geworden!“
Just do it!
Und damit bleibt mir jetzt eigentlich nur noch eines zu sagen: wenn ihr auch so eine Idee habt, die euch schon lange im Kopf herumspukt, dann traut euch und fangt einfach an. Es wird vielleicht kein großer Erfolg, aber ihr werdet sicher einiges daraus lernen. Wenn ihr mit Leidenschaft dabei seid, werden das bestimmt auch ein paar Menschen zu schätzen wissen.
Mit liebevollem Aufwand lässt Autor Roberto Kracht in seinem kostenlos erhältlichen Polygonien-PDF-Magazin den Geist der Sonderhefte, die früheren Zeitschriften beilagen oder einzeln veröffentlicht wurden, wieder aufleben.
Stay Forever-Newsletter
Wenn ihr jetzt Lust bekommen habt, euch das Heft mal anzuschauen, dann könnt ihr es ganz unkompliziert und völlig kostenlos über die Projektseite auf itch.io herunterladen. Zum Schluss noch ein herzliches Dankeschön an André. Nicht nur, weil er mich dazu eingeladen hat, hier von meiner kreativen Reise zu berichten, sondern auch dafür, dass er mit VSG so eine wunderbare und einzigartige Community rund um unser liebstes Hobby aufgebaut hat.
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