Wie sich die Welt doch verändert hat. Oder ist sie heutzutage vielleicht doch gar nicht so anders als 1983? Eine Selbstbegegnung auf den Spuren der Vergangenheit.
Sonnige Pinienwälder, eine leichte Brise und außerhalb des Schattens brennende Hitze. Das war unser Sommerurlaub im Jugoslawien der 1980er Jahre. Im Kontrast zum Baden im kristallklaren Wasser der Adria standen für mich aber noch ganz andere Aktivitäten auf dem Programm. Nach dem gemeinsamen Familienessen im Grill-Restaurant des Campingplatzes saß ich, an manchen Abenden, im Wohnwagen und tippte Listings für Computerspiele in meinen ZX81 Heimcomputer von Sinclair.
Die Spiele hatten Namen wie „Todeslabyrinth“, „Mauer einwerfen“ oder „Schiff suchen“ und liessen mich, im Schein des Mondes, in die faszinierende Welt der Programmierung abtauchen.
Neben weiteren Heimcomputer-Zeitschriften las ich seinerzeit das „ZX User Club“ Magazin von Josef Schaaf, indem die Listings abgedruckt waren. Freilich interessierte mich damals noch nicht, dass das Heft von einem Herrn Schaaf herausgegeben wurde. Mir waren nur die „frischen“ Programme für meinen ZX81 wichtig.
Um das zu verstehen, muss man sich die gesellschaftliche Ausgangslage zu dieser Zeit etwas genauer anschauen.
Bildungsfernsehen und Computercamps
Die 1980er Jahre waren eine Zeit, in der in Deutschland ein klassisches Bildungs- oder Schulfernsehen ausgestrahlt wurde. Dabei standen uns in Norddeutschland drei Sender (ARD, ZDF und NDR) zur Auswahl. Die Vortragenden erinnerten dabei an den Schulunterricht, trugen Brille, Bart und Rollkragenpullover und vermittelten meist Mathematik, Physik oder Biologie.
Natürlich gab es auch vereinzelt bereits Computer in den Haushalten, Computertechnik aber war im Schulfernsehen kein eigener Schwerpunkt und wurde erst durch Sendungen wie dem WDR Computerclub (ab 1981) von Wolfgang Back und Wolfgang Rudolph in die Breite der Gesellschaft getragen.
Die Computer hiessen damals noch Klein-, Mikro- oder Heimcomputer und wurden in den Medien in der Regel als „ernsthafte Maschinen“ in den Bildungsbereich eingeordnet. Dass der Zugang zum Computer am besten über einen spielerischen Ansatz erreicht werden konnte, wurde in Deutschland nur langsam erkannt. Der WDR Computerclub setzte dabei auf eine Mischung von Unterhaltung und Information, richtete sich aber eher an ältere Jugendliche. Andere Medienformate wie Komm Puter oder die Computer Corner von Klaus Möller beispielsweise, setzten vom Alter früher an und versuchten es mit kindgerechter Pädagogik.
Darüber hinaus gab es so genannte Computercamps, in denen Kinder und Jugendliche ihre Ferien verbringen konnten. Diese Camps griffen den Leitsatz „Computerkenntnisse sind genau so wichtig, wie lesen und schreiben.“ von Denison Bollay auf und hatten erkannt, dass der Heimcomputer-Trend ein Markt für eine neue Form der Wissensvermittlung war. Da die Camps aber teilweise nicht günstig waren, konnte sich nicht jede Familie eine Teilnahme leisten.
Inhaltlich wurden die Computerferien von den Kindern mit Begeisterung aufgenommen und stellten die traditionellen Aktivitäten in ihren Schatten. Hier konnte gemeinsam programmiert, gespielt und getüftelt werden. Dass der Wissensdurst groß war, erkannten natürlich auch die Zeitschriften und so spriessen Computermagazine allerorten aus dem Boden.
Lesen und verstehen
Verglichen mit den technischen Möglichkeiten meines kleinen ZX81, hat heutzutage jede Digitaluhr mehr Rechenpower. Das aber ist nicht der wichtige Aspekt. Computer sind Maschinen, die Berechnungen durchführen. Dabei ist es egal, ob wir von einem einfachen Getränkeautomat oder einem komplexen Space Shuttle sprechen. Die mathematischen Prinzipien sind die gleichen. Worum es wirklich geht, ist das Verständnis, konkrete Aufgabenstellungen in Computerprogramme umzusetzen. Und hier kommen die Listings der 1980er wieder ins Spiel.
Listings waren meist in BASIC geschrieben, einer einfachen an das Englische angelehnten Programmiersprache, die leicht zu erlernen ist. Durch die sprachliche Lesbarkeit von BASIC konnte der Programmierer die Logik des Computerprogramms Zeile für Zeile nachvollziehen. Damit hatte BASIC eine Lanze gebrochen, das zuvor elitäre Wissen der Programmierer auf ein verständliches Niveau für jedermann zu heben.
Für meinen ZX81 brauchte ich Listings, da ich in meinem Freundeskreis keine fertigen Programme tauschen konnte. Bevor ich in der Lage war, eigene Programm zu entwickeln, habe ich zunächst Listings eingegeben und diese dann nach eigenen Vorstellungen modifiziert. Das Ergebnis war ein abgewandeltes Programm. So vergrößerte ich meinen „Spielbalken“ im 1k-Pong oder passte das Spielraster meiner U-Boot-Suche von 8×8 auf 16×16 Felder an. Spielerisch erforschte ich die Möglichkeiten meines Homecomputers und lernte dabei das Programmieren.
Im Prinzip das Gleiche
Ein Leserbrief von Dr. Fr.-P. Heider in der ZX User Club Ausgabe vom März/April 1983 hat mich zu diesem Beitrag inspiriert. Er schrieb: „Die Faszination jedes Computers liegt vermutlich tiefer begründet. Die Grenzen auszuloten, macht den Reiz des Programmierens aus. Alle (…) müssen mit genügend vielen nicht-trivialen Programmen versorgt werden. Die Redaktion sollte dafür Sorge tragen. Absichten und Randbedingungen sollten klarer formuliert werden.“
Dr. Heider hat sich in seinem Brief grundlegende Gedanken zur Ausrichtung der Zeitschrift gemacht, aber zusätzlich zu seinen pädagogischen Empfehlungen auch den wissenschaftlichen Aspekt beleuchtet. Im Fazit war ihm wichtig, dass die Leser programmieren „lernen“ und Listings nicht nur „abtippen“.
Die Gegenwart: vor einigen Wochen habe ich meine Kinder zu einem Programmier-Workshop begleitet. Es wurde einen ganzen Nachmittag mit der visuellen Programmiersprache SCRATCH entwickelt und am Abend konnten die ersten Erfolge bespielt werden. Die Prinzipien aus dem Leserbrief von 1983 waren auch hier anwendbar. Die Lehrer im Workshop haben den Kindern die konkrete Aufgabenstellungen der Programme erklärt. Als „Ersatz“ für BASIC kam eine grafische Sprache zum Einsatz, die aber, ebenso wie seinerzeit BASIC, mit Variablen, Bedingungen und vielen weiteren grundlegenden Methoden der Programmierung arbeitet. Man könnte also sagen: SCRATCH ist das neue BASIC. Oder auch: 2019 ist das neue 1983.
Wissen bleibt Macht
Durch die Kommerzialisierung der Computerindustrie ist das Tüfteln am eigenen Programm immer mehr in Vergessenheit geraten. Niemand braucht mehr Listings einzugeben, aber auch niemand macht sich mehr Gedanken über die Funktionsweise von Programmen.
Programmiersprachen wie SCRATCH oder Hardware wie der Einplatinen-Computer Raspberry Pi setzen genau hier an. Letzterer bezieht sich sogar konkret auf die Homecomputer-Ära, um Wissensvermittlung zur Computertechnik wieder in die Gesellschaft zu tragen. Der grundlegende Gedanke ist auch hier wieder: Computergrundlagen und das Experimentieren sind wichtig für die Zukunft.
Zeit in das Forschen und Lernen zu investieren ist und bleibt wichtig. 2019 wie auch 1983. Die Kinder und Jugendlichen bekommen dadurch nicht nur Werkzeuge an die Hand, sondern erlernen universelle Muster und Methoden, die eine nachhaltige Bedeutung in sich tragen.
Die Ideen und Aufgabenstellungen von „Todeslabyrinth“, „Mauer einwerfen“ oder „Schiff suchen“ lassen sich beispielsweise auch mit SCRATCH auf einem Raspberry Pi realisieren.
Wir müssen es nur versuchen.
Quellen
- Zeitschrift ZX User Club, Ausgabe März/April 1983, Cooperation GmbH, Herausgeber: Josef Schaaf, Chefredakteur: Wolfgang Bergmann
- Sommer, Sonne, VC 20 – Computercamps in den 1980er Jahren hier auf VSG
- Beiträge von Klaus Möller hier auf VSG
Weiterführende Links
- Scratch – Imagine, Program, Share
- Raspberry Pi (Wikipedia)
- HABA Digitalwerkstatt: Digitale Bildung für Kinder
- Code it!: Programmieren lernen für Kinder im Online Programmierkurs
- BASIC-Programmierung – Der Beginn einer Liebe (Podcast bei pixelpommes.de)
Hinweis: das Aufmacherbild ist ein nachbearbeitetes Fotodetail vom Deckblatt des ZX User Club Magazins, Ausgabe März/April 1983. Die Rechte liegen bei der Cooperation GmbH.
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