Egal ob rennend, kletternd, hüpfend oder per Pferd die glatte Wand hoch – die digitalen Gipfel laden uns ein, sie zu erklimmen und belohnen häufig nicht nur mit einer schönen Aussicht. Wir begegnen mächtigen Wesen, werden konfrontiert mit unserem eigenen Inneren, werden verwandelt und verlassen in jedem Fall bereichert das Felsmassiv. Ein kleiner Ausflug zum „Hals der Welt“ in Skyrims Himmelsrand, dem Celeste-Berg und weiteren Bergen mit (Aus-)Blick auf die dahinterliegende Symbolik.
Bergsteigen als Konfrontation mit verdrängten Seelenanteilen (Celeste)
Wer einen Berg besteigt, der lernt etwas über sich selbst. Für kaum ein Spiel ist dieser Satz wohl so wahr wie für Celeste (2018). Wir steuern Madeleine, die aus einem inneren Antrieb, ohne zu Beginn recht zu wissen, wieso, den Celeste-Berg besteigen möchte. Im Verlauf des Spiels erfahren wir von Madeleines hohen Ansprüchen an sich selbst. „Immer höher, schneller, besser“ – das Credo vieler Gesellschaften, offenbar auch der Madeleines. Das Erklettern eines Berges schließt in der Symbolik hieran an. Ein Ziel muss erreicht, eine Leistung erbracht werden – mit viel Mühe und Kraft.
Madeleines Reise auf diesen Aspekt zu begrenzen, wäre allerdings viel zu kurz gegriffen. Einen Berg zu besteigen, bedeutet ganz automatisch auch, mit sich selbst konfrontiert zu werden: Mit den eigenen Schwächen und Grenzen, aber auch mit den eigenen (Versagens-)Ängsten. Celeste stellt dies ganz wunderbar dar, indem Madeleine ihrem „Schatten-Ich“ begegnet und zu Beginn von ihm verfolgt wird. Der Schatten ist ein Begriff aus der jungianischen Psychologie, unter dem der unbewusste Anteil der Persönlichkeit verstanden wird. Dabei muss es sich übrigens keinesfalls nur um dunkle und negative Anteile einer Persönlichkeit handeln. Im Verlauf des Spiels wird deutlich, dass Madeleine dieses „Schatten-Ich“ benötigt, um den Aufstieg zu schaffen.
Für Madeleine stellt das Besteigen des Celeste-Bergs eindeutig eine Auseinandersetzung mit ihren Ängsten, ihrer depressiven Erkrankung und schlussendlich eine Aufhebung einer (inneren) Spaltung dar. So gesehen können wir das Besteigen des Bergs in diesem Fall als symbolische Darstellung eines therapeutischen Prozesses verstehen – weg vom Leistungsdenken und der Spaltung hin zu einer vollständigeren Persönlichkeit.
Eine ausführliche Deutung der Celeste-Story habe ich in diesem Artikel verfasst: Spieglein, Spieglein… ein neuer Blick auf Madeleine: wie können wir verdrängte Aggression als Schlüssel zu Madeleines Psychodynamik verstehen?
Der Berg als Ort der Erleuchtung und Wohnort höherer Wesen – ein Besuch bei Paarthurnax auf dem „Hals der Welt“ (The Elder Scrolls V: Skyrim)
Wer sich in Skyrim nicht in den zahlreichen Nebenquests verliert, wird früher oder später den „Hals der Welt“ besteigen und dort auf den Drachen Paarthurnax treffen, um von ihm auf dem „Weg der Stimme“ unterwiesen zu werden. Nicht nur in der griechischen Mythologie symbolisieren Berge den Sitz einer Gottheit – wir finden dort auch Eremiten und Gurus, die aufgrund der größeren Nähe zum Himmel Weisheit und Erleuchtung suchen. Paarthurnax stellt als Drache und Meister der Graubärte ebenfalls eine Figur besonderer Weisheit und Mystik dar. Unterhalten wir uns mit ihm, bringt er uns ein Wort eines Schreis bei, lässt uns folglich Anteil an seinem Wissen haben. Der Weg zu Paarthurnax ist zwar vom Kloster der Graubärte aus gut zu finden, allerdings müssen wir mittels eines Schreis Nebel von uns fern halten (das Gegenteil der gesuchten „Erleuchtung“) und einige Eisgeister besiegen.
Auch hier wird deutlich: Erleuchtung und Weisheit gibt es nicht umsonst – zuvor ist ein beschwerlicher und nicht ungefährlicher Weg zurückzulegen, sowohl innerlich als auch äußerlich – wir werden allerdings reich belohnt.
Die Bergwelt als Zugang zu verborgenen Persönlichkeitsanteilen (ZanZarah: The Hidden Portal)
„ZanZarah“ ist sicher der unbekannteste Titel in dieser Aufzählung, aber ein Spiel, das mich seit seinem Release im Jahr 2002 verzaubert hält. Wir begleiten das Menschenmädchen Amy auf ihrer Reise in die magische Welt ZanZarah, welche nicht nur aufgrund plötzlich erscheinender Schattenelfen dem Untergang geweiht zu sein scheint.
Amys Reise führt durch Wälder und Sümpfe, durch Dörfer und Städte und – natürlich – auch in die Bergwelt. Erste Anlaufstelle dort ist der Turm der Zwerge, in dem sie den ersten Elementarschlüssel zum Betrieb der Zwergenaufzüge in das Wolkenreich erhält. Nach den symbolisch betrachtet weiblichen Gebieten „Wald“ und „Sumpf“ betritt Amy hier zum ersten Mal einen symbolisch eindeutig männlich dominierten Bereich: der Turm ist nur von männlichen Zwergen bewohnt, die als Hüter über einen Elementarschlüssel zum Betrieb von Maschinen wachen. Während Amy bis dahin ihren Weg mittels Feenmagie geebnet hat, geht es nun daran, das Vermächtnis der Zwerge – den Umgang mit den Naturkräften – zu entdecken und zu nutzen: „Durch ihre Tätigkeit im Dunkeln, ihren Umgang mit den Schätzen der Erde, ihr intuitives Wissen, ihre kreativ-schöpferischen und künstlerischen Begabungen im Sinne phallischer Kräfte verbildlichen Zwerge diese im Unbewussten vorhandenen Möglichkeiten bzw. die Nähe und Vertrautheit schöpferischer Kräfte zum Unbewussten.“ [1]
Spannend ist, dass der Gipfel selber für Amy kein unentbehrliches Artefakt birgt (der Zwergenturm liegt unterhalb des Gipfels) – vom Gipfel erstreckt sich allerdings eine Höhle bis weit in den Berg hinein, in der sie abermals auf einen Zwerg stößt, der einen weiteren Elementarschlüssel für sie bereithält. Tiefenpsychologisch betrachtet erschließt Amy durch ihre Begegnung mit den Zwergen auf dem Berg einen neuen seelischen Bereich: einen kreativ-schöpferischen männlichen Bereich ihrer Persönlichkeit.
„The Floor is lava!“ – Der Horuberg als Ort der Wandlung (Ori and the Blind Forest)
Am Ende der bezaubernden Reise von Ori reisen wir zum Horuberg, dem Ort der „letzten Schlacht“, der letzten Auseinandersetzung mit Kuro und einem bewegenden Opfer.
Der Horuberg stellt sich uns ganz anders dar als alle zuvor betrachteten Berge: wir scheinen uns gleichsam im Inneren des Bergs zu befinden; umgeben von Lava machen wir uns auf, hier das letzte Element wiederherzustellen. Der Berg verlangt uns alles ab, was wir im Lauf des Abenteuers an Fähigkeiten gewonnen haben – nur, wenn wir alles mit Geschick einsetzen, erreichen wir unser Ziel: die Wiederherstellung des Gleichgewichts der Kräfte in Nibel. Nachdem wir bereits die Tiefen Nibels durchdrungen haben, besteht unser letztes Ziel darin, die Höhe des Horubergs zu erreichen. Auch hier bewegen wir uns wieder nach oben, streben eine Art „Gipfel“ an, doch erklimmen wir diesen Berg von innen – es scheint mir hier im wahrsten Sinne des Wortes um das Innerste zu gehen. Im Berg begegnen wir dem Element Feuer, das neben seiner destruktiven Symbolik in erster Linie eine Wandlungssymbolik beinhaltet. Wer durchs Feuer geht, geht verändert aus ihm hervor. Der eigentliche Wandlungsprozess findet hier in der Eule Kuro statt, die Ori zuvor vernichten wollte und nun durch die Wärme und Liebe in der Beziehung zwischen Ori und Ziehmutter Naru verwandelt wird. Es scheint mir kein Zufall, dass Feuer sowohl mit Wärme als auch mit Liebe („brennende Liebe“, „in Feuer und Flamme“, …) assoziiert werden kann. So wird also das Innere und der Fuß des Berges zu einer Art Katalysator für einen Wandlungsprozess Kuros mit weitreichenden Konsequenzen für ganz Nibel.
Fazit
Berge begegnen uns in allerlei Games – vom Platformer bis hin zu Open World-Titeln – und haben häufig eine besondere Bedeutung. Ob als Ort innerer Auseinandersetzung (Celeste), Wohnstätte höherer Wesen und Verwahrer besonderen Wissens (Skyrim), Zugang zu kreativ-schöpferischen Persönlichkeitsanteilen (ZanZarah – The Hidden Portal) oder Katalysator eines Wandlungsprozesses (Ori and the Blind Forest): Berge hüten nicht nur in den alten Mythen besondere Geheimnisse. Das Erklimmen eines digitalen Berges und die (un)bewusste Auseinandersetzung mit seiner Symbolik kann uns neue Perspektiven und Aussichten auf innere und äußere Welten ermöglichen – sodass wir nicht wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg stehen bleiben müssen.
Quellen und Verweise
- [1] Laitenberger, Diethild: Artikel auf Symbolonline zum Stichwort „Zwerg“ – abgerufen am 7.10.2019
- Titelbild by: Benh LIEU SONG, Titel: Cirque de Gavarnie, Haute-Pyrénées, France, Zuschnitt und Verpixelung von Jessica Kathmann, Lizenz: CC BY-SA 2.0
- Screenshots aus „Celeste“ und „Ori and the Blind Forest“: eigene Bilder
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