Wir befinden uns etwa in der Mitte der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Ganz Deutschland ist von Commodore besetzt … Ganz Deutschland? Nein! Ein paar vereinzelte User hören nicht auf, dem Brotkasten Widerstand zu leisten.
Dabei sind sie fast so allein auf weiter Flur wie der allseits bekannte Haufen Gallier aus der Feder Uderzos und Goscinnys. Der geneigte Leser mag sich nun fragen: wie konnte das geschehen? Machen wir also einen kleinen Zeitsprung zurück in das Jahr 1985.
Helmut Kohl regiert das Land, in den Charts geben sich (unter anderem) Modern Talking, Tina Turner und Falco die Klinke in die Hand und der Verfasser dieser Zeilen spielt vermutlich gerade H.E.R.O. auf dem Atari 2600. Zu diesem Zeitpunkt steht die Computer-Zukunft des gerade mal 11-jährigen Zockers noch in den Sternen – doch wenn die Dinge ihren natürlichen Lauf nehmen, krönt wohl bald ein C64 seinen Schreibtisch. Doch irgendetwas lief schief. Schuld waren wohl die eher klammen finanziellen Umstände, in denen die Familie seinerzeit lebte.
Die Preise für einen C64 im Jahre 1985 sind dem Verfasser dieser Zeilen (der übrigens bald in die Ich-Perspektive wechseln wird, versprochen) zwar gerade nicht zur Hand, es darf aber bezweifelt werden, dass man diesen gebraucht für 100,– DM hätte erwerben können. Mit genau dieser Summe nämlich wurde ein „Computer“ ohne nähere Angabe zum Modell auf einer Karte am „Kaufe/Verkaufe“-Brett im örtlichen Einkaufszentrum beworben.
Mögen die Spiele beginnen
Und so nahm das Schicksal seinen Lauf: meine Mutter zog von dannen und kehrte alsbald mit dem uns noch völlig unbekannten Computer zurück, der sich beim näheren Hinsehen als ein Sinclair ZX Spectrum mit 16k Speicherkapazität entpuppte. Ein paar Infos, wie man ein Spiel lädt, waren auch dabei – sowie eine einzelne Kassette voller „Sicherheitskopien“. Wir verbanden also den Computer mit einem kleinen Schwarz/Weiß-Fernseher und schickten uns an, ein Spiel zu laden. In Ermangelung eines Kassettenrekorders (den wir zweifellos hatten, die Gründe entfallen mir) schlossen wir einfach einen Walkman an – und es funktionierte! Das erste Spiel auf der Kassette sollte also mein allererster Einblick in die Welt des Spectrums werden, und besser hätte dieser kaum sein können. Handelte es sich doch um das Spiel Jetpac von der britischen Softwareschmiede Ultimate – Play The Game.
Diese Firma sollte Jahre später unter dem Namen Rare Ltd. große Erfolge auf diversen Nintendo-Konsolen feiern. Was soll ich noch zu Jetpac sagen? Für einen 16k-Computer, bei dem sowieso fast die Hälfte vom RAM für den Bildschirmspeicher draufging, war das Spiel schlichtweg brillant! Mein älterer Bruder (der später ebenfalls nicht den „Commodore-Weg“ gehen sollte) und ich waren bis dahin die meist recht grobpixeligen Grafiken des Atari 2600 gewöhnt – die Spectrum-Grafiken, trotz der relativ mageren 256×192-Auflösung, erschienen uns da nicht zuletzt wegen der quadratischen Pixel doch wesentlich detaillierter. Kurz, wir waren schon ziemlich begeistert von dem, was diese kleine Kiste leistete.
Auf der Kassette befanden sich übrigens auch die anderen 16k-Titel von Ultimate (Pssst!, Cookie und Tranz Am) sowie eine Handvoll weiterer Spiele von anderen Herstellern, die zwar bei weitem nicht die Qualität der Ultimate-Titel erreichten, aber uns dennoch ganz gut unterhielten. Es folgten Wochen voller Spielspaß.
Vom C64 hatten wir zu dem Zeitpunkt übrigens auch schon mal vage hier und da gehört und etwas gesehen, aber nicht genug, um jetzt ein besonderes Interesse für das Gerät zu entwickeln. Zu teuer wäre er für unseren Geldbeutel sowieso gewesen – zumal, wenn eine Floppy hätte dabei sein sollen, die ja doch recht schnell zur C64-Standardausrüstung gehörte. Zudem hatten wir keine Ahnung von den Leistungsdaten der verschiedenen Systeme, daher waren wir mit dem kleinen Spectrum schon sehr zufrieden.
Have a break, have an Atari
Einige Monate später kündigten sich große Veränderungen in unserem Hause an. Zum einen ließen wir uns von einem Kumpel zu einem Tausch überreden: unser Spectrum 16k gegen seinen Atari 600XL. Der 600XL sah gegenüber dem vergleichsweise winzigen Spectrum mit seiner Gummitastatur schon wie ein richtiger Computer aus, so dass uns die Wahl – leider, wie sich später herausstellen sollte – leicht fiel. Nicht mal das Handbuch oder eine Datasette waren dabei, so dass wir eigentlich nicht allzu viel mit dem Ding anstellen konnten. Übrigens: bereits Monate zuvor hatte sich unser Onkel einen Schneider CPC 464 geleistet, von dem wir ziemlich angetan waren. Mein Bruder wollte daraufhin unbedingt einen haben, und irgendwann stand tatsächlich einer bei ihm auf dem Tisch. Den Spectrum hatten wir uns zuvor geteilt, und so kam ich in den zweifelhaften Genuss, den unseligen Atari 600XL ganz für mich allein zu haben. Mein einziges Spiel dafür war ein Steckmodul namens Caverns of Mars – nicht gerade eine Spielspaßgranate.
Mr. Spectrum, willkommen zurück. Wir haben Sie … vermisst!
Während mein Bruder also Spaß mit seinem CPC hatte, war ich mit dem 600XL alles andere als glücklich. Mittlerweile war es Mitte 1986 und der Wunsch keimte auf, wieder einen Spectrum mein Eigen zu nennen. Und so sollte es dann auch sein. In der Photo Porst-Filiale auf der Kölner Schildergasse erstanden wir ein 48k-Modell und wenn ich mich nicht irre, wechselten ca. 250,– DM dafür den Besitzer. Der CPC war teurer gewesen, kam aber dafür natürlich auch gleich mit einem Grünmonitor. Beim Spectrum musste halt wieder der olle Schwarz/Weiß-Fernseher herhalten, aber ich war glücklich – endlich wieder ein brauchbarer Computer. Hin und wieder kam ich in den Genuss, das Ding an den großen Farbfernseher im Wohnzimmer anzuschließen.
Auf dem Schulhof wurde keine Speccy-Software getauscht. Also musste Originalsoftware her.
Dirk Mayer
Was mir jetzt fehlte, waren Spiele. Während der C64 sich zu dieser Zeit anschickte, aufgrund stetig sinkender Preise endgültig seinen Siegeszug hierzulande anzutreten und der berüchtigte „Schulhof-Softwaretausch“ in Gang kam, hatte ich als Speccianer diesen Luxus nicht. Noch nicht. Auf dem Schulhof sowieso niemals. Also musste Originalsoftware her. Anno 1986 gab es diese auch noch vereinzelt in Kölner Geschäften. Zu meinen ersten gekauften Spielen gehörte das legendäre Jet Set Willy, welches ich bereits auf dem CPC, zusammen mit seinem Vorgänger Manic Miner, liebgewonnen hatte.
Ein winziger inhabergeführter Laden in der Kölner Südstadt hatte eine „Grabbelkiste“, bei der es sich um einen simplen, großen und reichlich ramponierten Pappkarton handelte, voller Spiele für 9,90 DM. Die meisten Titel waren schon recht betagt, aber da ich die Spiele sowieso nicht kannte, musste man einen Glücksgriff wagen. Geld für zwei Spiele hatte ich dabei – ich entschied mich für Lunar Jetman von Ultimate, was sich als gute Wahl entpuppte, ließ mich aber leider von meinem Bruder dazu überreden, als zweiten Titel Flak von U.S. Gold zu nehmen. Mann, war das Spiel mies! Von da an entschloss ich mich, nicht mehr auf Kaufempfehlungen meines Bruders zu hören. Nebenbei bemerkt hatte U.S. Gold auf dem Speccy keinen besonders guten Ruf, da die Umsetzungen meist recht bescheiden waren, wie ich im Laufe der Jahre herausfinden sollte. Obwohl einige U.S. Gold-Titel wirklich tolle Ladebilder hatten – nämlich die von Frederick David Thorpe, der auch für andere Softwarehäuser wie Ocean/Imagine einen Haufen äußerst ansehnlicher Ladebilder fabrizierte, welche man hier sehen kann.
Auch sonst gab es in den folgenden Monaten reichlich Gelegenheit, relativ billige Originalsoftware zu ergattern. Im Alten Wartesaal unter dem Kölner Hauptbahnhof, einigen vielleicht durch die „Mitternachtsspitzen“ aus dem WDR-Fernsehen bekannt, gab es seinerzeit in rustikalem Ambiente hin und wieder Computerflohmärkte.
Mit 48 Tapes in den Softwarehimmel
Auch an anderen Orten in der ganzen Stadt gab es derartige Veranstaltungen, wo ich Spiele wie Rambo oder Hexenküche 2 (ja, ein lokalisierter Titel für den Spectrum – damals eine Seltenheit) und einige ältere Imagine-Titel für läppische 2,– DM ergatterte – keine Bootlegs wohlgemerkt, sondern richtige Originale, teilweise aber ohne Kassettenhülle und Anleitung. Auch bei den sehr netten Leuten von Joysoft wurde man fündig – Highlights für mich waren zweifellos Starquake und Jack The Nipper, beide für jeweils unter 20,– DM. Zu guter Letzt staubte ich in dem eingangs erwähnten Winzig-Laden ein paar brauchbare bis gute Titel wie beispielsweise Dynamite Dan ab, die mittlerweile auf äußerst schülergeldbeutelfreundliche 2,50 DM reduziert waren.
Bis Mitte 1987 hatte ich eine für einen 13-jährigen recht ansehnliche Originalsoftwaresammlung aufgebaut, die einige Dutzend Spiele umfasste. Es sollten aber noch viel mehr werden, denn auf einem dieser Computerflohmärkte traf ich einen Typen, der ein rudimentäres Freezer-Interface in typischer Final Cartridge-Machart für den Spectrum anbot, welches ich natürlich haben musste. Es stellte sich heraus, dass der gute Mann mittlerweile zwar zum Atari ST konvertiert war, aber seine Spectrum-Kassetten immer noch besaß. Er lieh mir also über die Sommerferien (die ich sowieso auf „Balkonien“ verbringen musste) zwei kleine Koffer, die jeweils 24 Tapes voller „Sicherheitskopien“ enthielten – ich war im Softwarehimmel!
Die nächsten Wochen waren erfüllt von Zockerei und Kopiererei, und meine Sammlung wuchs und gedieh. Die Brotkasten-Fraktion, die mittlerweile in meiner Schulklasse stark angewachsen war, lästerte natürlich über meinen Gummitastenknecht.
Ach ja, die guten alten Compikriege, hm? Als einziger Speccianer weit und breit war dies ein aussichtsloser Kampf, der mir aber sowieso am Allerwertesten vorbei ging. Ich spielte ja auch gerne bei Klassenkameraden daheim mit ihnen am C64 und konnte durchaus die vor allem für Spiele viel besseren Grafik- und Soundfähigkeiten erkennen und schätzen. Auch am CPC meines Bruders hatte ich viel Spaß. Aber der Spectrum war mir inzwischen so ans Herz gewachsen, dass ich dabei blieb. Unterbrochen wurde der Spieltrieb lediglich irgendwann mal vom Ableben der für ihre Anfälligkeit berüchtigten Tastaturfolie unter dem Keyboard, was sich darin manifestierte, dass einige Tasten nicht mehr funktionierten… da hieß es dann erstmal für ein paar Wochen „Game Over“, bis Ersatz da war.
Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft
November 1987. Oder war es schon Dezember? Egal! Welcher der beiden Monate es auch war, er stellte für mich eine Zäsur dar. Mein Bruder erzählte mir von der Bahnhofsbuchhandlung am Kölner Hauptbahnhof, die jede Menge englischsprachiger Magazine vorrätig hatte. Also machten wir einen Abstecher dorthin, er kaufte sich eine C+VG und wir entdeckten meine zukünftige Bibel: CRASH. In Großbuchstaben. Weil die Zeitschrift sich immer so auf sich selbst bezog. Eine Zeitschrift, die sich nur mit dem Spectrum befasste. Absolut undenkbar in Deutschland, und für 7,50 DM war sie mein.
Da in den meisten deutschen Zeitschriften außer der ASM kaum Spectrum-Software getestet wurde und auch in den Werbeanzeigen häufig eine (existierende) Spectrum-Version verschwiegen wurde, da sich der Vertrieb hierzulande wohl nicht rechnete, war bei mir längst der Eindruck entstanden, dass es kaum Spiele für den Spectrum gab. Ein Blick in die CRASH strafte mich Lügen. Ich konnte mich an all den Screenshots gar nicht sattsehen! Und erst die neuen Speccy-Modelle +2 und +3, die gerade im gleichen Heft beworben wurden – so einen wollte ich auch.
Meine erste CRASH-Ausgabe. Ich konnte mich an all den Spectrum-Screenshots gar nicht sattsehen!
Dirk Mayer
Kurz darauf kaufte ich mir auch die ASM-Ausgabe 12/1987. Tolle Ausgabe, dabei ein nettes Preisausschreiben, bei dem man das Spiel Exolon gewinnen konnte. Was ich dann auch tat, denn die Frage war saueinfach. Blöd war nur, dass man mir zunächst die C64-Version zuschickte… auf jeden Fall gefiel mir die ASM schon ziemlich gut, und wenn ich mich nicht irre, fing auch etwa in dieser Zeit der „Suche Tauschpartner“-Wahn in den Kleinanzeigen an. Übrigens hat mich der damalige Chefredakteur, Manfred Kleimann, mit seinem „Anführungszeichen-Schreibstil“ nachhaltig beeinflusst…
Zurück zum Spieletausch. Da ich kaum neuen „Stuff“ hatte, antworteten die wenigen Speccianer, die in der ASM inserierten, oft erst gar nicht auf meine Briefe. Frust machte sich breit! So konnte ich mir also die ganzen tollen Games in meinem nun regelmäßig gekauften englischen Blatt zwar auf den Screenshots ansehen, aber nicht spielen.
In der Zwischenzeit hatte ich übrigens endlich einen Spectrum 128 +2 zum Geburtstag bekommen. Etwas enttäuscht war ich aber zunächst schon, da neben dem zusätzlichen RAM, dem annehmbaren, aber nicht weltbewegenden AY-3-8912-Soundchip und einigen Schnittstellen (darunter zwei nutzlose, weil Atari-inkompatible Joystickports) keine großartigen Neuerungen hinzugekommen waren. In einer deutschsprachigen Werbeanzeige hieß es glatt: „die Bildschirmauflösung wurde stark verbessert“, was sich lediglich als eine sauberere Bildausgabe mit weniger Bildrauschen herausstellte – und ich hatte auf mehr Pixel gehofft. Käufertäuschung! Ich war dann doch ein wenig empört.
„For the newest stuff write to …“
Tja, da hatte ich nun also einen 128k-Speccy, aber im Gegensatz zu all meinen Klassenkameraden, die in C64-Software schwammen, keine Tauschpartner. Glücklicherweise änderte sich dies, als sich ein ziemlich cooler Typ aus Bayern erbarmte, mir dennoch zurückzuschreiben und mir eine Kassette voller noch relativ neuer Games zuschickte. Alles Freezer-Kopien, aber juckte das einen 14-jährigen? Tat es nicht.
Einige der Spiele wie etwa Trantor, Barbarian oder Jack The Nipper 2 hatte ich noch wenige Monate zuvor in meiner ersten CRASH angesabbert. Im Laden hätte es die Speccy-Versionen zu der Zeit – es war jetzt Frühjahr 1988 – hierzulande sowieso nicht mehr gegeben. In den folgenden Monaten fand ich noch weitere Tauschpartner im gesamten Bundesgebiet (einige mit den damals berüchtigten PLKs), so dass der Spielenachschub von jetzt an gesichert war und auch neuere Games wie Cybernoid, Platoon, R-Type oder Where Time Stood Still, um nur einige bessere Beispiele aus dem Jahr 1988 zu nennen, den Weg auf meinen Rechenknecht fanden. Schultage endeten nun immer mit der Hoffnung, einen fetten, weil mit einer C60- oder C90-Kassette gefüllten, Briefumschlag auf meinem Schreibtisch vorzufinden.
Erste Spectrum Cracker-Intros
Eine Cracker- und Demoszene war auf dem Spectrum damals quasi noch nicht existent, da man viele Spiele mit den meisten Kopierprogrammen recht problemlos kopieren oder einfach ein Doppel-Tapedeck verwenden konnte. Dementsprechend waren Cracker-Intros eine Seltenheit, doch als mich eine Kassette mit dem Sidescroll-Prügler Target Renegade erreichte, staunte ich über das Intro mit Rasterbalken und Laufschrift, denn so was kannte ich bis dato nur vom C64 sowie aus Demos für den CPC. Es stellte sich heraus, dass mein Tauschpartner höchstpersönlich für dieses Intro verantwortlich war. Mein Interesse war geweckt und er schickte mir sogar den Sourcecode für eine ähnliche Routine zu. Da ich allerdings von Assembler damals noch keinen Plan hatte, konnte ich nicht viel damit anfangen und bei meinen Versuchen, etwas am Source zu verändern, stürzte der Speccy oft ab. Erst recht blöd, wenn man mit Kassette arbeitete…
Demo or die!
In den kommenden Jahren veränderte sich die Welt des Spectrums rapide. Sowohl allgemein als auch für mich selbst. Die 16-Bitter waren längst dabei, den Markt zu erobern und obwohl auch 1989 noch reichlich Spiele für den Speccy erschienen, merkte man immer öfter, dass Umsetzungen von wesentlich stärkerer Hardware zu ambitioniert für den betagten 8-Bitter waren. Dazu kamen die überhand nehmenden Filmumsetzungen – kein Vergleich mit den oftmals frischen und unverbrauchten Ideen der früheren Jahre.
Der Zeitschriftendschungel blieb von dieser Entwicklung natürlich nicht verschont, und so musste ich Mitte 1989 mit Entsetzen feststellen, dass die vormals mit meist ca. 120-150 Seiten (Weihnachtsausgaben waren noch dicker) gesegnete CRASH über Nacht zu einem dünnen „Pamphlet“ von gerade mal ca. 40 Seiten mit Covertape mutiert war. Dieser Tag markierte den Beginn eines schleichenden Niedergangs. Im Laufe der nächsten Jahre nahm der Seitenumfang der CRASH zwar wieder zu, jedoch wollte mir der zunehmend kindische Inhalt und überhaupt der ganze Stil, den das Heft nach und nach annehmen sollte, so gar nicht schmecken. Gekauft habe ich das Blatt aber trotzdem bis zum bitteren Ende – alte Ausgaben aus den Jahren 1985-1987 hatte ich auch rechtzeitig erworben. Dass ich heute fast nie eines der Hefte ab 1989 in die Hand nehme, wenn ich mal wieder in einer CRASH schmökern möchte, versteht sich von selbst.
Aber da war doch noch was? Genau, es hieß von nun an „demo or die“! 1989 machte ich nämlich meine ersten Schritte in Assembler und gründete zusammen mit einem meiner Tauschpartner die Demogruppe The Mad Guys (kurz TMG). Ich war aber zunächst der Einzige, der überhaupt etwas codete. Ach, was heißt hier „coden“? Ich schrieb ein paar ziemlich ärmliche „Intros“ unter Zuhilfenahme einer geklauten Scrollroutine, wobei der Teil, der die verschiedenen Routinen aufrief, noch nicht einmal Assembler war, da er in compiliertem Basic geschrieben wurde. Hin und wieder waren geklaute Grafiken dabei und Sound gab es in den ersten Intros sowieso nicht. Kurz gesagt, mit Ruhm bekleckern geht anders.
Irgendwann 1990 – der C-F (alias Computer-Flohmarkt) war gerade im Aufwind – kamen sowohl neue Crewmember als auch ein Disklaufwerk für mich selbst dazu, die Spiele wurden gefühlt immer schlechter, unsere Demos dafür immer besser. Naja, relativ besser halt, denn besonders toll waren sie immer noch nicht. Ich rippte Sounds aus Spielen, da es bis dato noch kein vernünftiges Soundprogramm gab. Alles hatte einen etwas faden Beigeschmack, da man kaum von einer Demoszene reden konnte.
Die Polen kommen!
Eigentlich heißt es ja immer „Die Russen kommen!“ Die waren aber noch nicht an der Reihe. Vielmehr waren es zunächst die Polen und andere „Ostblockler“, die uns überraschen sollten. Denn irgendwann im Jahre 1991 kam mein TMG-Kollege Vision in Kontakt mit ein paar polnischen Freaks und es stellte sich heraus, dass die Spectrum-Demoszene im Osten lag.
Innerhalb weniger Monate hatten wir Zugriff auf Hunderte Demos, die uns natürlich auch inspirierten. Mein anderer TMG-„Homie“, Talisman, schrieb im folgenden Jahr einen Brief an eines der britischen Speccy-Magazine, um zu fragen, warum eigentlich Demos überhaupt nicht behandelt wurden. Er verursachte so ganz unbeabsichtigt und nebenbei das Erscheinen einer neuen Rubrik, da die Leutchen vorher doch tatsächlich noch nie von Demos gehört hatten. Quasi über Nacht waren wir im Mutterland des Spectrums bekannt und unsere Demos wurden in dieser Rubrik vorgestellt – einige landeten sogar auf einem Covertape. Ich wage zu behaupten, dass das späte Entstehen der britischen Demoszene durch uns beschleunigt wurde… ausgerechnet von Deutschen!
Wir schrieben weiterhin fleißig Demos und bald konnte ich dank eines von einem Polen programmierten Freeware-Soundtrackers, der sich sehr am legendären Amiga-„Ultimate Soundtracker“ von Karsten Obarski orientierte und zum Glück englischsprachig war, eigene Musikstücke für meine Demos kreieren. Die CRASH ging dann irgendwann auch den Weg alles Irdischen, dicht gefolgt von den beiden anderen verbliebenen Speccy-Magazinen, die 1993 für immer die Schotten dichtmachten. Auch das letzte kommerzielle Spiel für den Spectrum erschien in diesem Jahr. Und welch ein Zufall, dass gerade, wo ich diese Zeilen schreibe, in meinem Winamp-Player ein Remix des C64-Stückes „Trap“ von Ben Daglish endzeitmäßig auf sein Ende zugeht, was musikalisch ziemlich gut zu diesem Niedergang passt… aber ich schweife ab.
Seit 1990 hatten diverse Konsolen und auch ein Amiga/Archimedes in unserem Haus Einzug gehalten. Auf dem Speccy spielte ich verständlicherweise nach dem Erwerb von SNES und PC-Engine immer weniger und zwischenzeitlich musste ich zum Bund. Ich schrieb in diesen Jahren noch einige wenige Demos und hatte auch meine eigene Demorubrik im Fanzine eines deutschen Clubs, aber mein Interesse am Speccy nahm stetig ab. Was dagegen nicht schwand, war der Anteil an russischen Demos in der Szene. Der Speccy war dort bis weit in die 90er sehr beliebt und so fanden zunehmend Demos von dort den Weg in unsere Gefilde. Leider liefen diese oft nicht besonders gut und flüssig auf der Originalhardware, da die Russen ihre eigenen Klone hatten, die nicht nur einen höheren Takt und mehr RAM aufweisen konnten, sondern auch noch mit anderem Schnickschnack aufwarteten. Meines Wissens gibt es bis heute noch eine recht große Demoszene in Russland.
Macht’s gut und danke für den Fisch … äh, die Erinnerungen
Während 1997 Hongkong an China zurückging, ging bei mir nur eines, nämlich der Speccy. Und zwar endgültig in die Mottenkiste. Erst zwei Jahre später fing ich wieder mit der Computerei an, mit meinem damals ersten Windows 98-PC. Die Ära des technisch schwachbrüstigen, aber dennoch kultigen kleinen Kastens war für mich vorbei, nachdem sie bereits ab Mitte der 90er sowieso für ein paar Jahre in völlige Dunkelheit getaucht war – in britischen Foren nennt man diese Zeit die „Twilight Years“, nämlich die Jahre, bevor der aufkommende Retro-Boom im noch jungen Millennium im Internet das Interesse an den alten Geräten wieder belebte und sich die Jünger der 8-Bit-Generation in diversen Internetforen zusammenfanden. Für mich war es die World Of Spectrum-Seite, die ich schon lange vor Kultboy.com entdeckte.
In britischen Foren wird die Zeitspanne vor dem Retro-Boom als die „Twilight Years“ bezeichnet.
Dirk Mayer
Und hiermit soll diese langatmige Exkursion in die Welt des Speccies nun ihr Ende finden. Nicht jedoch, ohne noch kurz die Frage von André zu beantworten, die da lautet, warum ich den Spectrum eigentlich so gemocht habe. Nun, ich kam ja zu dem Ding wie die Mutter zum Kinde. Und obwohl ich sicher später auf den C64 oder CPC hätte umsteigen können, hatte dieser kleine Kasten, der so gar nicht für Spiele gemacht war, mich bereits vollends in seinen Bann gezogen. Dass er sich durch seine Schwächen ziemlich von den Mitbewerbern unterschied, die fast alle höhere Auflösungen/Farbdichten, Custom-Chips für Scrolling und Sprites und von Beginn an einen richtigen Soundchip aufweisen konnten, störte mich nicht so sehr – zumal ich das anfangs ja auch gar nicht wissen konnte. Der Spectrum hatte seinen ganz eigenen Charme, er war recht einfach zu programmieren und durch das Fehlen jeglicher Custom-Chips kam es wirklich nur auf die reine Prozessorleistung an. Und hier nahmen etliche meist britische Programmierer die Herausforderung an und kitzelten Dinge aus dem Gerät, von denen Sir Clive Sinclair nie zu träumen gewagt hätte. Beispielhaft sind einige fantastische mehrstimmige Musikstücke, die dem Beeper entlockt wurden und die (leider viel zu wenigen) Spiele, die mit flüssigem Scrolling, teils sogar der Parallax-Variante, glänzten.
Übrigens: einen „echten“, physischen Spectrum habe ich seit 1997 bei mir selbst nicht mehr in Betrieb gehabt – wozu gibt es Emulatoren?
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