Hey! Sieh mal! Eine Mumie, eine Kettensäge und eine Klobürste! Es sind Zeilen wie diese, an die jeder zurück denkt, wenn man Secret of Evermore gespielt hat. Für mich ist es nicht nur das beste Spiel der Super Nintendo Ära, sondern ein geistiger Speicherpunkt eines ganzen Lebensabschnittes. Verbundene Erinnerungen an meine Kindheit.
Deshalb sind Videospiele für mich ein sehr wichtiges Medium. Ein Spiel koppelt sich bei mir oft an Erlebnisse aus dem echten Leben. Genauso ist es mit der Musik. Ohne meine Spielehistorie, die Soundtracks oder Musik, hätte ich vermutlich nur die Hälfte meiner Erfahrungen im Leben abgespeichert. Selbst wenn ein paar Erinnerungsfetzen in meinem Kopf verschwinden, tauchen sie beim starten bestimmter Spiele immer wieder auf. Ein Beispiel für dieses Phänomen ist Secret of Evermore.
Das Spiel ist 1995 von Square (heute Square Enix) als ein Klon des berühmten Secret of Mana entstanden. Wer das großartigste Spiel der Super Nintendo Ära nicht kennen sollte, kann sich zuerst schämen und sich danach die Handlung ergooglen.
Durch einen ironischen Umgang mit dem eigenen Genre und einer wahnsinnig gut dargestellten Welt, sticht das Rollenspiel aus den 90’er von der Masse heraus. Auch nach 15 Jahren erzählen ein Freund und ich immer noch gerne Anekdoten aus den gemeinsamen Spieleerlebnissen.
Der Spieler ohne Spiele
Ich kann mich nie sonderlich gut daran erinnern, ob ich als Kind ein Spiel rechtzeitig zum Release gespielt habe oder ob ich Monate, wenn nicht sogar Jahre später erst auf das Spiel gestoßen bin. Das war damals auch überhaupt nicht wichtig. Fünf Spiele auf der Super Nintendo konnten mich Jahrelang beschäftigen. Bis heute „arbeite“ ich spiele ungern ab. Entweder es funkt zwischen einem Game und mir oder nicht. Eventuell wird es dann auch mal halbherzig alle paar Monate ein- bis zwei Stunden gespielt oder schaue es mir als Lets Play an.
Nur besondere Schätze spiele ich selbst und intensiv. Vermutlich liegt es daran, dass ich als Kind sehr lange Zeit keine Konsole haben durfte. Gezwungener Maßen war ich also schon immer mehr ein Zuschauer. „Lets Plays“ bedeuteten für mich damals: Schule aus, Hausaufgaben machen und dann schnell los zu Sven! Einen Freund aus Kindertagen, mit dem ich heute noch regelmäßig Kontakt pflege (Grüße an dieser Stelle!). Sven hatte eine Super Nintendo und ist wesentlich smarter als ich. Meistens zockte er schon, als ich bei ihm angekommen bin.
Entweder es funkt zwischen einem Game und mir oder nicht.
Christian Kuhrmann
Jeden Tag wurde ich von ihm gefragt: „Christian komm, spiel du doch mal ne Runde“ aber ich verzichtete meistens. Auch seine Mutter konnte nie verstehen, warum ich nur zusehen wollte. Jedes Mal wenn sie in das Zimmer kam schnauzte sie ihren Sohnemann, vollkommen zu Unrecht an: „ICH SEHE NIE DEN CHRISTIAN SPIELEN, LASS DEN JUNGEN DOCH AUCH MAL AN DAS TEIL!“ Wir beide versuchten sie immer zu beschwichtigten und ihr klar zu machen, dass ich freiwillig zuschaute… bis heute glaubt sie uns nicht.
Das Ding aus dem Sumpf
Ich weiß nicht warum aber der Kampf gegen das Sumpfmonster ist mir besonders im Kopf geblieben. Gerade kam ich bei Sven an, als er schon mitten im Bossfight war. Die Musik hat mich direkt den Ernst der Lage erkennen lassen. Hier ging es um Leben und Tod! Ich warf meine Jacke auf den Sessel und setzte mich neben Sven auf dem Teppich seines Zimmers. „Konzentration MAN!“. Ich erkannte mit meinem geschulten Supporter-Auge natürlich gleich, dass er nur noch wenig Health (damals nannten wir es noch Lebenspunkte) hatte. Sein Begleiter, „Blacky“, der Wolfshund, war auch schon down! „Ich bin erst bei der Hälfte!“ meinte Sven zu mir und zeigte auf einen Notizzettel neben sich. „Warum schreibst du dir auf, wie viel Lebenspunkte du ihm abziehst? Kämpfe doch einfach?!“ „Das ist schon mein dritter Versuch man!“
Auch wenn ich selbst total unter Strom stand, machte es mir immer noch Spaß Sven weiter unter Druck zu setzen. Ab und zu gab ich ein lautes: „JETZT! Greif ihn an!“ von mir. Jeder Angriff musste sitzen und Attacken mussten immer einen Moment lang aufgeladen werden.
MEDIALER EINFLUSS
Eigentlich passiert es vielen Menschen aber meistens achtet man nicht darauf, dass die eigenen Erinnerungen im Leben mit Liedern, Büchern, Serien, Filmen oder eben Spielen verbunden werden. Für Gamer sollten sich Spiele überhaupt nicht als anerkanntes Medium profilieren müssen. Denn das Argument der Gedankenstütze setzt Videospiele direkt auf die gleiche Stufe, wie seine Medien-Geschwister.
Heute zockt man das Game wahrscheinlich locker durch, ohne auch nur feuchte Finger zu bekommen aber damals war es genauso, als ob man einem neuen Boss in Dark Souls das erste Mal gegenüber tritt.
Der Versuch ging wieder in die Hose. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Waffenangriffe in Secret of Evermore aufgeladen werden können. Äxte und Speere werden dann sogar geworfen. Der gute Sven wusste das bis dato anscheinend noch nicht. Mit Hilfe dieser Info tüftelten wir noch aus, wie er sich am besten platzieren sollte, um die Waffen zu werfen und dann sah die Situation schon ganz anders aus.
Ein kurzes Lag zeigte uns, dass jetzt etwas passierte! Der Boss hörte auf sich zu bewegen und fing an zu explodieren. Bei Secret of Evermore explodieren alle Bosse… mit der gleichen Animation… auch wenn sie aus Fleisch und Blut bestehen und in einem Sumpf leben.
Verbundene Erlebnisse
Ebenso detailliert wie diesen Bosskampf, habe ich einige Erfahrungen aus meiner Grundschulzeit in Erinnerung.
Das Klischee stereotypischer Stubenhocker erfüllten wir allerdings nur sehr selten. Nach zwei- bis drei Stunden spielen gingen wir meistens raus. Wir tauschten unsere Fahrräder miteinander, weil Sven lieber auf meinem fuhr und ich seine Rücktritt-Funktion liebte. Wir hinterließen in der gesamten Straße Bremsspuren. Im Garten oder an einem Waldstück unserer Grundschule spielten wir unsere eigene Secret of Evermore-Storyline nach- meistens total verfälscht. Eigentlich stellten wir uns nur die verschiedenen Zeitepochen aus dem Spiel vor und entwarfen den Rest neu. Bei schlechten Wetter blieben wir in der Wohnung und malten Comics. Oft und gerne zeichneten wir aus den Spieleratgebern der SNES Spiele ab.
Secret of Evermore hat mir auch klar gemacht, dass Videospiele nicht aus einer magischen Parallelwelt kommen. Als ich erfahren habe, dass die Programmierer aus Deutschland kamen, ich wusste nicht das Großostheim in Deutschland liegt, ist mir fast der Kopf explodiert. Videospiele waren für mich immer so etwas wie große Kinofilme aus Amerika. Ich dachte mir halt immer: „Jaja, das existiert da irgendwo am anderen Ende der Welt, wahrscheinlich kommen die Spiele aus Evermore selbst!“.
KLAPPENTEXT
Wenn Secret of Evermore ein Superheld wäre, dann auf alle Fälle Deadpool. Es ist ein Rollenspiel aber es missachtet absichtlich die Regeln seines Genres. Dabei macht es auch noch eine gute Figur.
1996 Erschien der Klon des Klassikers Secret of Mana für die Super Nintendo in Europa. Durch einen Zufall entdeckt ein cooler Dude und sein Hund ein „geheimes“ Labor, mitten in ihrer Heimatstadt und landen in der Welt von Evemore. Um wieder nach Großostheim kommen zu können, müssen die Beiden vier Welten durchkämmen. Diese sind an unserer Steinzeit, Antike, Gotik und einer Cyberpunk Zukunft angelehnt.
SoE spielt dabei gerne mit popkulturellen Klischees und konfrontiert den Spieler beiläufig mit vertrauten Kulturgut, wie beispielsweise der Lindenstraße oder Raumschiff Enterprise.
Ein harter Weg bis zur eigenen Super Nintendo
An einer fremden Konsole zu spielen erschien mir immer irgendwie falsch. Man pfuscht in den Spielstand der anderen herein. Ich meine, dass ist doch deren Abenteuer? Wenn ich die alchemistischen Zutaten für die Schlammbombe verheizte, müsste Sven erst einmal wieder stundenlang Zutaten farmen gehen. Der zweite Grund, warum ich nie an anderen Konsolen spiele, ist meine Gier. Ich wollte nicht anfangen zu suchten und dann nach Hause gehen, wo ich keine Konsole hatte. Das ist bis heute so. Warum sollte ich in einem tollen Ferrari Probe fahren, wenn ich ihn mir niemals leisten kann?
Irgendwann kam allerdings der Tag an dem ich natürlich auch meine eigene Super Nintendo zusammen gespart hatte. Ein Jahr lang hortete ich diszipliniert jeden Pfennig. Jede Mark die durch Feiertage, Geburtstag und Weihnachten zusammen kam. Altes Spielzeug wurde auf Flohmärkten verkauft und ich wurde der Nummer 1 Dealer für „Power Rangers“-Sticker und Chupa Chups Caps auf dem Schulhof (Eventuell kommt daher auch meine Kaufmanns-Mentalität?)
Am Ende konnte ich mir meine eigene Super Nintendo endlich leisten, mehr sogar! Ich hatte noch genug Geld übrig, um mir Secret of Evermore dazu zu kaufen. Aktuell war gerade ein anderes Rollenspiel der Hit, aber als 10-jähriger hatte man genug Zeit, um mehrere Spiele auf einmal zu inhalieren.
Auch wenn ich schon alles im Spiel kannte und genau wusste an welchem Ort die Zutaten im Level lagen, machte es mir unheimlich viel Spaß das Game bis zum letzten Happen aufzuspielen. Alle geheimen alchemistische Formeln zu finden, die Zauber skillen, den Umgang mit Waffen zu perfektionieren und immer wieder Zutaten farmen. In dieser Zeit hätte ich wahrscheinlich etliche andere Games spielen können aber nein! Ich wollte einfach ALLES in diesem Spiel gemacht haben.
Videospiele als Medium – Die Festplatte meines Lebens
Ich könnte etliche Geschichten meines Lebens mit Games in Verbindung bringen. Mein Kopf baut um Spiele und Musik eine Ansammlung von Erinnerungen. Oft stehen sie nicht einmal im direkten Zusammenhang. Es sind Dinge die mir einfach parallel zum Spiel passieren. Ich finde diese Eigenschaft des Mediums großartig. Wenn Menschen sich zwanzig Stunden lang von einem Spiel unterhalten lassen und es dann für immer ins Regal stellen, ist das auch okay. Ab und zu gibt es auch gute Spiele, die mich mal kurz unterhalten und gut ist.
Bei der heutigen Geschwindigkeit, in der Videospiele konsumiert werden bin ich allerdings raus. Für mich fühlt es sich immer so an, als ob man ein liebevolles Hobby gegen Konsum tauscht.
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