Videospieler aller Generationen sind sich einig: Moderne Titel sind bisweilen viel zu leicht durchzuspielen. In den Anfangstagen der Computerspiele-Industrie, wie wir sie heute kennen, ging es üblicherweise erheblich rauer zu. Es war eine Zeit, als noch echte Helden sich aufmachen konnten, um jenseits aller bekannten Grenzen des Vorstellbaren nach wirklichen Abenteuern im Reich der digitalen Herausforderungen zu suchen.
Um einen Titel auch wirklich bis zum letzten Pixel durchzuspielen, musste der Spieler in der Regel eine gehörige Portion Durchsetzungsvermögen am Joystick, den unbedingten Willen zum Erfolg und vor allem ein stahlhartes Nervenkostüm mitbringen.
Nur noch wenige Computer- und Videospieler haben heute noch die fast schon bedingungslose Härte zu sich selbst, die in achtziger Jahren einfach dazugehörte, wollte man sich das erfolgreiche Ende eines Spieletitels mir redlichen Mitteln erarbeiten.
Die Pyramide von Manilo ist ein Paradebeispiel für einen wirklich prominentes Stück Software im Hinblick auf den Schwierigkeitsgrad. Dieses antike Bauwerk versteht sich selbst nach vielen Jahren immer noch als Prüfstein für besonders hart gesottene Abenteurer, denen kein Weg zu weit und keine Herausforderung zu schwierig ist. Sie ist der digitale Handlungsort eines weiteren C16-Klassikers aus dem Heimlabor des deutschen Softwareherstellers Kingsoft seinen Weg in die deutschen und englischen Computershops und Kaufhäuser gefunden hat.
Kingsofts Programmierer Udo Gertz zeichnet sich nicht nur als Erbauer der besagten Pyramide aus, er ist ebenfalls der geistige Vater von Tom, dem namensgebenden Protagonisten des Spiels. Dessen Schicksal ist es, den sagenhaften Schatz in den 178 (!) labyrinthartigen Kammern von Manilos Pyramide zu bergen.
Dabei stehen Tom zwei Laufgeschwindigkeiten zur Verfügung, die mit dem Feuerknopf des Eingabegerätes ausgewählt werden können. Damit einhergehend kann er Sprünge in jeweils unterschiedlicher Höhe ausführen. Weitere Optionen im Hinblick auf seine Mobilität hat Tom nicht. Zudem sind seine Sprungmanöver in keiner Weise korrigierbar, so sie denn einmal ausgeführt sind. Mit diesen stark auf das Wesentliche reduzierten Bewegungsmöglichkeiten gibt einem Gertz die Spielfigur an die Hand und fordert schlicht und ergreifend nicht weniger, als das (fast!) Unmögliche : Einen Jump ’n Run Marathon durch die von ihm entworfene, gigantische Pyramide.
FAKTEN: TOM (1984)
Erscheinungsdatum
Die deutsche Version von Tom wurde 1984 von Kingsoft veröffentlicht. Die englische Version trägt den Namen „Tom Thumb“ und wurde 1986 von Anirog vertrieben.
Geliebte C16-Version
Die Version des Spiels für den Commodore C16 ist mit Abstand die Beliebteste. Die (stark abweichende) C64-Fassung wird weitgehend als schlecht bewertet und die Version für den VC20 (16k) gleicht eher einem frühen Irrgarten-Prototypen.
Easteregg
Udo Gertz, der Programmierer von Tom hat ebenfalls den Kingsoft-Klassiker Ghost Town entwickelt. An bestimmten Stellen im Spiel kann man Spielmusik von Ghost Town in Tom hören.
Toms langer und beschwerlicher Weg steht dabei ganz in der Tradition klassischer Lauf- und Hüpfspiele. Er hat die Aufgabe durch das Finden und Einsetzen verschiedener Schlüssel neue Bereiche der Pyramide für sich zugänglich zu machen. Diese sind natürlich gut versteckt und somit alles andere als leicht zu finden.
Und selbst dann, wenn sich dem Spieler der Aufbewahrungsort eines Schlüssels nach langer Suche endlich offenbart, ist es meistens noch ein haptisches Kunststück, diesen auch an sich zu bringen. Gelingt es Tom dennoch eines der pixeligen Artefakte aufzusammeln färbt sich der Rahmen des Bildschirms als Zeichen dafür, dass sich das passende Schloss nunmehr öffnen lässt, blau ein.
Der Weg zwischen Schlüssel und Schloss gestaltet sich dabei konsequenterweise nicht minder gefährlich als die Suche nach dem Schlüssel selbst. Am Ende des Spiels wartet schließlich der sagenumwobene Schatz darauf, dass auch er seiner Bestimmung folgen und in den Besitz des Spielers übergehen kann.
In der tödlichen Grabanlage
Auf dem Weg durch die finsteren Gemäuer stellen sich Tom, so will es die digitale Natur der Sache, eine ganze Hand von Widersachern entgegen oder besser gesagt: Sie sind einfach da. Verfolgungsjagden oder ähnlich gibt es nicht.
Die bizarren Gesellen, Spinnen und Käfer vollführen ihre systembedingt minimalistischen Bewegungen auf ihren festgelegten Bahnen und scheinen nicht die geringste Notiz von unserem kleinen Abenteurer zu nehmen. Doch so still und friedlich sie sich auch bewegen, so tödlich ist jede Kollision mit diesen Bewohnern der Pyramide. Die entsprechenden Zauberworte um diese animierten Hindernisse zu überwinden heißt wie so oft wenn es um Laufen und Hüpfen geht: Eine gehörige Portion Übung und vor allem perfektes Timing.
Jeder Schritt und besonders jeder Sprung muss gut überlegt sein, will man auf sicherem Wege und ohne den Verlust eines kostbaren Lebens der Spielfigur in die Tiefen der antiken 8-Bit Grabanlage vordringen.
Wegbrechende Plattformen treiben unter diesen Vorzeichen natürlich jedem Hobby-Archäologen unmittelbar den Angstschweiß auf die hutbedeckte Stirn. Tödliche Barrieren, die in gleichmäßigen Intervallen wie aus dem Nichts auftauchen und ebenso schnell wieder verschwinden gilt es genauso zu überwinden wie lebensgefährliche, heiße Geysire.
Sind alle drei Leben aufgebraucht zeigt Tom was das heute schon fast nicht mehr vorstellbar scheint und zusätzlich zum Rezept des harten Schwierigkeitsgrades früher Plattform-Titel gehört: Es gibt keine Continue-Funktion und ebenso keine Speichermöglichkeit. Somit besteht für zartbesaitete Hüpfakrobaten nur eine minimale Chance, wirklich ihr Glück als Schatzsucher in der C16-Pyramide zu machen.
Gerade in den letzten Abschnitten gleicht der Titel somit dem Balanceakt auf einem Drahtseil in schwindelerregender Höhe. Werde ich die ganzen Strapazen erneut auf mich nehmen müssen um hierher zu kommen oder überlebe ich die Ausführung meiner ausgeklügelten taktischen Vorgehensweise? Welche todbringenden Gefahren verbergen sich in der nächsten Kammer?
Wo um Himmels Willen befindet sich der passende Ausgang zu dem letzten Schlüssel den ich gerade mit mehr Glück als Verstand in letzter Sekunde doch noch lebend habe ergreifen können? Tom bietet eine adrenalingeladene Achterbahnfahrt der Emotionen zwischen triumphalen Erfolg und vernichtender Niederlage.
In technischer Hinsicht ist Udo Gertz mit Tom erneut ein Titel gelungen, der sich auf dem C16 nahezu ohne ernstzunehmende Konkurrenz präsentiert. Als wäre es das Selbstverständlichste auf Commodores kleinem Heimcomputer scrollt der Bildschirm in alle vier verschiedenen Richtungen, dass es eine wahre Freude ist.
Die Grafik selbst zeigt, dass der All-In-One Chip TED doch in der Lage ist eine atmosphärische Dichte auf den Bildschirm zaubern kann, deren Wesensmerkmale aus detaillierter Darstellung der Figuren und gleichzeitig gigantischen Ausmaßen beim Leveldesign bestehen.
In der gesamten Softothek von Commodores 246er-Reihe hat Gertz keine Vorbilder, was sein technisches Können betrifft, noch findet er in der rechtmäßigen Zeit dieser Systeme irgendwelche Nachahmer, die sich anschicken, es ihm auf dieser Ebene gleich tun zu wollen. Auf dieser Tatsache ist sein legendärer Ruf als Spieledesigner und Programmierer, der Gertz bei den wenigen verbliebenen Freunden von C16, C116 und Plus/4 bis heute nacheilt, maßgeblich begründet.
Seiner Handschrift in punkto Charakterdesign bleibt Gertz auch bei Tom treu. Frühestens auf den zweiten Blick lässt sich erahnen, dass die Kopfbedeckung des Helden naheliegenderweise von Dr. Henry Jones höchstselbst inspiriert zu sein scheint. Wie in seinen Werken üblich kollidiert die überragende Technik mit einer fast schon als dilletantisch zu bezeichnenden Konzipierung und vor allem Umsetzung der dargestellten Figuren.
Von der unwiderstehlichen Brillanz früher Nintendo-Titel, mit denen Kingsoft und Gertz fast zeitgleich die 8-Bit Bühne betreten, ist Tom Lichtjahre entfernt. Und doch gelingt es dem Macher des C16-Abenteuers, ein charmantes Setting zu entwerfen, das in der Lage ist, den Spieler in seinen Bann ziehen zu können.
Wer Tom noch aus der Mitte der achtziger Jahre kennt und es damals gespielt hat, wird wohl niemals die Eröffnungssequenz nach dem Tilelbildschirm vergessen, in der der kleine Draufgänger wie von Geisterhand geleitet von unten durch die Mauern der Pyramide zum Ausgangspunkt seiner Schatzsuche aufsteigt. Diejenigen, die sich heute zum ersten Mal das Kingsoft’sche C16-Kleinod zu Gemüte führen wollen dürfen sich darauf freuen, endlich mal wieder einen „unschaffbaren“ Klassiker reinsten 8-Bit Wassers durchspielen zu können. Dieses Erlebnis mitzunehmen dürfte wohl der wahre Schatz sein, der sich in Manilos geheimnisvoller Schatztruhe befindet.
Die Map zum Spiel
Hier findest Du die komplette Spielwelt von Tom. Die Map enthält eine genaue Übersicht aller Kammern des Spiels und wurde von Csaba P. (Csabo) angefertigt. Bitte denke daran auf die Credits hinzuweisen, wenn Du die Karte weitergeben solltest. Die Karte gibt einen Eindruck davon, wie groß die Spielwelt vom Tom tatsächlich ist. Wir wünschen Dir viel Erfolg beim Bezwingen der Pyramide von Manilo!
Überarbeitete Originalfassung aus dem Juni 2012
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