“Es kam vor, dass Redakteure mit Wasserpistolen durch die Räume jagten” – Interview mit Michael Lang (Happy Computer)

Von André Eymann am
Kommentiert von: Martin Schmitt, kraftw33rk
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Das hier vorliegende Interview habe ich im Spätsommer 2001 geführt. Michael Lang war in den 1980er Jahren einer der Chefredakteure der in Deutschland bekannten Heimcomputerzeitschrift Happy Computer und hat einen großen Anteil zur öffentlichen Meinungsbildung der frühen Computerzeit in Deutschland beigetragen.

Die Zeitschrift erschien von 1983 bis 1990 im Münchener Markt & Technik Verlag. Der Text gibt einen spannenden und informativen Einblick, wie es in der Redaktion der Happy Computer seinerzeit tatsächlich zuging. Dabei wird auch der Begriff New Economy im Verlagswesen auf seine Wurzeln zurückgeführt. Freut euch nun auf eine exemplarische und authentische Rückschau in die Frühzeit der Spielezeitschriften in Deutschland. Wir bedanken uns ganz besonders bei Herrn Lang für seine Bereitschaft und freundliche Mitarbeit.

Interview

Das Interview wurde am 14. September 2001 geführt

Herr Lang, Sie waren lange Zeit Chefredakteur der Happy Computer. Wie waren die ersten Tage mit der „Happy“?

Die "Happy" noch als "Hobby Computer" betitelt. (Bild: Markt & Technik)
Die “Happy” noch als “Hobby Computer” betitelt. (Bild: Markt & Technik)

Die erste Ausgabe der Zeitschrift erschien im November 1983 als Ausgabe 11/83. Die „11“ hat damals – und auch später noch – viele Leser irritiert. Viele dachten, wenn das die elfte Ausgabe ist, muss es logischerweise zehn vorausgehende Ausgaben geben.

In der Zeitschriftenbranche ist es jedoch üblich, dass auch erste Ausgaben nach dem jeweiligen Monat benannt werden, in dem sie erscheinen. Das erleichtert es den Kioskbetreibern, trotz der vielen Zeitschriften auf einen Blick zu erkennen, ob eine Ausgabe aktuell ist, oder vom Vormonat stammt und zurückgegeben werden muss. Hätten wir die brandneue „Happy“ als Ausgabe 1 bezeichnet, wäre sie von vielen Kioskbesitzern umgehend als Restexemplar an den Großhändler zurückgeschickt worden.

Die letzte Ausgabe erschien, glaube ich, 1989. Die Leitung lag damals nicht mehr bei mir. In der Blütezeit der Zeitschrift betrug die verkaufte Auflage über 130 Tausend. Das war damals enorm viel. Vor uns lag nur noch die CHIP mit rund 180 Tausend. Es gab zu jener Zeit ja nur maximal zwei Millionen Computer in Deutschland. Die meisten standen zudem in Firmen und besaßen weder Sound noch Farbgrafik, waren also ganz „unhappy“.

Wie kam eigentlich der Name des Magazins zustande?

Das war fast so etwas wie ein Unfall. Die Zeitschrift sollte sinnvollerweise Hobby Computer heißen. Die erste Ausgabe erschien auch unter diesem Namen. Als der Titel der zweiten Ausgabe (12/83) schon gedruckt war, erhob die damals recht erfolgreiche populärtechnische Zeitschrift Hobby Einspruch wegen Verwechslungsgefahr. Um Kosten für einen Prozess mit unklarem Ausgang und die Umgestaltung des Logos zu sparen, suchten wir einen optisch und sprachlich ähnlichen Ersatznamen. So kamen wir auf Happy Computer.

Sie hatten als Chefredakteur viele verschiedene Aufgaben. Was war Ihr schwärzester Tag als Chefredakteur?

Naja, besonders hart sind für einen Zeitschriftenmacher natürlich Fehler, die die Leser verärgern. Deshalb zucke ich heute noch zusammen, wenn ich an folgende Episode denke: Wir hatten damals unendlich viele Listings zum Abtippen in der Zeitschrift. Diese waren bei den Lesern besonders begehrt, weil es kaum bezahlbare Programme für die vielen unterschiedlichen Homecomputer gab. Spiele gab es so gut wie überhaupt nicht, verglichen mit heute.

Andererseits war das Problem der Listings, dass schon ein einziges falsches oder fehlendes Zeichen ein seitenlanges Listing sinnlos werden ließ. Solche Fehler bemerkte man aber in der Regel erst am Ende der stundenlangen Tipparbeit. Und zwar dann, wenn der Computer nach dem Programmstart eine Fehlermeldung ausgab.

Fatalerweise wurden die Seiten damals von den Layoutern noch mit Schere und Klebstoff montiert. Als Vorlage für die Programmlistings lieferten die Redakteure die ausgedruckten Listings in Form von Papierfahnen, die den Grafikern natürlich als sinnlose Bleiwüsten erschienen. Eines Tages kam ein Layouter der Zeitschrift auf die grandiose Idee, in einem Artikel den Platz für ein lustiges Bild dadurch freizuschaufeln, dass er einfach einen Teil dieser öden Zahlenkolonnen mit der Schere aus einem mehrere Seiten langen Programmlisting herausschnippelte.

Damals wurden die Heftseiten von den Layoutern noch mit Schere und Klebstoff montiert.

Michael Lang
Michael Lang im Editorial der Happy Computer Ausgabe 6/87. (Bild: Markt & Technik)
Michael Lang im Editorial der Happy Computer Ausgabe 6/87. (Bild: Markt & Technik)

Dass dadurch das gesamte Listing wertlos wurde und einige zehntausend Leser durch das Eintippen der nicht funktionierenden Programmzeilen viele Stunden Arbeit sinnlos vergeuden würden, war dem technisch völlig uninteressierten Layouter nicht bewusst. Wir Redakteure hatten umgekehrt noch nicht die Erfahrung, auf so etwas zu achten. Keiner von uns konnte sich vorstellen, dass jemand auf eine so absurde Idee kommen könnte, Teile aus einem Listing zu schneiden.

Nun, die Zeitschrift mit dem kastrierten Listing erschien und die erbosten Leser überschütteten uns zu Recht mit weit über achttausend Leserbeschwerden! Die Ochsentour, alle Beschwerden zu beantworten und die Standpauke der Verlagsleitung führten dazu, dass nach diesem schwarzen Freitag nie mehr wieder ein unvollständiges Listing durch die Schlussredaktion rutschte.

Haben Sie noch Kontakte zu den Menschen hinter der Happy Computer wie beispielsweise zu Autoren oder Redakteuren?

Gezielt nicht mehr. Mitarbeiter des früheren Markt & Technik Zeitschriftenverlags finden sich aber in fast allen heutigen Computerverlagen. Deshalb treffe ich per Zufall immer wieder ehemalige Happy-Redakteure. Bei Autoren kommt das seltener vor. Allerdings – so alle paar Jahre passiert auch das. Dann stelle ich immer wieder verblüfft fest, dass wir alle schon zu den Sauriern der Branche zählen. Einige der damaligen Autoren sitzen heute sogar in den Vorständen großer IT-Unternehmen.

Wie war damals die Atmosphäre in der Happy-Redaktion?

Sehr locker und verspielt. Da kam es schon mal vor, dass Redakteure mit Wasserpistolen durch die Räume jagten. Andererseits ging so gut wie niemand vor zehn oder elf Uhr abends heim. Trotzdem waren am nächsten Tag um neun Uhr morgens wieder alle an den Schreibtischen. Nicht selten wurde auch mal die eine oder andere Nacht durchgearbeitet, besonders vor Redaktionsschluss. Einige Wochen lang kampierte ein Redakteur sogar mit dem Schlafsack unter seinem Schreibtisch, weil es sich seiner Meinung nach nicht lohnte, heimzufahren. Das nächtliche Wachpersonal des Verlags war solche seltsamen Dinge von uns „Verrückten“ aus der Redaktion schon gewohnt und bemühte sich redlich, unseren Kollegen nicht aufzuwecken.

Sie sehen – ein solcher Arbeitsstil wurde nicht erst fünfzehn Jahre später von den New Economy-Leuten erfunden. Wir waren auch noch in anderer Hinsicht ein Vorreiter: In den Arbeitszimmern wurde schon damals nicht geraucht und getrunken. Beides war zu jener Zeit für Journalisten, sagen wir mal vorsichtig, unüblich. Heute ist das in vielen Verlagen Vorschrift.

Verdiente man denn als Ausgleich für die lange Arbeit entsprechend gut?

Natürlich immer zu wenig. Aber ehrlich gesagt: Die meisten von uns hatten auch erst die Schule oder ein abgebrochenes Studium hinter sich. Viele waren keine fünfundzwanzig Jahre alt. In diesem Alter durfte man in normalen Redaktionen bestenfalls als Volontär arbeiten. So gesehen wurden wir wirklich gut bezahlt. Dazu kam: Wir hatten das große Glück, jeden Tag in einem wunderbaren Spielzeugladen mit den neuesten Computern und Programmen nach Herzenslust spielen zu können. Ein Hobby, das wir uns ohne diesen Job nie hätten leisten können und für das wir sogar noch Geld bekamen. Die meisten von uns wussten das sehr wohl zu schätzen.

Die Redakteure waren also richtige Computerfreaks?

Ja, weitaus mehr Freaks als Journalisten. Letzteres wurden wir erst Jahre später mit der Erfahrung in diesem Job. Eines allerdings unterschied uns auch in diesem Punkt von den meisten anderen Redaktionen: Jeder von uns hatte zwar seine ganz persönlichen Vorlieben und Favoriten – mein Favorit war der TI 99 – aber wir waren uns einig, dass diese Vorlieben nie in Fanatismus ausarten durften. Das war auch das Motto der Zeitschrift.

Diese Einstellung schlug sich in der Vielfalt der Artikel nieder. Wir waren stolz darauf, für alles Neue offen zu sein, egal, von welcher Firma etwas kam. In diesem Punkt setzten wir uns auch ganz bewusst von den Kollegen der 64er-Redaktion ab, die in den Räumen nebenan arbeiteten und fest auf Commodore schworen.

Werden Sie heute noch auf die Happy Computer angesprochen?

Wie man an diesem Gespräch sieht: ja. Es passiert zu meiner Überraschung immer noch ein, zwei Mal im Jahr. Das schönste Kompliment für uns Journalisten ist ohnehin, nach so vielen Jahren von ehemaligen Lesern zu erfahren, wie gut unsere Zeitschrift angekommen ist. Ich hoffe deshalb, dass auch der eine oder andere Happy-Redakteur auf diese Seite schaut, denn die Happy war ein Produkt der gesamten Mannschaft. Das war kein Job wie jeder andere. Wir lebten für diese Zeitschrift.

Und nicht nur wir Redakteure. Auch die Kollegen und Kolleginnen im Layout, deren Arbeit enorm viel zum besonderen Feeling der Zeitschrift beigetragen hat! Ohne deren Engagement wäre die Happy nie so erfolgreich geworden.

Die Happy Computer nahm mit diesem ausgeprägten Entertainment-Charakter viel von den heute üblichen populären Computerzeitschriften vorweg, und das zu einer Zeit, als Computertechnik noch als Thema für Spezialisten galt, und Computerzeitschriften eine Außenseiterrolle im Markt spielten.

Herr Lang, wir bedanken uns für dieses Interview und wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft.


Veröffentlicht in: Medien & Literatur
Thorsten WeiskopfTobi

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Kommentare (2)

  1. Da machste nix. Nicht mit Computerwoche und c’t, sondern mit Markt&Technik fing für uns kleinen Bengels alles an. Meine erste Computerzeitschrift fand den Weg zu mir als unfassbar abgegrabbelte Happy Computer aus dem Jahrgang 1984, die noch sehr sehr lange als ganz besonderes Schatzstück in einer meiner Schreibtischschubladen lag.

    Heute habe ich selbst Kinder, die älter sind als ich damals, und die würden niemals Geld für eine Zeitschrift ausgeben, denn für sie stehen darin nur die Nachrichten, die sie schon vor 6 Wochen in umständlich in die Länge gezogenen Youtube-Videos gesehen haben. Für mich und meine Jungs war das vor mehr als 3 Jahrzehnten ganz anders, denn von den Akustikkopplern, Modems, Datex-P-Netzen und Mailboxen, wie sie in den Artikeln der Happy-Computer immer wieder beschrieben wurden, konnten wir als Teenager nur träumen. Die Nachrichten aus der Computerwelt kamen ausschließlich per Happy Computer, 64er und später natürlich auch Power Play ins Haus.

    Immer vom Kiosk, nie per Abo (wir hatten ja nix), bin ich der Happy Computer auch über das berüchtigte “Computer Live”-Doppelcover hinaus treu geblieben, bis irgendwann überraschenderweise die Jugend vorbei war, ich zuhause ausgezogen bin und leider das Interesse daran verlor, mit leuchtenden Augen durch dicke Computerzeitschriften zu blättern.

    Mit Blick auf emotionslos in etlichen Datenbanken erklickbare Benchmark-Vergleiche und schnell aus dem Nichts herausgeballerte Onlinekommentare, wünsche ich mir manchmal ein wenig diese Zeit zurück, wo sich junge Redakteure an kunterbunten und plattformübergreifenden Computermagazinen ausprobierten und damit, vielleicht ohne es zu wissen oder zu wollen, eine ganze Generation geprägt haben. Vielen Dank dafür!

  2. Ein toller Bericht und schöner Rückblick in die Zeitgeschichte. Die Happy Computer war mein Einstieg in die Magazine der Video- und Computerspielewelt. Hat mich begleitet zu meiner Commodore 64 Zeit.