Viele Leute spielen Spiele. Und jeder dieser Leute spielt Spiele aus einem anderen Grund. Viele dieser Leute sehen Spiele als einen Wettbewerb an. Als ein Sport. E-Sport hat sich in den letzten Jahren zu einer renommierten Nische im Land der Computerspiele etabliert. Millionen von Fans begeistern sich für diese Events, bei denen man sich virtuell bekämpft, statt auf einem Fußballrasen beispielsweise.
Es scheint so, als wäre der einzige Weg um eine Welt interessant zu machen, diese mit Gegnern vollzustopfen und mit Belohnungen in Form von Upgrades oder XPs zu winken.
Doch nicht nur bei E-Sport kommt das Wettbewerbsgefühl auf. Looten, Grinden, Leveln, immer auf der Suche nach neuen Waffen, besseren Waffen, mehr Items, höheren Stats und dem Verlangen nach dem unbesiegbaren Ich. Open-World Shooter wie Borderlands stellen eine Goldgrube dar. Ein Bosskampf jagt den nächsten und viele Spieler legen es ganz darauf an, sich immer wieder durch das gleiche Gebiet zu kämpfen, Gegner niederzumähen, nur um sich eine neue, eventuell verbesserte Waffe einstecken zu können, mit der der nächste Feldzug angetreten werden kann.
Ich verstehe das nicht. Und hier erzähle ich euch wieso.
Ich liege der offenen Welt zu Füßen
Okay, zugegebener Maßen ist Borderlands ein schlechtes Beispiel. Dieser RPG-Shooter ist auf das Looten ausgelegt, was irgendwie der Kern der Sache ist. Um sich schießen, am besten noch mit Freunden im Gepäck und so viele Sachen einpacken wie möglich. Jemand wie ich, der darauf keinen großen Wert legt, ist in diesem Spiel und Genre wohl einfach falsch und sollte lieber zu Walking Simulatoren oder den Sims zurückkehren. Aber ich will Borderlands mögen und tue das ja auch bereits aber es stresst mich furchtbar, wenn mich von allen Ecken der Welt Gegner anspringen, die es zu erledigen gilt, nur um an mehr Munition heranzukommen.
Nicht nur Borderlands hat dieses für mich störende Feature im übrigen, jüngst hat mir in diesem Punkt auch das viel gefeierte und hochgelobte Single-Player und third person Adventure Horizon: Zero Dawn Kopfzerbrechen bereitet. Die wirklich wunderschön anzusehende Welt ist stellenweise vollbepackt mit gegnerischen Maschinen, die bei Unachtsamkeiten sofort an meiner, beziehungsweise Aloys, Fersen kleben. Sind diese erstmal bekämpft, warten seltene oder auch herkömmliche Maschinenteile auf einen, die man einsetzten kann um beispielsweise seine Rüstung oder seine Waffen zu verbessern. Gerade bei Open-World Titeln findet sich diese Dynamik wieder. Es scheint so, als wäre der einzige Weg um eine Welt interessant zu machen, diese mit Gegnern vollzustopfen und mit Belohnungen in Form von Upgrades oder XPs zu winken.
Wo da mein Problem liegt? Nun, eventuell liegt es an meiner Mentalität eines Introverts, doch ich möchte meine Ruhe haben. In dem Punkt gelobe ich mir ein Red Dead Redemption, der wilde Westen ist wie ausgestorben, nur hin und wieder hat man es mit Banditen zu tun. Ansonsten kann man munter und ungestört durch die ewigen Weiten des Westens galoppieren und seinem Alltag als Cowboy nachgehen.
Natürlich ist eine komplett leere Open-World furchtbar langweilig und natürlich muss es hier und da Hindernisse geben, die es zu bezwingen gilt. Trotzdem möchte ich die Möglichkeit haben, mich in Ruhe umschauen und die liebevoll entwickelte Welt in mich aufnehmen zu können. Ich möchte mich gerne in dieser aufhalten ohne ständig gehetzt von A nach B zu rennen oder mich in Büschen vor den Monstern zu verstecken, weil ich gerade keine Lust auf eine Konfrontation habe.
Zahlen und das Real Life
Die Welt in der wir im realen Leben leben, ist genauso. Sie ist Open-World, überall wartet eine neue Herausforderung, aus der wir Erfahrungspunkte sammeln können und gezwungener Maßen müssen wir uns in ein Multiplayer-Match begeben, von dem der eine eher profitiert, als ein anderer. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und sind gezwungen uns immer weiter zu verbessern und ein Level aufzusteigen, um nicht von unseren Mitspielern abgehängt zu werden. Noten, Schule, Abitur, Studium, Bachelor, Master, Beziehungen, Familienplanung. Wir alle kennen sie, diese Level, die jeder absolvieren muss. Verschnaufpausen gibt es selten, wenn man sich nicht so wie ich in Horizon: Zero Dawn in einem Busch sitzen will.
Aber was meine ich eigentlich genau mit dem Begriff „Levelkultur“?
In meinem Bekannten und Kollegenkreis kommt oftmals die Diskussion auf, was an einem Videospiel eigentlich das wichtigste ist, also der entscheidende Punkt, wieso man ein Spiel gut findet. „Das Gameplay muss stimmen“, wird mir da oft gesagt. „Das Gameplay und die Technik“. Der Hauptbestandteil des Gameplays, oder was damit einhergeht, ist das Abschließen von Herausforderungen und Leveln – das „leveln“ eben. Dazu kommt, dass so ziemlich jeder Gamer, den ich kenne an den oben genannten Sachen großen Spaß hat. Dem „looten“ und „grinden“. Den Bossfights, weil die am meisten XP und neues Zeug abwerfen. Dem Abgrasen von Arealen um Trophäen und seltene Waffen freizuschalten.
Und ja, ein Videospiel ist ja ein Videospiel wenn es Gameplay hat, oder?
Und ja, ein Videospiel ist ja ein Videospiel wenn es Gameplay hat, oder? Sonst wäre es ja kein Spiel, sondern eine Serie oder ein Film. Und dass das Gameplay spaßig sein muss, um das Spiel genießen zu können, ist mir auch klar. Doch gibt es für mich einen anderen, den wohl wichtigsten Punkt, was ein Spiel zu einem guten Spiel macht. Ein Punkt, der für viele zweitrangig ist oder gar nicht beachtet wird: Die Story.
Ich lebe und spiele Videospiele eben für genau das. Eine emotionale, mitreißende und spannende Geschichte zu erleben und das so hautnah wie es eben möglich und gesund ist. Kein anderes Medium außer einem Videospiel lässt uns derart aktiv am Geschehen teilhaben. Auch Bücher, Serien und Filme erzählen uns Geschichten und nehmen uns mit auf eine Reise, doch die Interaktion mit dieser Geschichte hält sich eben in Grenzen. Als Leser oder als Zuschauer ist man wenig in die Story involviert. Ich will gar nicht bestreiten, dass man nicht auch mit den Charakteren aus Buch und Film ein starkes, emotionales Bündnis knüpfen kann, dennoch verfügt man bei dieser Art von Storytelling über wenig Handlungsfreiraum.
Bei Spielen ist diese gegeben. Hier hast du die Welt in der du dich befindest selbst in der Hand, bestimmst selbst über das Schicksal von deinem Charakter und deinen Mitmenschen. Bei RPGs geht dieses Prinzip sogar noch ein Stückchen weiter, sodass man wie etwa bei Fallout oder Skyrim seinen Charakter auch optisch selbst anpassen darf.
Videospiele geben mir die Möglichkeit, anders zu leben und zu handeln, als im realen Leben. Sie geben mir Freiraum, schenken mir andere Welten und Universen, die es zu entdecken gilt und die Chance, Dinge zu tun und Entscheidungen zu treffen, die im realen Leben so niemals möglich wären. Was im echten Leben zählt, ist in einem Videospiel vielleicht nicht so wichtig. Doch andersherum bieten Videospiele vieles, was man auch im echten Leben anwenden kann.
Im Alltag orientieren wir uns an wenigem so stark, wie an Zahlen. Zahlen bestimmen unser Leben und unseren Wert. Egal ob der Kontostand, unser Gewicht, die Zahl unserer Follower und Likes, auf all das achten wir penibel und oftmals treibt uns das in den Wahnsinn und wir wünschen uns, dass das alles nicht wichtig wäre. „Früher war alles besser“, sagt man oft. Früher, wo es noch keine Social Media Klicks und ein Idealgewicht gab. Doch bei Videospielen, die genau diese kurze Flucht aus unserem Alltag bieten sollen, haben wir plötzlich Spaß an Stats und Werten und Prozenten und falschen Trophäen, für die man jeden Winkel einer Spielwelt im Spiel abgrasen muss. Doch wieso ist das so? Hinter dieses Geheimnis bin ich noch nicht wirklich gestoßen.
Meine Videospielgeschichte
Schon als Kind habe ich Spiele, damals noch auf dem Nintendo DS, als eine Art Urlaub von der Realität angesehen. In den Nintendo Spielen konnte ich das haben, was mir im echten Leben verwehrt geblieben ist. So habe ich beispielsweise beim Wunsch nach einem Hund als Haustier kurzerhand das altbekannte Spiel Nintendogs angeschmissen und ich hatte kleine Welpen im Überfluss. Brauchte ich gerade Leute an meiner Seite, habe ich Animal Crossing eingeschalten und hatte viele Freunde um mich herum.
Als ich älter wurde hatte ich natürlich nicht mehr das Verlangen nach kleinen virtuellen Hunden oder seltsamen Tieren in einem kleinen Dorf. Um ehrlich zu sein hatte ich einer gewissen Zeitspanne wenig mit Videospielen zu tun. Ich kann mir aber nicht erklären, was ich in dieser Zeitspanne in meiner Freizeit getrieben habe. Sims 3 habe ich geliebt. Das habe ich stundenlang gespielt. Ich habe mich selbst erschaffen wie ich war, ich habe Freunde erschaffen, ich habe Filmcharaktere erschaffen, ich habe mich selbst erschaffen, in der Version, die ich gern gewesen wäre …. Ich hatte sogar eine ganze Familie, die ich über Generationen verfolgt habe.
… nach ängstlichem Verstecken in den Kommentaren und mit der vollen Überzeugungskraft einer alten Freundin, die meinte ich solle nicht so ein Angsthase sein, habe ich mich dann durch die PlayList geklickt und die Liebe meines Lebens gefunden.
Doch Sims hatte storymäßig natürlich überhaupt nichts zu bieten. Durch ein Sims Let’s Play auf YouTube aber eröffnete sich mir, wenige Zeit später, eine ganz neue Welt. Die Welt der Storygames. Ich habe es noch ganz genau im Kopf, wie ich am Schreibtisch saß, mein Auge auf die Playlist eines bestimmten Spiels geworfen habe, aber mich einfach nicht getraut habe das Video anzuklicken. Horror war noch nie meins. Schlussendlich, nach ängstlichem Verstecken in den Kommentaren und mit der vollen Überzeugungskraft einer alten Freundin, die meinte ich solle nicht so ein Angsthase sein, habe ich mich dann durch die PlayList geklickt und die Liebe meines Lebens gefunden.
„Das kann doch kein Spiel sein.“, dachte ich mir, beim Anblick der Animationen von Joel und Sarahs Gesichter aus The Last of Us. Bisher war ich wie gesagt weitestgehend nur das „Buhu“ und „Gaga“ von meinen Sims-Menschen gewohnt. Nun hatte ich vollwertige Charaktere vor mir, Menschen, mit ihrer eigenen Geschichte und ihrem eigenen Schicksal. Das war wie eine andere Welt. Und für mich öffnete sich tatsächlich eine neue Welt.
Nach der wundersamen Begegnung mit diesem wundersamen Spiel habe ich mir kurzum eine kleine PS3 Slim zulegt, und ab da war kein Halten mehr.
Ich hatte mich verliebt. Ich hatte mich verliebt, nicht nur in das postapokalyptische Meisterwerk, sondern erneut in Videospiele, in ein Medium wo ich etwas anderes sein konnte, als ich im echten Leben bin und auf anderen Wegen wandeln kann, wie ich es im Alltag tue. Die linearen Storylines von Naughty Dog waren genau das, was ich gerade brauchte. Ein Abenteuer, eine Reise, eine Begegnung mit Charakteren, die mir unter die Haut gingen und mich, bei all der Grausamkeit und Niedergeschlagenheit, die vor allem in The Last of Us herrscht, beflügelten und neue Wege für mein Leben offen legten.
The Last of Us hat mein Leben verändert, ohne dieses Spiel wäre ich nicht an der Stelle, an der ich jetzt bin und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht diesen Text (oder überhaupt einen Text) schreiben. Was abgedroschen und übertrieben und realitätsfern klingt, ist leider wahr: Selten hat mir etwas so viel bedeutet, wie es dieses Spiel tut. Und Videospiele haben nun mal die Macht, diesen Stellenwert im Leben eines jenen anzunehmen. Zumindest bei mir ist das so.
Das Endgame bei Spielen
Videospiele und deren Geschichten haben in meinem Leben mehr bewirkt, als bloße Befriedigung des eigenen Egos durch stetiges hochleveln oder dem Besiegen eines Gegners im Multiplayer. Das ist übrigens auch der Grund, weshalb man mich kaum in Spielen wie Overwatch, Battlefield oder Call of Duty antrifft, um mal nur typische Spiele mit einem Mehrspielermodus zu nennen.
Ich spiele Spiele nicht, um ein Spiel zu spielen und mich mit mir selbst und anderen zu messen.
Natürlich wäre es völliger Quatsch zu behaupten, dass ich nicht auch Spaß am Gameplay habe. Dass ich es nicht mag, meinen Charakter zu verbessern um stärkeren Feinden den Kampf ansagen zu können. Dass ich keine Begeisterung dabei spüre, zu sehen wie der Charakter über sich hinauswächst. Wenn das alles nicht der Fall wäre, bräuchte ich ja keine Videospiele selbst zu spielen, sondern hätte bei Let’s Plays bleiben können. Ich kann auch durchaus nachvollziehen, weshalb man gerade deshalb Spaß an Videospielen hat. Denn ich kann nicht leugnen, dass das Spaß macht. Dennoch spiele ich Spiele nicht, nur um ein Spiel zu spielen und mich mit mir selbst oder mit anderen zu messen. Das Wettbewerbs-Denken ist im realen Leben schon zu allmächtig.
Ich spiele Spiele für die Emotionen, die sie in mir bewirken. Für die Inspirationen, die sie mir schenken. Für die Geschichten der Charaktere, die ich zu meiner eigenen Geschichte werden lassen kann.
Ich will nicht immer nur leveln oder an Zahlen denken müssen. Ich will nicht immer nur besser sein müssen, eine bessere Version, von dem was ich bin. Ich will einmal ich selbst sein können, in der Haut der Charaktere, in der ich gerade stecke.
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