Die Retropodcasts Spieleveteranen, Stay Forever oder Retrokompott erstaunen einen Hörer – diesen Autor – mit wenig guten Worten über den einstigen Computer- und Videospieleriesen Ocean Software. Erliegt der Hörer nostalgischer Verklärung? Eine bittersüße Reminiszenz an die Manchester Softwareschmiede, 1998 den Markt verlassen aber nie unseren Erinnerungen gewichen. Ich mag Ocean Software.
Es ist nicht die Geschichte des 1983 von David Ward und Jon Wells gegründeten Ocean Software, die hier wiederholt werden soll. Wikipedia, Chris Wilkins‘ und Roger Keans The History of Ocean Software oder Kim Justices wunderbare Videodoku berichten aufmerksam vom Aufstieg und Verschwinden der englischen Spieleentwickler, einst entstanden aus der Britischen Bedroom Coder Szene. Im Mittelpunkt dieser Reminiszenz steht die überlieferte Qualität der Produkte dieses Softwarehauses.
Diverse Bon Mots diverser Retrospiele-Podcasts bringen ab und an die Manchester Computer- und Videospiele-Pioniere ins Gespräch: Die gesammelten Ocean-Freunde sollen in die Gästetoilette passen, witzelt Retrokompott, bei Stay Forever erinnere man sich nicht an einen guten Ocean-Titel, irritiert blättern die Spieleveteranen während ihrer Zeitschriften-Zeitreise am „Batman – The Movie“ Power Play-Test vorbei. Wer zwischen 1983-1998 Ocean-Titel nicht persönlich rezipiert hat, den könnten unregelmäßige Podcast-Seitenhiebe verleiten, Ocean Software negativ zu besetzen. Dieser eine Hörer weiß jedoch von einer persönlichen, wertschätzenden Beziehung zum britischen Spieleriesen zu berichten.
Ein Meer voller digitaler Möglichkeiten
Es ist 1985. Inmitten klirrender Novemberkälte bemühen sich die tapferen Kräfte des Magistrats MA48 der Stadt Wien, meterhohe Schneemassen von den gefrorenen Straßen zu schieben; wo man einst gebannt mit einem Glas Spitz-Orangensaft an der Fensterscheibe klebte, um Lärm und Warnleuchten einzuordnen, verhallt das Geschehen nun unbeachtet in der Konzentration eines Happy Computer-Lesers. Nur das Glas wird noch immer umklammert als plötzlich beim Umblättern der rot-gelben Zeitschrift eine besondere Spieleanzeige erstrahlt, Rechtsplatzierung, versteht sich.
Feinst geairbrushte Fussballspieler hetzen dem zitternden Leder nach, darunter, gar größer als der eigentliche Spieletitel, ein wunderschöner bläulicher Schriftzug, aus dem Meer herausragend, verziert mit Reflexionen und Spiegelungen: „Ocean“! Dieser überwältigende Ersteindruck von ungemeiner Schönheit und Bescheidenheit, gleichsam Größe und Wertigkeit würde fortan den Happy-Leser begleiten. Das beworbene Spiel? Jon Ritmans Spectrum-Antwort auf Andrew Spencers C64-Evergreen International Soccer, Match Day.

Match Day ist ein Originalspiel aus der Central Street 6 in Manchester, ohne Lizenz und C64-Version. Das wunderschöne Ocean-Logo – aus dem Airbrush der legendären Roger Dean, der einst Psygnosis-Boxen zieren würde – diesen Ozean digitaler Versprechungen erlebt dieser Hörer in seiner ganzen Qualität auf dem C64, vor allem Lizenzspiele.
Ocean Software in den Händen eines einfachen Computerspielers
Rambo – First Blood Part II konfrontiert User deutscher Sprache nicht nur mit dem englischsprachigen Originaltitel des ursprünglichen Antikriegsfilms Ted Kotcheffs aus dem Jahre 1982 sondern der vollständigen Handlung des 1985er Sequels. Gerade auf die Liebesgeschichte des Blockbusters müssen Spieler verzichten, die sich sonst in einer Open World auf die Suche nach amerikanischen Kriegsgefangenen machen. Unterschiedliche Waffen, dezente Stealth-Elemente und Helikopterflug machen dieses Spiel überaus vielseitig. Für viele ist Oceans Rambo auch die Visitenkarte eines gewissen Martin Galways, der dem SID des C64 bis heute rockige Rhythmen entlockt.

Die Hunchback-Automatenumsetzung fasziniert mit pixelgenauer Darstellung des Arkadehits. Vielleicht einfach gestrickt aber gut les- und spielbar. Und stets die Anzeige, die Packung derart lebendig vom leider bereits verstorbenen Liverpooler Künstler Bob Wakelin inszeniert, dass Quasimodo einem in die Arme springt.

Limahls The Neverending Story-Titelsong donnert in seiner wunderschönen Martin Galway-Interpretation dem Hörer entgegen, vor ihm ein Grafikadventure der Extraklasse: Orte, Inventargegenstände und Charaktere sind von Ocean-Grafiker Simon Butler lebensnah ins Programm gepixelt, das Spiel ein Best-Of-Abenteuer, das ob seiner technischer Qualitäten Ocean Software aus der Masse hervorhebt.

Fast schon als Vorgeschmack auf spätere Point and Click-Programme präsentiert sich das joystickgesteuerte Frankie Goes to Hollywood als Mystery Drama und Who Dunit – sowie psychedelischer Existenztrip aus der Feder der externen Entwickler Denton Designs.

Batman, längst über Comics ins Herz geschlossen, betritt in The Caped Crusader ein Action-Adventure, das Denton Designs in dynamisch verknüpfte Comic-Panele originell auflöst, die 16-Bit Versionen wirken gar wie ein lebender Comicstrip.

Die Ocean Filmumsetzungen Batman – The Movie, Robocop, Platoon und The Untouchables entwickeln die Rambo-Designprämisse weiter in unterschiedlichen Minispielen, die jeweils Schlüsselszenen des lizensierten Films nacherzählen, technisch stets beeindruckend und gut spielbar.

Als die pixelperfekte Pang-Automatenumsetzung von Ocean France den Markt erreicht, zeigen sich verstärkt Einflüsse der japanischen Spieleentwickler. So verzaubert Elf als sidescrollendes Mini-Rollspiel, bunt, herzhaft, spaßig, während Lethal Weapon die Helden Martin Riggs und Roger Murtaugh als lustige Sprites nach JRPG-Vorbild laufend, springend und schießend durch die Handlung der damals dreiteiligen Filmreihe schickt.

Dieser exemplarische Erlebnisquerschnitt illustriert Oceans Geschäftsmodell. Lizenzprogramme vermischen sich mit Eigenkreationen sowie zugekauften Entwicklungen. Etablierte Marken wie „Rambo” oder „The Neverending Story“ steigern die Reichweite des Namens „Ocean“, die im Umkehrschluss originäre Spiele wie „Match Day“, „Head Over Heels“ oder „The Lost Patrol“ ermöglichen. Ob das Modell qualitativ erfolgreich war, soll gegenüber den kritischen Podcast-Stimmen eine quantitative Erhebung von Spielewertungen hinterfragen.
Der Spiele-Ozean quantitativ vermessen

Von 147 Spieletiteln zwischen 1984 und 1998 ermittelt der erstaunte Hörer Mittelwerte der unter kultboy.com je Titel gesammelte Wertungen deutschsprachiger Publikationen. Liegt nur eine qualitative Bewertung vor, so nimmt der Hörer eine 70% bzw. 40% Wertung für eine positive oder negative Beurteilung an – frühe Happy Computer Ausgaben kannten keine quantitative Beurteilung, Titel der Ocean-Marke „Imagine“ bleiben hier ausgespart.
Mit einem Gesamtmittelwert von 63% beweist sich Ocean Software als überdurchschnittliche Spieleschmiede.
75% der erfassten Ocean-Spiele erzielten eine Wertung über 50%, 57% der Titel mehr als 60% und 39% der Programme landeten jenseits der 70%.
Die ersten Spiele aus Manchester erfreuen die Testerschaft. In der Happy Computer 1/84 urteilt Josef Weigand, Oceans „Kong” käme im Vergleich zur Atarisofts offizieller Donkey Kong-Lizenz „hervorragend weg“. G. Ambler stellt sich in der RUN 1/85 begeistert Pistoleros aus „Highnoon“: „Ein makabres Schießspielchen mit exzellenter Grafik und guter Musik.“

Heinrich Lenhardt resümiert in der Happy Computer 1/86 zu „Daley Thompson’s Supertest“, das Programm würde am C64 zwar vom Genreprimus Summer Games II in den Schatten gestellt werden, „doch wer ein gewitztes Sportspiel für seinen Schneider oder Spectrum sucht, ist mit dem Supertest« gut bedient.“ Einige Monate später bemängelt Lenhardt in Happy Computer 5/86 die kreativen Anleihen, die sich „N.O.M.A.D.“ bei der Konkurrenz gönnt, attestiert dem Action-Adventure jedoch durchaus, ein „Actionspiel der Oberklasse“ zu sein.

Ocean schaukelt sich zwischen 1987 und 1992 zu seiner Blüte empor, so zum Beispiel mit einer liebevollen Umsetzung der 1986er-Roboter-Komödie „Nummer 5 lebt! (Short Circuit)“ und 78%. Das vom externen Studio Sensible Software für Ocean entwickelte „Wizball“ zaubert gar 92% in die Jahresübersicht.

1988 zeigt Ocean mit seiner intern entwickelten „Platoon“-Konvertierung auf. Hohe Wertungen im 80%-Bereich erobert der vielbeachtete Titel, dicht gefolgt von dem ebenso in den Katakomben der Ocean Zentrale entstandenen „Robocop“, dem mit Abstand erfolgreichsten Titel aus Manchester, der sich über ein Jahr in den Top Ten hielt (77%). Über die weiteren Jahre präsentieren sich intern entwickelte Lizenzen „Darkman“ oder „Hudson Hawk“ überaus robust. Selten aber willkommen sind eigenständige Konzepte, die sich trendbewusst geben: das bereits erwähnte „Elf“ (75%) glänzt mit den angesprochenen JRPG-Elementen, „The Lost Patrol“ (62%) eifert dem Cinemaware-Trend spielbarer Filme erfolgreich nach. Das mit schmucken Zwischensequenzen und -bildern großzügig veredelte „NAVY Seals“ lässt die Muskeln von Oceans Cartridgetechnologie spielen; geschickt jonglieren die Manchester Dungeon Coder Speicherblöcke zwischen Cartridge und C64, dass diese Filmumsetzung eine technische Freude ist – aber frustrierend schwer, weiß Jeff Davy in der Your Commodore Juni 1991-Ausgabe (60%).

Ebenso gefällt die In-House Entwicklung The Addams Family (Power Play 6/91, 69%): „[Überall sind] Bonusräume, Schalter und Geheimlevel versteckt. Auch nach häufigem Gebrauch nutzt sich das Spiel deshalb nicht ab,“ befindet Volker Weitz.
Externe Entwicklerfirmen bescheren Ocean allein im Jahr 1990 wichtige kritische Erfolge: Special FX („Midnight Resistance“, 78%), DID („F29 Retaliator“, 74%) und Realtime Games („Battle Command, 83%). „Worms“ von Team 17 (95%, 1995) existiert bis heute als wahrer Kulthit.

Ocean Softwares Popularität kentert
Die marktrelevanten Indikatoren zeigen Ocean Software in einem positiven Licht. Was beeinflusste den Spielejournalismus also derart nachhaltig, dass Podcasts Ocean Software heute vermeintlich verzerrt apostrophieren?
Reflektieren wir nochmals: die Geschäftsstrategie der Manchester Software-Gießerei legte großen Wert auf popkulturelle Werte. Neuankündigungen Oceans lasen sich daher wie ein Kino- oder TV-Programm. Ein absoluter Publikumsmagnet des Jahres 1985 ist die amerikanische Fernsehserie „Knight Rider“.
„Knight Rider“ gilt als Pflichttermin im deutschsprachigen Raum, in Österreich im Vorabendprogramm um 18.30 Uhr. Die gesamte Familie vereint sich jeden Wochentag, wenn ein Auto, ein Computer, ein Mann für Recht und Verfassung sorgen, nämlich Michael Knight und sein AI-Auto K.I.T.T., der Knight Industries Two Thousand. Dieses außergewöhnliche Gespann, umgeben vom kalifornischen Sonnenuntergang, war in aller Munde, ob in der Schule, beim Friseur oder an der Busstation. Ocean landete mit der Lizenzierung dieser TV-Sensation den Coup der 1980er-Jahre, ein Einfallstor für das aufstrebende Softwarehaus in das kollektive Bewusstsein der Computerspieler und ihrer Familien.
Ganze 1 ½ Jahre lang lächelt der vom heutigen Kultidol David Hasselhoff verkörperte Michael Knight in ganzseitigen Anzeigen, im Hintergrund ein Foto mit Blick aus K.I.T.Ts Cockpit auf besagte sonnengeflutete Wüstenlandschaft. Auch wenn Screenshots fehlen, sind sich Rezipienten einig, man würde sowohl den Kampfsportexperten Michael und seinen gesprächigen fahrbaren Untersatz steuern. Schließlich geben eines Tages zitternde Hände einen schicksalhaften Ladebefehl ein, „Knight Rider“ parkt tatsächlich im Jahre 1986 im Speicher eines C64 ein.

In einer Jagd quer durch die USA sollen Michael und K.I.T.T. 5 Fälle lösen, deren genaue Hintergründe sich langsam durch die Aufspürung von Indizien erschließen. Sind die Drahtzieher enttarnt, eilt das Duo zur KI-gestützten Rechtssprechung. Was sich am Papier wie ein Proto-Open-World Vorläufer der GTA-Reihe anmutet, enttäuscht eine ganze Generation als Abfolge derselben zwei Spielsequenzen auf technischem Minimalniveau. Tester wie Thomas Brandt (ASM) und Heinrich Lenhardt (Happy Computer) sprechen eine klare Sprache, nicht einmal die sonst großzügige britische Spielepresse kann etwas Gutes an diesem Produkt finden (Zzap!, Crash). Jedes TV-begeisterte Familienmitglied wird Opfer dieses mißglückten Produkts, „Ocean“ wird in der Tat ein Name, den man sich merken muss.
Mit „Turbo-Boost“ beschleunigt das Spiel Knight Rider die Verbreitung eines katastrophalen Markenimages, das sich in den kommenden Monaten sogar erhärten sollte. „Knight Rider“ folgen umgehend weitere fragwürdige Produkte, die TV-Show Umsetzung „It’s A Knockout“, Serienkonvertierungen „Miami Vice“, „Street Hawk“ und die Kinofilmadaption „Highlander“ bestimmen Oceans Annus Horribilis 1986.

15-35% werden den Programmen „It’s A Knockout“, „Highlander“, „Street Hawk“ und der James Clavell-Romanumsetzung „Tai Pan“ vergeben. Ocean Software schafft im 1986er Wertungsschnitt gerade noch 53%, findet sich fünf Jahre nach seiner Gründung in einer tiefen Qualitätskriste. In einem Interview mit Oceans Operations Director Colin Stokes stellt sich heraus, der externe Entwickler Canvas zeichnete für diese Imagekatastrophen verantwortlich. Auch hatte man selbst im Rahmen der Auslagerung im blinden Vertrauen verabsäumt, regelmäßige Meilensteine einzufordern. Von nun an würde man mit Schwerpunkt auf interne Entwicklung wieder zum ursprünglichen Niveau zurückfinden, so Stokes.
Ein Mann dreht bei Ocean Software Ende 1986 hart bei. Der neue Operations Manager Gary Bracey begleitet fortan die interne wie externe Entwicklung sämtlicher Programme bestmöglich. Doch warum resümieren Podcasts nicht diesen historischen Neustart, als die Qualitätskontrolle wieder saß und die unbestreitbaren technischen Talente der dann bereits professionalisierten Bedroom Coders ihre wahre Größe erreichen sollten? An die sprunghaft steigende Produktqualität mag man sich ebensowenig erinnern, wie an die legendären 5-nach-12 Rettungsaktionen der wichtigen Weihnachtsreleases Operation Thunderbolt (73%) und Total Recall (51%), die überforderten Externen entrissen und in Rekordzeit von den In-House Programmieren von Grund auf rechtzeitig zur weihnachtlichen Bescherung für alle gängigen Formate abgeliefert wurden.
„Total Recall“ schlägt sichtlich in die Kerbe der vermuteten Podcast-Häme, wird dieser Titel von Michael Hengst in der Power Play und Michael Suck, ASM, schwer abgemahnt mit respektive 34% und umgerechneten 47%. Der Lizenzmalus überschattet das technisch solide Spiel, als würde man das Genre der Filmkonvertierungen, nicht das eigentliche Produkt, beurteilen. Vereinzelte Wertungsausreißer begründen aber keine zeitgenössische Verzerrung. Wohl aber kommt es zu einer zweiten Qualitätsdepression, die eine neue Generation an Spieletestern und -käufern trifft.

Ocean Software auf hoher, rauer MS-DOSee
Während die fragwürdigen Veröffentlichungen „Billy the Kid“ (23%), und „Nightbreed“ (19%) verhallen im popkulturellen Erdbeben namens „Jurassic Park“, das Ocean mit einer vielbeachteten Filmumsetzung zelebriert (65-90%), erinnern ein „Cheesy“ (42%), „Sea Legends“ (48%) und besonders das Strategiespiel „Offensive“ (20%) im Jahre 1996 an das Annus Horribilis 1986: „Die Wegfindungs-Routine befindet sich im anhaltenden Blindekuh-Modus – weshalb eine Brücke benutzen, wenn man stattdessen minutenlang am Flußufer auf- und ablaufen kann?“ berichtet Jörg Langer, der in der PC Player 8/96 (1/5 Sternen) schlussfolgert: „Jedes andere mir bekannte Echtzeit-Strategiespiel ist besser!“ Der Markt hatte Ocean Software in die Gewässer der Konsolen, vor allem der MS-DOS Kompatiblen verweht.

Mitte der 1990er Jahre bricht das Fundament Ocean Softwares weg. Die Heimcomputer-Ära ist zu Ende, mit ihr verstreuen sich auch die Programmiergrößen der glorreichen 1980er. Groß ist Ocean Software trotzdem geblieben, bedient mehrere Studios auf der ganzen Welt. Doch der nun dominante MS-DOS Markt, kurz abgesteckt mit Größen wie Civilization (88%), Doom (89%), Ultima VII (86%) und Warcraft (82%), fordert Spielqualitäten, die erst mit ganzen Entwicklerteams gestemmt werden können.
So markieren im Jahr 1997, als Jedi Knight (94%) und Quake (88%) die Spieler begeistern, Oceans Shooter „No Respect“ (40%) und „Last Rites“ (34%) besondere Tiefpunkte, prägen möglicherweise die zweite und dritte Generation Computer- und Videospieler – und -Journalisten.

Diese These mag bestätigt werden vom letzten Jahr in Ocean Softwares Geschichte, dem erfolgreichen 1998: der historische Wertungsschnitt von 76% des Entwicklers und Publishers aus Manchester ist in Vergessenheit geraten – darunter die letzte Filmlizenz mit Ocean-Logo überhaupt, Mission: Impossible (70%).
Neuvermessung des Software-Meeres

Dieser Rückblick bestätigt die Professionalität des deutschen Spielejournalismus. Wenn die „Darkman“ und „Lethal Weapon“ dieser Welt keine 80er-Wertung einfahren, dann drückt das repetitive Spielprinzip auf die Wertung, wie es Heinrich Lenhardt bei einem äußerst positiv bewertetem N.O.M.A.D. zu Recht kritisiert.
Schön, dass dem Podcast-Hörer und Autor dieser Zeilen das Springen, Hüpfen und Schießen in endlosen Lagerhäusern mit eingeworfenen Schießbuden- oder Denkaufgaben-Sequenzen in den Lizenzspielen Oceans gefällt, aber die Heldensprites Gomez Addams, Robocop oder Navy Seal Dale Hawkins waren genauso wunderschön animiert wie austauschbar.
Für den Hörer schlug Ocean vor allem wichtige kulturelle und gesellschaftliche Wellen in einer Internet-losen Zeit. Sportstars, Filmhits und TV-Serien wären niemals so bald und nah wahrgenommen worden – wenn überhaupt – und ermöglichten den Anschluss an den Diskurs der Älteren. Diese wertvolle Lebenserfahrung zahlt jedoch nicht auf die Produktqualität gegenüber der Allgemeinheit ein.

Eine emotionale Bindung zu Inhalten, Objekten, Produkten und Personen erschwert eine sachliche Reflexion: der erste Blick auf Rambo vor einem pixellierten Flammenmeer, die Erfahrung einer verblüffenden Realität im 8-Bit Vietcong-Tunnelsystem eines Platoon, die Begeisterung über detaillierte Zwischensequenzen mit den SEALS-Kumpels im Fallschirmgeschirr über Libanon, das alles darf sich in einer nüchternen Betrachtung nicht finden. Wenn also bei den Spieleveteranen weitergeblättert wird, dann weil eben dieses strahlende Batman The Movie (Power Play Amiga 68%, C64 59%, ASM 7/12 bzw. 58%) sich spielerisch unauffällig präsentiert. Heinrich Lenhardt präzisiert in Power Play 12/89 wie folgt: „Die Spieldesigner haben in verstaubten Schubladen gekramt und Baller-Action mit einer Portion Rennspiel gekreuzt“. Batman, das Spiel, wird seinem Anspruch als Filmumsetzung des kreativen Tim Burton Klassikers nicht gerecht. Eine wichtige Beobachtung.
Ocean Software hatte sich umstrittenen Produktkategorien verschrieben. Die Strategie, die Markenbekanntheit der anderen zu nutzen um langfristiges Wachstum zu generieren, ging zweifelsohne auf. Jedoch positioniert sich das Manchester Softwarehaus damit nicht in den Rängen der Genreinnovatoren wie das ursprüngliche Electronic Arts oder Origin. So groß Oceans Katalog auch war, so beeindruckend der Erfolg, so mager der Beitrag zum Pantheon legendärer Spieleklassiker. Mag man witzelnd ein Tai Pan als Seven Cities of Gold für Arme bezeichnen, ein Hook als blassen Abklatsch der Monkey Island-Reihe, so folgt auch die Erkenntnis, dass Ocean einen der Grundsteine des heute milliardenschweren Computer- und Videospielegeschäfts legte.
Ocean stach in See, als Computerspiele eine neue Produktkategorie darstellten. Wo manche Spiele sich in Anzeigen beinahe rechtfertigen möchten, so strahlte Ocean Software stets ein unbeirrbares Selbstbewusstsein aus. Diese Zuversicht in einem Zeitalter des technologischen Aufbruchs, als Computer keineswegs unabdingbar waren, erwies sich als besonders attraktiv und bestärkend.
Mitte der 1990er hatte die Industrie derart fleißig von Ocean gelernt, dass die markante Beflaggung schließlich im Weltmeer der Spieleproduzenten verschwand – und sprichwörtlich 1998 vom neuem Eigentümer Infogrames als Marke versenkt wurde.
Ocean Software erhält das Legenden-Patent
Im Sinne steigender Produktqualität fordert der Spielejournalismus eine risikoaffine Originalität ein, die das Medium vorantreiben würde. Die halsbrecherischen Veröffentlichungszeitfenster von Oceans Film- und TV-Umsetzungen behinderten freilich zeitaufwändige Designinnovationen, wie Heinrich Lenhardt dem bereits erwähnten Navy SEALS per „Geht so“ ein 57% attestiert in Power Play 7/91: „[Keine Katastrophe, aber lieblose Dutzendware[.]“

Alle Ocean-Fans in Patricks und Robins Retrokompott-Gästetoilette? Eine witzige Bemerkung voller Bewunderung für die einstigen Helden aus Manchester.
Stay Forevers Gunnar Lott nennt Oceans Wizball als einen seiner Top C64-Titel, die Pauschalisierung einer Unterdurchschnittlichkeit der Manchester-Titel im Podcast also eine nachvollziehbare Übertreibung: 147 Ocean-Titel haben zwischen 1984 und 1998 einen Wertungsschnitt von 63% erzielt.
Wer Ocean Software nicht selbst erlebt hat, dem soll diese Analyse eine Einladung sein, einen wesentlichen Meilenstein der Computer- und Videospielegeschichte neu zu entdecken.
So nimmt am Strand des Neusiedler Sees, dem Meer der Wiener, der geläuterte Hörer seine vergilbte Happy Computer in die Hand. Im Sonnenuntergang leuchtet das Ocean Software-Logo so kräftig durchschnittlich aus der Match Day-Anzeige in die von Daleys, Rambos und Wizballs gepixelten Augen, als wäre es wieder 1985. Zwischen dem sanften Wellenschlag ein leises Hauchen im burgenländischen Neusiedl: „I Heart Ocean Software.“

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