Computerwissen: 2019 ist das neue 1983

Von André Eymann am
Kommentiert von: André Eymann, Tobi, Damian Thater, Alex
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Wie sich die Welt doch verändert hat. Oder ist sie heutzutage vielleicht doch gar nicht so anders als 1983? Eine Selbstbegegnung auf den Spuren der Vergangenheit.

Sonnige Pinienwälder, eine leichte Brise und außerhalb des Schattens brennende Hitze. Das war unser Sommerurlaub im Jugoslawien der 1980er Jahre. Im Kontrast zum Baden im kristallklaren Wasser der Adria standen für mich aber noch ganz andere Aktivitäten auf dem Programm. Nach dem gemeinsamen Familienessen im Grill-Restaurant des Campingplatzes saß ich, an manchen Abenden, im Wohnwagen und tippte Listings für Computerspiele in meinen ZX81 Heimcomputer von Sinclair.

Die Spiele hatten Namen wie „Todeslabyrinth“, „Mauer einwerfen“ oder „Schiff suchen“ und liessen mich, im Schein des Mondes, in die faszinierende Welt der Programmierung abtauchen.

Neben weiteren Heimcomputer-Zeitschriften las ich seinerzeit das „ZX User Club“ Magazin von Josef Schaaf, indem die Listings abgedruckt waren. Freilich interessierte mich damals noch nicht, dass das Heft von einem Herrn Schaaf herausgegeben wurde. Mir waren nur die „frischen“ Programme für meinen ZX81 wichtig.

Um das zu verstehen, muss man sich die gesellschaftliche Ausgangslage zu dieser Zeit etwas genauer anschauen.

Bildungsfernsehen und Computercamps

“Todeslabyrinth”: Sie (das S-Zeichen) starten auf der linken Seite. (Bild: André Eymann)
“Todeslabyrinth”: Sie (das S-Zeichen) starten auf der linken Seite. (Bild: André Eymann)

Die 1980er Jahre waren eine Zeit, in der in Deutschland ein klassisches Bildungs- oder Schulfernsehen ausgestrahlt wurde. Dabei standen uns in Norddeutschland drei Sender (ARD, ZDF und NDR) zur Auswahl. Die Vortragenden erinnerten dabei an den Schulunterricht, trugen Brille, Bart und Rollkragenpullover und vermittelten meist Mathematik, Physik oder Biologie.

Natürlich gab es auch vereinzelt bereits Computer in den Haushalten, Computertechnik aber war im Schulfernsehen kein eigener Schwerpunkt und wurde erst durch Sendungen wie dem WDR Computerclub (ab 1981) von Wolfgang Back und Wolfgang Rudolph in die Breite der Gesellschaft getragen.

Die Computer hiessen damals noch Klein-, Mikro- oder Heimcomputer und wurden in den Medien in der Regel als „ernsthafte Maschinen“ in den Bildungsbereich eingeordnet. Dass der Zugang zum Computer am besten über einen spielerischen Ansatz erreicht werden konnte, wurde in Deutschland nur langsam erkannt. Der WDR Computerclub setzte dabei auf eine Mischung von Unterhaltung und Information, richtete sich aber eher an ältere Jugendliche. Andere Medienformate wie Komm Puter oder die Computer Corner von Klaus Möller beispielsweise, setzten vom Alter früher an und versuchten es mit kindgerechter Pädagogik.

Darüber hinaus gab es so genannte Computercamps, in denen Kinder und Jugendliche ihre Ferien verbringen konnten. Diese Camps griffen den Leitsatz „Computerkenntnisse sind genau so wichtig, wie lesen und schreiben.“ von Denison Bollay auf und hatten erkannt, dass der Heimcomputer-Trend ein Markt für eine neue Form der Wissensvermittlung war. Da die Camps aber teilweise nicht günstig waren, konnte sich nicht jede Familie eine Teilnahme leisten.

Inhaltlich wurden die Computerferien von den Kindern mit Begeisterung aufgenommen und stellten die traditionellen Aktivitäten in ihren Schatten. Hier konnte gemeinsam programmiert, gespielt und getüftelt werden. Dass der Wissensdurst groß war, erkannten natürlich auch die Zeitschriften und so spriessen Computermagazine allerorten aus dem Boden.

Lesen und verstehen

“Schiff suchen”: in etwa 20 Sekunden wird das Spielfeld gezeichnet. (Bild: André Eymann)
“Schiff suchen”: in etwa 20 Sekunden wird das Spielfeld gezeichnet. (Bild: André Eymann)

Verglichen mit den technischen Möglichkeiten meines kleinen ZX81, hat heutzutage jede Digitaluhr mehr Rechenpower. Das aber ist nicht der wichtige Aspekt. Computer sind Maschinen, die Berechnungen durchführen. Dabei ist es egal, ob wir von einem einfachen Getränkeautomat oder einem komplexen Space Shuttle sprechen. Die mathematischen Prinzipien sind die gleichen. Worum es wirklich geht, ist das Verständnis, konkrete Aufgabenstellungen in Computerprogramme umzusetzen. Und hier kommen die Listings der 1980er wieder ins Spiel.

Listings waren meist in BASIC geschrieben, einer einfachen an das Englische angelehnten Programmiersprache, die leicht zu erlernen ist. Durch die sprachliche Lesbarkeit von BASIC konnte der Programmierer die Logik des Computerprogramms Zeile für Zeile nachvollziehen. Damit hatte BASIC eine Lanze gebrochen, das zuvor elitäre Wissen der Programmierer auf ein verständliches Niveau für jedermann zu heben.

Für meinen ZX81 brauchte ich Listings, da ich in meinem Freundeskreis keine fertigen Programme tauschen konnte. Bevor ich in der Lage war, eigene Programm zu entwickeln, habe ich zunächst Listings eingegeben und diese dann nach eigenen Vorstellungen modifiziert. Das Ergebnis war ein abgewandeltes Programm. So vergrößerte ich meinen „Spielbalken“ im 1k-Pong oder passte das Spielraster meiner U-Boot-Suche von 8×8 auf 16×16 Felder an. Spielerisch erforschte ich die Möglichkeiten meines Homecomputers und lernte dabei das Programmieren.

Im Prinzip das Gleiche

Ein Leserbrief von Dr. Fr.-P. Heider in der ZX User Club Ausgabe vom März/April 1983 hat mich zu diesem Beitrag inspiriert. Er schrieb: „Die Faszination jedes Computers liegt vermutlich tiefer begründet. Die Grenzen auszuloten, macht den Reiz des Programmierens aus. Alle (…) müssen mit genügend vielen nicht-trivialen Programmen versorgt werden. Die Redaktion sollte dafür Sorge tragen. Absichten und Randbedingungen sollten klarer formuliert werden.“

Dr. Heider hat sich in seinem Brief grundlegende Gedanken zur Ausrichtung der Zeitschrift gemacht, aber zusätzlich zu seinen pädagogischen Empfehlungen auch den wissenschaftlichen Aspekt beleuchtet. Im Fazit war ihm wichtig, dass die Leser programmieren „lernen“ und Listings nicht nur „abtippen“.

Die Gegenwart: vor einigen Wochen habe ich meine Kinder zu einem Programmier-Workshop begleitet. Es wurde einen ganzen Nachmittag mit der visuellen Programmiersprache SCRATCH entwickelt und am Abend konnten die ersten Erfolge bespielt werden. Die Prinzipien aus dem Leserbrief von 1983 waren auch hier anwendbar. Die Lehrer im Workshop haben den Kindern die konkrete Aufgabenstellungen der Programme erklärt. Als „Ersatz“ für BASIC kam eine grafische Sprache zum Einsatz, die aber, ebenso wie seinerzeit BASIC, mit Variablen, Bedingungen und vielen weiteren grundlegenden Methoden der Programmierung arbeitet. Man könnte also sagen: SCRATCH ist das neue BASIC. Oder auch: 2019 ist das neue 1983.

Wissen bleibt Macht

Ein Auszug des BASIC-Listings zu “Mauer einwerfen”. Wirf den Ball gegen die Wand. (Bild: André Eymann)
Ein Auszug des BASIC-Listings zu “Mauer einwerfen”. Wirf den Ball gegen die Wand. (Bild: André Eymann)

Durch die Kommerzialisierung der Computerindustrie ist das Tüfteln am eigenen Programm immer mehr in Vergessenheit geraten. Niemand braucht mehr Listings einzugeben, aber auch niemand macht sich mehr Gedanken über die Funktionsweise von Programmen.

Programmiersprachen wie SCRATCH oder Hardware wie der Einplatinen-Computer Raspberry Pi setzen genau hier an. Letzterer bezieht sich sogar konkret auf die Homecomputer-Ära, um Wissensvermittlung zur Computertechnik wieder in die Gesellschaft zu tragen. Der grundlegende Gedanke ist auch hier wieder: Computergrundlagen und das Experimentieren sind wichtig für die Zukunft.

Zeit in das Forschen und Lernen zu investieren ist und bleibt wichtig. 2019 wie auch 1983. Die Kinder und Jugendlichen bekommen dadurch nicht nur Werkzeuge an die Hand, sondern erlernen universelle Muster und Methoden, die eine nachhaltige Bedeutung in sich tragen.

Die Ideen und Aufgabenstellungen von „Todeslabyrinth“, „Mauer einwerfen“ oder „Schiff suchen“ lassen sich beispielsweise auch mit SCRATCH auf einem Raspberry Pi realisieren.

Wir müssen es nur versuchen.

Quellen

Hinweis: das Aufmacherbild ist ein nachbearbeitetes Fotodetail vom Deckblatt des ZX User Club Magazins, Ausgabe März/April 1983. Die Rechte liegen bei der Cooperation GmbH.


Veröffentlicht in: Medien & Literatur

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Kommentare (9)

  1. Es war wohl das emotionalste meiner Erlebnisse als ich in meinen C64 das erste Listing aus einem Buch eintippte und mich am Ergebnis erfreute: Ein kleiner Heißluftballon flog auf dem Fernseher umher und prallte an den Bildschirmkanten ab. Es war 1990. Ein Jahr, in dem ein kleiner Pixelhaufen das Steuerrad meines Daseins in die Hand nahm und Kurs auf mein zukünftiges Leben nahm. Seit dem begeistert mich die Programmierung von Computern so sehr, dass ich auch junge Generationen an diesem Erlebnis teilhaben lassen möchte. Ich denke schon seit längerem darüber nach ein Programmierkurs für Kids in meinem Stadtviertel anzubieten. Die Planung hierzu ist schon fortgeschritten aber noch nicht abgeschlossen, darum kann ich keine Details nennen. Nur soviel, dass Scratch vermutlich eine wesentliche Rolle spielen wird.

    Ach, Andre, ich habe einen Artikel mit Freude gelesen, weil ich mich an meine eigene Zeit erinnern durfte. Danke dafür.

    André Eymann
    1. Oh Damian. Ich habe Deinen Kommentar erst jetzt gelesen! Ganz herzlichen Dank für Deine Worte 🙂

      Was für eine schöne Idee! Das Wissen weiterzugeben ist das höchste Gut. Wahrscheinlich das wichtigste, dass man im Leben machen kann. Wir programmieren Zuhause auch mit Scratch. Und auch wenn wir noch ganz am Anfang stehen, so ist es irre schön zu sehen, wie sich die Kinder freuen, wenn sie ihr Programm zum Laufen gebracht haben. Dieser Moment, dieses Erlebnis ist es, das man anstreben sollte. Das Streben nach Wissen und dass sich die Mühe des Lernens auszahlt.

  2. Auch ich habe damals Listings in Basic abgetippt und mich auf diesem Weg mit Basic vertraut gemacht. So ist aus mir für das Themengebiet IT ein Autodidakt geworden. Aber auch in anderen Themengebieten habe ich von den damals angeeigneten Methoden profitiert und profitiere auch heute noch davon. Ich hab ja immer das Gefühl 80% der Menschheit ist heute nicht mehr in der Lage ein Handbuch oder Tutorial zu lesen.
    Dabei hat heute ein Interessierter es viel einfacher als früher. Die Bastelplatinen kosten nicht viel Geld und Lektüre+Hilfe gibt es zahlreich im Netz. Sogar das spielerische Programmieren von Robotern&Automaten ist heute erschwinglich geworden. Bin mal gespannt ob sich eines meiner Kinder später für diese Themen begeistern kann. Dann werde ich sicher auch mit Freude noch das eine oder andere lernen können.

    André Eymann
    1. Ein schönes autobiographisches Beispiel. Du hast vollkommen recht. Nie war es einfacher an Informationen zu kommen und Wissen zu erlangen als heute.

      Ich versuche ebenfalls meine Kinder für Technologie und das Programmieren zu begeistern. Ob das nachhaltig sein wird, liegt vermutlich nicht in unser Hand 😉 Aber wir können es zumindest versuchen!

      Vielen Dank für Deinen Kommentar.

  3. Vielen Dank für deinen Bericht, André.

    Bei mir persönlich ist der Start des privaten Computerzeitalters komplett vorbeigerauscht, wurde ich spät im Jahr 1980 doch erst vier Jahre alt.
    Aus finanziellen Gründen hatten wir später aber auch eher die schon gängige und damit auch erschwinglichere Hardware zuhause.
    An das “komplexe” Fernsehprogramm kann ich mich im Alter 5-10 dennoch gut erinnern, denn da wir auf dem tiefsten Dorf wohnten, gab es dort oft – je nach Wetter und dank der vermutlich aus Napoleonzeiten stammenden Antenne auf dem Dach – nicht einmal 3 Programme. Aber einen Holzofen, der schon nachts befeuert werden musste, damit wir uns Kids morgens überhaupt aus dem Bett trauten.

    Ich muss gestehen, dass ich damals wie heute auch eher der Konsument bin.
    Mein Dad hatte ja einen CPC6128 (den mit den coolen Disks) für’s Büro, einen C64 hatte ich nie. Später hier und da habe ich ein paar kleine Dinge über Amiga Basic probiert, aber ich glaube, da war der Zug schon für mich abgefahren, hatte das C64 Basic, wie sich viel später bei einem Freund herausstellte, doch einen ganz anderen “urigen” Reiz.

    Ein wenig “programmieren light” gibt es ja auch heute für die breite Masse – vermutlich ohne, dass sich viele, vor allem jüngere Nutzer, dessen überhaupt bewusst sind – mit Apps wie IFTTT, Tasker und ähnlichen für’s Smartphone.
    Die beruhen ja im Prinzip ebenfalls auf “wenn dies, dann das”.

    1. Ergänzen möchte ich noch, dass ich trotz wenig Geld eine schöne, wenn auch nicht immer sehr moderne Kindheit hatte, hatte wir doch ein riesiges Grundstück mit Koppeln und Wald und drumherum viel Grün. Das war anders genial 🙂
      Da fährt man dann halt schon mal die 7km mit dem Rad zum Schulfreund. Möchte ich nicht missen, bin ich doch heute nach wie vor sehr naturverbunden und brauche nicht das neueste an Technik (das ist aber keine Kritik an andere, die es können und es so machen).

    2. Es stimmt schon, dass die “aktive” Heimcomputer-Programmierphase für die meisten von uns wahrscheinlich recht kurz war. Bei mir von 1983 bis ca. 1987. Gleichwohl hat diese Ära für mich und eine ganze Generation prägend und hat ein Fundament geschaffen.

      Wenn ich mich in meinem beruflichen Umfeld umschaue, bin ich immer wieder erstaunt, wie viele mit Heimcomputern “aufgewachsen” sind. Viele meiner Kollegen haben später Informatik oder ähnliches studiert und sind heute Softwareentwickler, Projektmanager oder IT-Leiter. Ich bin davon überzeugt, dass das Wissen der damaligen Zeit eine Grundlage für unsere heutige IT-Gesellschaft geschaffen hat.

      Als dann mehr die Spiele in der Vordergrund rückten, war es aber mit dem Lernen nicht vorbei. Denn Spiele schaffen ebenfalls ein Fundament für den spielerischen Ansatz der Problemlösung. Sie tragen, genau wie das Programmieren, dazu bei Aufgabenstellungen kreativ zu bewältigen.

      Und natürlich gehören auch IFTTT usw. in den Kosmos des Lernens. Sie sind sogar sehr gute Beispiele dafür, wie wir in unserer modernen Welt Anforderungen in der Praxis in automatisierte Abläufe umsetzen können.

      Ganz herzlichen Dank für Deine Kommentare!

      1. Sehr gerne 🙂

        Da gebe ich dir absolut Recht, dass die frühe Computerära der Startschuss für die heutige IT war. Viele Mitarbeiter heute waren auch die damaligen jugendlichen Computerfreaks (im Positiven) und haben auch viel von ihrem Interesse an die nächste Generation weitergegeben.