März 1983: während die USA versuchen durch die Entwicklung von SDI (Strategic Defense Initiative) den kalten Krieg in den Weltraum zu verlagern, startet in Deutschland mit dem Activision-Megahit River Raid ein konventioneller Überraschungsangriff auf die Konsolen der einheimischen Videospieler.
Freiwillige vor!
Ein äußerst gefährlicher Auftrag erwartet Sie und Ihren Kampfjet. Das Einsatzgebiet: ein zerklüftetes Tal, durch das sich ein endlos langer Fluss windet, der leicht zum Fluss ohne Wiederkehr werden kann. Denn Ihre Gegner stellen Ihnen eine Übermacht von Tankern, Hubschraubern und Flugzeugen entgegen.
Die Eroberung des Tals scheint aussichtslos, zumal an strategisch wichtigen Punkten stark befestigte Brücken gesprengt werden müssen. Schon der kleinste Steuerfehler kann das vorzeitige Ende ihrer Mission bedeuten. Das gleiche Schicksal ereilt Sie, wenn Sie nicht rechtzeitig zum Auftanken die feindlichen Depots anfliegen.
Ihre einzige Chance: ein perfekter Strategieplan, genaue Gebietskenntnisse und höchste Konzentration. River Raid von Activision ist ein Kampfspektakel, das den Bildschirm erzittern lässt.
Die Anforderungen an Geschicklichkeit und Reaktionsvermögen werden jeden Telespieler faszinieren und River Raid zum Telespiel-Klassiker machen.
Dass der martialische Inhalt eines alten Activison-Werbeflyers keineswegs eine Übertreibung darstellt, zeigt sich spätestens kurz nachdem man das Spiel in einen Atari VCS Modulschacht einlegt.
River Raid war damals in mehrfacher Hinsicht ein außergewöhnliches Modul und besaß in der Tat alle wichtigen Faktoren eines echten Videospiel-Klassikers. Im Vergleich mit vielen anderen VCS-Kassetten unterscheidet sich River Raid besonders durch seinen abwechslungsreichen Levelaufbau. Der Flussverlauf, der den Bewegungsradius des eigenen Kampfjets erheblich einschränkt, ändert sich mit jeder neuen Spielstufe. Ebenso die Anordnung gegnerischer Flugobjekte und die Position der lebensnotwendigen Treibstofftanks.
Ein systematisches Vorgehen ist dadurch kaum möglich. Startet das Spiel anfangs noch relativ leicht, so steigt der Schwierigkeitsgrad mit jedem Level stark an und bringt selbst echte Profis schnell an ihre Leistungsgrenzen.
Erst entwarf ich ein Spiel für allerhöchsten Ansprüche und dann machte ich es noch schwieriger.
Carol Shaw
Bereits 1978 machte Carol Shaw ihrem Abschluss an der Universität von Berkeley, Kalifornien in Elektronik und Computerwissenschaften und arbeitete noch im selben Jahr als Designerin für die Firma Atari. Video Checkers und 3D Tic-Tac-Toe zählen dort zu Ihren frühen Werken aus der großen VCS-Produktpalette. 1982 gelang Ihr mit dem knallharten Actionshooter River Raid ein echtes Meisterwerk.
Der Erfolg führte schon bald, ebenso wie für viele andere Activision Klassiker, zu Umsetzungen für die neuen Systeme.
So erschien River Raid neben dem VCS später auch für die Atari Homecomputer, Mattel Intellivision, ColeCovision, Atari 5200 und zuletzt für den Commodore 64.
Aufgrund der höheren Leistung dieser Geräte, insbesondere den Homecomputern, wurde die Grafik hier noch einmal deutlich verbessert. Außerdem kamen neue Gegner ins Spiel, wie Fesselballons oder ein Panzer, der ab sofort auf der Brücke patrouillierte. Während in der Urversion die feindlichen Einheiten nur Kollisionen verursachen konnten, wurde jetzt ab der Spielstufe 5 erstmals zurückgeschossen. Der Fluss bekam plötzlich einen realistischen Verlauf mit echter Uferböschung.
Technisch gesehen entsprach die spätere Version aber nicht mehr ganz dem höchstem Level. Das Programm nutzte nur noch zum Teil die Möglichkeiten der neuen Hardware und so zählen heute doch andere Titel zu den Meilensteinen der frühen Homecomputer-Ära.
Trotzdem blieb River Raid weiterhin ein ausgezeichnetes Ballerspiel, das für lange Zeit den Standard zahlreicher Horizontal-Shooter setzte. Die Idee der damals innovativen Treibstofftanks stammte eigentlich von Ihren Kollegen David Crane, dem Schöpfer von Pitfall! und Steve Cartwright. Design und Umsetzung blieben aber alleine in Carol Shaws Hand, was auch für die komplette spätere Adaption für die Atari Homecomputer gilt.
Das Fazit der Telematch
Die Redaktion der Telematch, die ihren pädagogischen Auftrag besonders ernst nahm, beurteilte Videospiele mit militärischem Inhalt generell mit schlechten Zensuren. River Raid machte hier allerdings eine sehr seltene Ausnahme.
Bewertung (nach dem Schulnotensystem)
Grafik: 2
Sound: 3
Action: 2
Spielwitz: 2
Gesamturteil: 2
Fazit: River Raid ist ein Spiel das einen nicht so schnell loslässt, man wartet fieberhaft darauf weitere Abschnitte kennen zu lernen, die stets schwierigere Manöver erfordern. Schade, dass kein Zufallsfaktor die Ablauffolge des leider extrem kriegerischen Geschehens variiert. Ein gutes Gedächtnis ist hier viele Punkte wert.
Die große River Raid-Meisterschaft von 1983
Zusammen mit der Firma Activision und den Horten Computershops organisierte die Zeitschrift Telematch im Herbst 1983 eine landesweite River Raid-undSeaquest-Meisterschaft.
Neben den legendären und groß angelegten Centipede-Weltmeisterschaft von Atari, zählt dieser Event heute mit zu den größten kommerziellen Videospiel-Wettkämpfen der damaligen Zeiten. Es gab so gut wie keine Einschränkungen für die Teilnahme an der Meisterschaft, einfach jeder konnte mitmachen, vorausgesetzt das Ganze erfolgte im festgelegten Zeitraum vom 22. August bis zum 1. Oktober 1983 und man belegte seine Ergebnisse mit einem Bildschirmfoto.
Natürlich bestand auch die Möglichkeit bei den offiziellen Austragungen im regulären Fachhandel oder den Horten Computershops mitzuspielen, doch der Vorteil lag eindeutig Zuhause. Nur dort stand dem Spieler eine unbegrenzte Anzahl an Versuchen zur Verfügung. Die Wertung der beiden Activision Module erfolgte mit einem besonderen Multiplikator: River RaidPunktzahl x 3 + SeaquestPunktzahl x 1 = Endergebnis.
Beide Programme beendeten das Spiel automatisch nach einer Million, somit lag die maximal erreichbare Punktzahl bei 4 Millionen.
Nachdem in der Oktoberausgabe der Telematch die Meisterschaft sogar noch einmal bis zum 1. November 1983 verlängert wurde, standen nach diesem Termin endlich die Gewinner aus der Vorrunde fest. Insgesamt gab es acht Sieger, einen für jeden der alten Postleitzahlenbereiche. Der relativ lange Zeitraum führte allerdings dazu, dass bereits vier der Finalisten die magische Punktzahl von 3.999.999 erreicht hatten.
Die Gewinner der Vorrunde
Postleitzahl, Name, erreichte Punktzahl
1000 – Gerald Ziesig, Berlin – 2.646.550
2000 – Axel Voss, Hamburg – 3.727.950
3000 – Helmut Rieger, Hannover – 3.226.130
4000 – Jochen Luecke, Lage-Waddenhausen – 3.999.999
5000 – Michael Bromund, Montabaur – 3.894.880
6000 – Rainer Kothe, Wiesbaden – 3.999.999
7000 – Rainer Haseneder, Heilbronn – 3.999.999
8000 – Christian Schiele, Mindelheim – 3.999.999
Das Duell der Besten – Großes Finale in München
Am 26. November 1983, also auf dem Tag genau am ersten Geburtstag der Zeitschrift Telematch, trafen sich die acht Landessieger zum großen Finale in München.
Im 22. Stockwerk des Arabella Hotels ging es um den Gesamtsieg und dem Titel zum Deutschen Activision Meister. Pünktlich um 10:00 Uhr starteten die ersten Jagdbomber Ihren Angriff auf dem „Fluss ohne Wiederkehr“. Die Nervosität unter den Teilnehmern kochte, denn anders als in der Vorrunde kämpfte man hier nach dem K.O.-System.
Jetzt zählten nur noch das eigene Können und die beste Konzentration. Jeder Fehler bedeutete vielleicht das vorzeitige Ausscheiden aus dem Finale.
Nach einer Stunde war die offizielle Spielzeit von River Raid beendet und der Wettkampf ging in die zweite Runde.
Bei Seaquest wurden ebenfalls 60 Minuten angesetzt, danach addierte die Jury beide Ergebnisse zusammen, diesmal aber ohne einen Multiplikator. Bis zum Schluss blieb es äußerst spannend. Die beiden besten Spieler lieferten sich lange Zeit ein aufregendes Kopf an Kopf Rennen. Doch am Ende hatte Christian Schiele aus Mindelheim die Nase vorn. Er wurde der Deutsche Telematch-Meister und gewann den Hauptpreis: eine komplette Homecomputeranlage im Wert von 4500 DM.
Das Endergebnis des Siegers
River Raid – Spielzeit 52 Minuten – 275.410 Punkte
Seaquest – Spielzeit 60 Minuten – 831.950 Punkte
Merchandising
Für das Einsenden eines Bildschirmfotos mit über 15.000 Punkten erhielt jeder Spieler von der Firma Activision einen hochwertigen Stoffaufnäher als Trophäe.
Dieses Ergebnis war jedoch keine große Herausforderung, denn hier galt das ultimative Ziel eine Million Punkte zu erreichen, den Zähler zu „überdrehen“ und damit das Spiel offiziell zu beenden. Dazu waren 4-5 Stunden Spielzeit nötig und es mussten bis zu 700 Brücken (!) in Schutt und Asche gelegt werden.
Erst danach zeigte der Punktestand auf dem Bildschirm die berühmten sechs Ausrufezeichen. In der späteren Homecomputer-Version wurde dieses Limit allerdings auf stolze 10 Millionen Punkte erhöht. Ein Rekord, der wohl bis heute unerreicht blieb.
Neben den erwähnten Aufnähern existieren noch viele andere Werbemittel, darunter ein großes DIN A2 Poster, Aufkleber, verschiedene Zeitungsanzeigen und Flugblätter.
Fortsetzung folgt: River Raid 2 von David Lubar
1988, also unglaubliche 5 Jahre später, erschien tatsächlich noch ein zweiter Teil für den bereits in die Jahre gekommenen Klassiker.
Leider handelte es sich aber nur um einen lauen Aufguss des Originals, der die hohe Qualität nicht mehr erreichte. Obwohl man der Fortsetzung doch einige sehr positive Ansätze zugestehen muss. Wirklich innovativ ist zum Beispiel eine eigene Start- und Landesequenz auf einem Flugzeugträger. Flakfeuer, dass der Spieler selbst nicht bekämpfen kann, sondern höchstens ausweichen, ist ebenfalls ein gutes neues Feature.
Wesentlich schwieriger gestaltet sich hier besonders das Auftanken, immerhin sind bewegliche Tankflugzeuge im Einsatz, die mit relativ seltenem Abstand am Bildschirm erscheinen. Insgesamt bleibt aber der zweite Teil von River Raid auch nur ein trauriger Versuch, wie so oft in der Branche, mit einer mittelmäßigen Fortsetzung weiteres Geld zu verdienen und dabei das gewonnene Vertrauen der Spieler auszunutzen.
Bis heute erhält sich River Raid seine größte Popularität. Vor allen Dingen dadurch, dass es sich um das erste indizierte Videospiel in Deutschland handelt.
In der Begründung des Beschlusses vom 19. Dezember 1984 stand unter anderem: „Jugendliche sollen sich in die Rolle eines kompromisslosen Kämpfers und Vernichters hineindenken. Hier findet im Kindesalter eine paramilitärische Ausbildung statt. Bei älteren Jugendlichen führt das Bespielen zu physischer Verkrampfung, Ärger, Aggressivität, Fahrigkeit im Denken und Kopfschmerzen.“ Ein Satz der übrigens auch in der Telematch über Ataris Battlezone zu finden ist.
Im Jahr 2003 veröffentlichte Activision mit der Anthology eine Zusammenstellung alter Videospiel-Klassiker für die Sony PlayStation 2. Aufgrund der immer noch wirksamen Indizierung wäre auch die Anthology unter diese Regelung gefallen. Erst auf Antrag des Herstellers wurde das Spiel vom Index entfernt, und die Spielesammlung von der USK sogar freigegeben ohne Altersbeschränkung.
Ein deutliches Zeichen, wie sehr sich die Maßstäbe inzwischen doch verändert haben. Zu den 45 Programmen in dieser Sammlung gehören auch Pitfall!, H.E.R.O. oder Decathlon. Es sind River Raid und River Raid 2 enthalten.
„Plan of Operation“ – Der strategische Einsatzplan für das River Raid Zielgebiet
Bei den höheren Spielstufen stellt sich vor allem das Problem der sehr geringen Anzahl von Treibstofftanks.
Um sich hier einen Vorteil zu verschaffen, wäre es unbedingt notwendig, vorab die genaue Position der einzelnen Depots zu kennen. Das Problem: River Raid ist viel zu schnell, um nebenher mit Karten oder Aufzeichnungen zu arbeiten. Die einzige Lösung bietet also nur ein zweiter Mitspieler.
Oder einen Co-Pilot, der ähnlich wie im Rallyesport, die nötigten Informationen rechtzeitig an den Spieler übermittelt.
Der River Raid-Veteran Michael Braun aka Pitfall-Harry, hat deshalb seinen persönlichen Einsatzplan von 1983 für uns überarbeitet und in einer neuen Tabelle zur Verfügung gestellt, die ihr hier exklusiv downloaden könnt.
Es ist Deine einzige Chance: ein perfekter Einsatzplan, genaue Gebietskenntnisse und höchste Konzentration.
Viel Erfolg, Commander!
Schreibe einen Kommentar