Im Osten… und im Westen… ein Konflikt… der Ost-West-Konflikt. Ein Leben zwischen den Großmächten. Wir sind Kinder der 1980er Jahre – zumindest waren einige von uns jugendlich in dieser Zeit. Damals lebten wir mit einem Konflikt, der Abends in der Tagesschau oft Thema war und bei dem unseren Eltern Angst und Bange wurde. Erwachsene nahmen das damals sehr ernst. Wir nicht. Für uns war das ein Spiel. Ein Spiel, welches es zu gewinnen galt.
Uns interessierten die Geheimdienste nur der Spionage wegen (Hausaufgaben abzuschreiben war eine Sache – die Aufgaben der nächsten Mathearbeit eine Woche vorher zu bekommen, die Bessere) und die Atomraketen (das machte so schön „Krawumm“).
Die Klassenfahrt nach West-Berlin war toll, da sah man Amerikanische Soldaten mit echten Maschinengewehren! Unsere Gedanken waren frei, videospielorientiert und spektakulär. Sorgen hatten wir keine, und uns interessierten die wahren Hintergründe, wie zum Beispiel die verschiedenen Auswirkungen von politischen Beziehungsproblemen zwischen den Blöcken, die dieses Desaster eines potentiell möglichen Ausartens solch einer Gefahr ermöglichten, natürlich überhaupt gar nicht. Uns interessierten nur die Filme und Videogames. Die mit Krieg. Die mit Schießen. Und die mit den bösen Russen.
Selbstverständlich war das Angebot an all diesen Dingen da – so wie es auch heute noch vorhanden ist, wenn man sich für eine Sache interessiert. Die Zeitabstände zwischen dem „Besorgen der Informationen“ und dem Anwenden selbiger waren allerdings viel länger als heute. Das konnte schon mal einen Monat dauern, denn erst dann kam die neue 64er und wir erfuhren von neuen Spielen.
Wir kamen von der Schule, Mutter hatte das Essen schon auf dem Tisch, dann noch schnell die Hausaufgaben die man nicht im Bus abschreiben konnte gemacht und dann ran an den Computer. Um 18 Uhr gab es Abendbrot. Um 21 Uhr war dann Schluss mit Zocken. Zumindest offiziell. Irgendwann (wahrscheinlich am Wochenende) hatten wir auch mal Zeit, um im Wald den Krieg fortzusetzen (wir schossen mit Gummigewehren aufeinander) oder unsere Informationen zu besorgen. Ansonsten gab es nur die drei „Z“… zocken, zocken, zocken…
Das Spiel „Weltweiter Thermonuklearer Krieg“ habe ich auf den Disketten leider nicht gefunden.
Jens Sommerfeld
Als David Lightman 1983 in den deutschen Kinos fast den Dritten Weltkrieg ausgelöst hatte, wurde ich hellhörig. Das wollte ich auch. Also nicht den Dritten Weltkrieg, sondern mit Joshua flüssig reden (den Begriff „chatten“ kannte ich damals nicht), nebenbei noch „Global Thermonuclear War“ spielen und dann Jennifer küssen. Und (fast) alles mit dem Computer. Was will man noch mehr?!
Mein Joshua hieß auch Joshua, lief auf dem C64 und war von mir in BASIC selbst programmiert… und gab somit immer die gleichen Antworten, egal wie die Frage war. Das Spiel „Weltweiter Thermonuklearer Krieg“ habe ich auf den Disketten leider nicht gefunden und Jennifer hieß in Wirklichkeit Vera und wollte nicht. Schade. Die Realität sah leider völlig anders aus.
Aber gab es die überhaupt? Der Begriff „Realität“ bezog sich damals nur auf die kleine Welt, in der ich lebte. Die Idee vom globalen Dorf gab es schon, war mir aber nicht bekannt. Impliziert bedeutet das: Ich lebte in meiner eigenen Welt, wie sie sich durch Filme und Videospiele erschloss. Fantasie war hier großgeschrieben und beherrschend.
Nicht einmal kam es mir in den Sinn, das eine Phantom F-4 ja nur dem einen Zweck dient, nämlich im Falle des Falles in den Krieg zu fliegen und Menschen zu töten – und nicht um nur cool zu klingen, die Schallmauer zu durchbrechen und krass auszusehen. Habe ich früher die Realität verpasst? Ja, und ein Stück weit sogar verdrängt! Gott habe die Welt geschaffen (wurde mir gesagt), und somit hat er auch den Computer erfunden. Konrad Zuse wird das sicher nicht gerne gehört haben.
RAID OVER MOSCOW (1984) Raid over Moscow galt damals als der Inbegriff für eine bestimmte Art von Spielen. Es lief auf den gängigen Homecomputern. Ziel des Spiels ist es den Hauptreaktor lahm zu legen und den sowjetischen Atomangriff zu verhindern. Erst 2010 wurde es vom Index genommen. Verbreitet wurde es damals hauptsächlich über Raubkopien. In Zeitschriften wurde es damals mit dem Slogan „PLAY IT LIKE THERE'S NO TOMORROW!“ beworben.
Die Verleugnung der Realität und das Begreifen selbiger waren zwei Parallelen, wobei mir ersteres lieber war. Wenn die Ghostbusters durch Kreuzen der Strähle die Protonenenergie umgekehrt hätten, wären wir alle nicht mehr hier. Aber wie wir auch alle wissen haben die das ja getan, ohne das etwas passierte (außer, das die Bösen besiegt wurden). Und die Bösen waren für uns (auch das wurde uns gesagt): Die Russen.
Die Russen waren für uns alles, was im Osten ist. Aber wo das genau war, wussten wir nicht (rechts glaube ich). Und auf jeden Fall waren die Russen weiiiiiiiiiiiiiit weg! Ganz weit. Ich hatte auch noch nie einen Russen gesehen (außer Ivan Rebroff auf einem Schallplattencover, aber der war ja in Wirklichkeit Deutscher, das wurde mir aber komischerweise nicht gesagt).
Die spielerische Welt, in die wir damals eintauchten, hatte oft das Wort „Russland“, „Moscow“, „rote Gefahr“ und „Ostblock“ auf dem Titelcover. Uns interessierten natürlich hauptsächlich die Spiele, die auf dem Index waren. River Raid, Commando, Falcon Patrol, Green Beret und natürlich an forderster Front Raid over Moscow. Dazu empfehle ich diesen wunderbaren Bericht von Heinrich Lenhardt hier auf VSG.
Alles war damals sehr spannend, nur nicht der wirkliche Konflikt. Wir waren geprägt durch eine „Da-wird-schon-nichts-passieren“-Aussage der Mutter bis „Das-kann-jederzeit-passieren“-Aussage des Vaters. Nicht zu vergessen die „Das-wird-sicher-passieren“-Aussage der Großeltern, die ja schon einen echten Krieg miterlebt hatten und somit wussten, wozu Menschen fähig sind. Somit waren wir unsicher. Was wird denn nun?
Schießen die Russen oder die Amerikaner zuerst?? Können wir mitschießen??? Die Welt war ein Spielball, und wir waren die Protagonisten. Selbst das BMX-Rad wurde als Spielzeug gesehen, obwohl einem ein Sturz schon irgendwie die Realität vor Augen führte, wir das aber verdrängten, denn wir kannten keinen Schmerz. „Bitte Mama, kein Jod!! Auuuuuuuaaaaahhhh“…
SDI (STRATEGIC DEFENSE INITIATIVE)
Der Kalte Krieg sollte 1983 von den Amerikanern unter Ronald Reagan in den Weltraum verlagert werden. Das Projekt hieß damals „SDI“ (Strategic Defense Initiative) und war teuer und kaum sinnvoll. Auch in dem Spiel war der Weltraum ein Thema.
Die Spielewelt in Pixeln war simpel. Erst mal aus der Halle rausfliegen, dann nur noch Ballern. Bäume waren auch Ziele. Anders als bei Missile Command, wo wir ja die Atomraketen abwehren mussten, konnten wir hier alles zerstören, was uns vor den Lauf kam. Es war die Goldene Ära der Videospiele. Und nur die zählten für uns. Die echte Bedrohung war uninteressant, weil wir daran nicht aktiv teilhaben konnten (zum Glück).
Wir sahen Filme wie „The Day After“ und Wargames, aber das war kein Schock, das war eher cool. Damals sagten wir aber nicht „Cool“, sondern „Super“ oder „Alles Bonanza“. Vieles war toll. Filme sowieso. Rambo, Missing in Action, Karate Kid, Mad Max, Robocop, Indiana Jones, Star Wars und… jupp, der Terminator.
Wir nahmen Anteil in schärfster Form, verwandelten uns kurzfristig in die Filmhelden (eine Misching aus Chuck Norris, Eddie Murphy und Sylvester Stallone – also schwarz, klein und mit Bart) und interpretieren auch die Videospiele in einem Konsens frei nach dem Motto „Die Mischung macht’s“. Ob nun Commando oder Missile Command. Das alles war eine Mischung von Action, die unserer Fantasie freien Lauf ließen.
Heute sind diese Spiele für uns eine Art von Zeitmaschine und bringen uns zurück in die Zeit, in der wir all diese Dinge intensiv erlebten. Das Gefühl hat sich natürlich etwas verändert. Man geht nun anders an diese Dinge heran. Ost und West haben sich verändert. Der Kalte Krieg von damals ist inzwischen einem neuen Kalten Krieg gewichen.
Die Spiele hingegen sind immer gleich geblieben und werden uns auch weiterhin an eine unbeschwerte Zeit erinnern. Gut so.
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