Inzwischen sind über 30 Jahre vergangen, seitdem das Atari VCS, die Spielkonsole mit der legendären Holzfront, auch unseren heimischen Markt eroberte. Nicht ganz unbeteiligt an dieser „Invasion der Videospiele“ war Klaus Ollmann, ehemaliger Geschäftsführer von Atari Deutschland. Heute befindet sich Herr Ollmann im Ruhestand und erinnert sich gern zurück an diese aufregenden und wilden Zeiten.
In diesem Artikel berichtet er exklusiv für Videospielgeschichten über die Gründung der Vertriebszentrale in Hamburg. Atari steht inzwischen als Synonym für eine ganze Generation von Computer- und Videospielen. So lebt auch der legendäre Atari Slogan aus den 1980er Jahren mit den modernen Spielkonsolen weiter: „Atari – Mit uns können Sie was erleben!“
Text von Klaus Ollmann, Februar 2004
Die Atari Elektronik Vertriebsgesellschaft wurde am 1. März 1980 in Hamburg als Tochtergesellschaft der WEA Musik GmbH in deren Räumen in der Arndtstrasse 16 in Hamburg-Uhlenhorst gegründet. Geschäftsführer war Klaus Ollmann, der zu diesem Zeitpunkt auch stellvertretender Geschäftsführer der WEA sowie Geschäftsführer der GOVI Schallplatten-Handelskette und des Presswerks Record Service GmbH in Alsdorf, Aachen war. Gelagert und versendet werden, sollte die Ware durch ein Lagerhaus in Hamburgs Norden.
Ein kleiner Vertriebsinnendienst wurde in einem leerstehenden Büro der WEA im Erdgeschoss untergebracht. Die Vertriebsleitung wurde Rolf Rehfeldt anvertraut, die Marketing-Aktivitäten sollte sein Schwager Werner Täsler übernehmen.
Beide hatten Atari vorher auf einer Messe kennengelernt, wo das Produkt durch einen Mr. Stephen Finta, einen US-Amerikaner, der in Deutschland lebte, angeboten wurde. Auf dieser Messe lernten sie Mr. Anton Bruehl kennen, einen smarten Amerikaner aus San Francisco, der für Atari die internationalen Aktivitäten als Vice President International aufbauen sollte.
Zuerst musste Klaus Ollmann die überzogenen Vergütungsvorstellungen der beiden korrigieren, die tatsächlich davon ausgingen, dass 10% des erzielten Umsatzes in ihre Taschen fließen würden. Danach ging Herr Rehfeldt daran, einen schlagkräftigen Außendienst aufzubauen, der vor allem mit den Erfahrungen des Handels mit den schwerverkäuflichen Produkten von Saba Fairchild und Philips G7000 zu kämpfen hatte. Die ablehnende Antwort war immer: „Kommen Sie mal wieder, wenn diese Ware in unseren Lagern verkauft wurde“.
Der Erfolg von Atari in Deutschland wurde dann angestoßen durch massiven Einsatz von Fernsehwerbung und die Einschaltung der Werbeagentur BBDO in Düsseldorf. Dort fiel einem Tony Euler, dem für Atari zuständigen Werbemenschen der tolle Spruch ein: „Atari – Mit uns können Sie was erleben!“ Außerdem stellten uns die Amerikaner ihre TV-Spots zur Verfügung, die wir nur noch deutsch synchronisieren mussten.
Unser Durchbruch kam mit einem Spot, in dem eine Off-Stimme einen Arzt fragte: „Lieber Herr Doktor, was sollen wir nur machen? Unser Sohn spielt Atari (ein Kind spielt vor der Fernseher mit dem Joystick Space Invaders), unsere Tochter spielt (ein Mädchen spielt Circus Atari), mein Mann spielt (Vater spielt Video Pinball) und auch unser Hund benimmt sich schon ganz merkwürdig (man sieht zwei Hundepfoten den Joystick bedienen)“.
Millionen für TV-Werbung
Atari investierte bis zu 20 Mio. DM im Jahr für TV-Werbung. Die Amerikaner drängten auf mehr und mehr, sehr zur Freude einer kleinen Agentur in München, für die dieser Kunde damals Gold wert war. In den ersten Tagen und Wochen kleckerten die Aufträge spärlich ein. Auf der ersten Vertriebstagung gab ich als Marschrichtung aus: „Zeigt das Spiel Shootout (engl. Outlaw) und beobachtet den Einkäufer. Wenn der nicht spätestens grinst, wenn der Cowboy das zweite Mal auf die Nase fällt, packt ein und geht zum nächsten. Ihr müsst das Produkt so kurzfristig wie es geht den meisten möglichen Personen vorstellen“. Ob das zum Geheimnis des Erfolges wurde, weiß ich nicht.
Jedenfalls erreichten mich Mitte des Sommers merkwürdige Nachrichten. Immer mehr Verkäufer riefen an und berichteten, dass der Einkäufer sie aus der Reihe wartender Außendienstmitarbeiter anderer Firmen nach vorne gerufen hätte, denn man musste dringend nachbestellen. Auch begann sich das Fachblatt Markt-Intern aus Düsseldorf mehr und mehr mit Atari zu beschäftigen. Immer öfter wurde kritisiert, dass Händler das Produkt zu Kampfpreisen als Lockmittel anboten. Das wurde uns in Hamburg vorgeworfen. Und man munkelte, wir würden Großabnehmer bevorzugte Konditionen einräumen, was natürlich Schwachsinn war. Unser Versuch, handelsfreundlich zu sein, ging bis hin zur Ablehnung eines Großauftrages von 20.000 Grundgeräten von der Firma Metro. Gleichzeitig gründeten wir nach dem Vorbild unserer Mutter in den USA den Atari User Club.
Um die Bindung zu unseren Fans zu stärken, legten wir dem Produkt Postkarten bei mit der Bitte, uns die Adressen mitzuteilen. Bis zum Jahre 1984 hatten wir so Zugriff auf mehr als 120.000 Adressen von Atari-Nutzern, die regelmäßig das Atari Club Magazin mit Informationen und Angeboten zugesandt bekamen. Sie nahmen Teil an Meisterschaften, deren Gewinner in den USA oder in Deutschland stritten. Aber darüber kann man vielleicht später einmal berichten und darüber wissen vielleicht auch andere mehr. Ich war mit den Organisationen nicht beschäftigt, tauchte nur als Chef auf und musste Reden halten.
Besuch aus Übersee
Anfang 1981 meldete sich der Präsident von Atari USA, Mr. Ray Kassar, zu einem Besuch in Hamburg an. Die Erfolge der Atari Deutschland erregten in zunehmendem Maße Aufsehen auch bei der Muttergesellschaft. Da ich an diesem Tage keine Zeit hatte, bat ich meinen Chef, den Geschäftsführer der WEA Musik, Siggi Loch, Ray am Flughafen abzuholen und mit ihm essen zu gehen. Ich würde nach dem Essen dazustoßen.
Siggi ist ein absoluter Musikmensch, heute hat er sein eigenes kleines, aber feines Jazzlabel Act in Feldafing. Das Atari-Produkt als technisches Produkt war ihm dubios und fern wie nie. Er machte damals von dieser Meinung Ray gegenüber auch keinen Hehl und sagte: „This is nothing for me. Klaus loves it, but I need the music and there is no artistic expression in this“. Ray schäumte. Ich stellte ihm die Firma, Mitarbeiter und Zahlen vor, aber als ich ihn abends zurück zum Flughafen fuhr, war er immer noch gallig. „Who is this motherf…..?“ bellte er.
Und dann hatte er die großartige Idee: „Why don’t we do it in a separate company? You are the managing director. We pay you double of what you get now“.
Klar, dass ich dieser Idee nicht ablehnend gegenüberstand und so wurde zum 1. April die Atari Deutschland GmbH unter meiner Leitung gegründet. Mein Arbeitsvertrag wurde am 6. März unterzeichnet. Als neues Bürogebäude mieteten wir eine Villa in der Hamburger Bebelallee an.
Als ich mich bei Siggi beim Auszug aus der Arndtstrasse verabschiedete, warnte ich ihn: „Siggi, wenn es hinter Dir hupt, dreh‘ Dich gar nicht erst um, sondern springe gleich beiseite, denn Atari wird Euch sehr bald überholen“.
Atari startet durch
Das passierte schon im nächsten Jahr, als wir den Umsatz der WEA Musik einstellten und hinter uns ließen. Ja, so ging es denn richtig los. Wir wurden der Liebling der Fachpresse, des Spiegel und der versammelten Journaille. Unsere Feste und Produktvorstellungen in der Hamburger Veranstaltungshalle Fabrik wurden Kult.
Unsere PR-Chefin Renate Knüfer und der Werbechef Wolfgang Blödorn unter Leitung des Schweizer Marketingchefs Hans-Ueli Hasler hatten alle Hände voll zu tun, um Interviewwünsche und Storys zu koordinieren.
Warner Communications besaß in New York auch den Cosmos Fußballklub, in dem Franz Beckenbauer und Pelé spielten, die gleichzeitig von Atari zu weltweiten Sonderbotschaftern verpflichtet wurden. Damit kam Pelé zur Einführung des Soccer-Spiels nach Hamburg. Franz spielte sowie für den HSV und zu seinem Abschiedsspiel flog die Spitze der Warner Communication Mr. Stephen Ross mit seiner Entourage nach Hamburg ein. Ich wurde gebeten, das alles zu organisieren, aber leider war ich krank und bat Siggi, das zu übernehmen.
Ich musste bald jede Woche in die USA. 1. Klasse sowieso und wenn nötig auch mit der Concorde. Die weltweiten Atari-Tagungen fanden statt in Las Vegas und Monte Carlo mit Empfang bei Gracia Patricia von Monaco. Atari-Spiele und -Computer wurden installiert im Robinson Club und im Club Mediteranée, was für mich und den französischen Geschäftsführer Guy Millant, noch heute ein sehr guter Freund, den Vorteil hatte, dass wir dort unseren Urlaub gratis verbringen durften.
Und als wir 1983 bei dem Besuch der Elektronikmesse Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas Steven Spielberg kennen lernten und danach für eine Woche in die Warner Villa nach Acapulco eingeladen wurden und man mir sagte, dass Atari Deutschland nicht nur die effizienteste Atari-Tochter weltweit, sondern überhaupt die effizienteste Firma im Warner Unternehmensverband sei, dachte ich, ich sei der erfolgreichste Manager der Welt.
Gleichzeitig war mir zwar auch klar, dass dieser Erfolg mit diesem Produkt nicht sehr schwer war, aber ich übersah völlig die dunklen Wolken am Horizont.
Dunkle Wolken
Zum ersten Mal fiel mir auf, dass etwas nicht stimmte, als während seiner Rede auf der Tagung in Las Vegas Manny Gerard, der in New York für Atari zuständige Oberboss, stolz darauf hinwies, dass man bereits 35% des Marktes besetzt halte und im nächsten Jahr bei 48% stehen wolle.
Ich drehte mich daraufhin zu Hans-Ueli um und fragte ihn: „Wissen die eigentlich, dass bei 100% Schluss ist?“ Das sollte eigentlich witzig sein, aber es hätte in diesem Moment klar sein müssen, dass keiner in der hochbezahlten Riege der Top-Executives auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendete, was danach kommen sollte. Eine ganze Generation war in absehbarer Zeit versorgt mit den besten Videospielen ihrer Zeit.
Atari übersiedelte dann auch schnell nach Frankfurt, nachdem meine Nachfolger Richards und Driemeier kurzfristig ebenfalls rausflogen.
Jahre später, irgendwann im Laufe des Jahres 1988, ich baute damals Hamburgs größte Videothekenkette vfs (video film supermarkt) zusammen mit meinem Freund Hans-Hermann Pein auf, wurde ich von der Zeitschrift VideoMarkt gebeten, einen Ausblick auf die mögliche Zukunft des Videospielmarktes zu schreiben. Ich schrieb damals, dass eine neue Generation heranwächst, die dringend mit Videospielen der neuesten Technologie und neuen Spielwitzes zu versorgen sei. Man hielt mich, nur ein halbes Jahr vor Nintendo, SEGA und später Sony und Microsoft, für bekloppt.
Mein weiteres Leben blieb turbulent. Heute mit 64 Jahren bereite ich mich auf das Dasein als Rentner vor und komme mir vor wie ein Guru, der der Jugend etwas über turbulente Zeiten berichtet.
Weiterführender Link
- A History of WCI Games / Atari / Atari Games / Atari Holdings von Michael D. Current
Dieser Beitrag gehört zur Atari-History-Reihe bei Videospielgeschichten.
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