In der Anfangszeit der Videospiele bestanden Spielwelt und Charaktere nur aus einer Handvoll Pixeln mit wenigen Farben. Da brauchte das Gehirn damals schon viel Fantasie, um die bunten Klötzchen zu dem drahtigen Kung-Fu-Kämpfer oder schießwütigen Cowboy zusammenzusetzen, der das Cover zierte. Trotzdem war es schon immer so, dass bei Spielern und Entwicklern zumeist die Optik an erster Stelle steht.
Bis heute wird unser erster Eindruck von einem Spiel vor allem vom Grafikdesign bestimmt. Wir sortieren anhand von Screenshots aus oder schauen erst unzählige Let’s Plays, ehe wir mal selbst den Controller in die Hand nehmen. Und obgleich dieser Fokus auf die Äußerlichkeiten eines Spiels absolut logisch ist, sind es am Ende doch nicht immer nur die Bilder, die uns noch Jahrzehnte später in Erinnerung bleiben.
An einem Weihnachten in den Neunzigern brannten sich die bis zu 61 Farben des Mega Drive – aus einer Palette von phänomenalen 512 Farben – zum ersten Mal in meine kindlichen Augen. Seither habe ich die saftigen grünen Wiesen der Green Hill Zone, den langen Bart von Dr. Robotnik und die Silhouette des coolen blauen Igels sofort vor dem geistigen Auge, wann immer ich das Wort Sonic auch nur höre.
Mein Gedächtnis ist aber nicht nur voll mit den bunten Bildern, die damals über den Bildschirm flimmerten und den Melodien, die ich bis heute mitsummen kann. Die vielleicht noch viel erstaunlicheren Erinnerungen sind die Sounds. Viele von ihnen sind kaum mehr als eine Sekunde lang und doch würde ich einige davon noch immer sofort wiedererkennen. Allen voran der wohlige Klang der Ringe, von denen ich im Laufe der Jahre wohl Abertausende eingesammelt habe. Genauso erinnere ich mich an das Geräusch der rettenden Luftblasen in den Wasser-Levels, die mir bis heute einen kleinen Schauer über den Rücken jagen oder der bedrohliche Klang der Feuerbälle in der Marble Zone.
Eines finde ich daran besonders interessant. Wie die Wahl meiner Worte vielleicht schon erahnen ließ, sind diese akustischen Erinnerungen im Gegensatz zu den Bildern nämlich irgendwie noch etwas stärker an die Emotionen von damals geknüpft.
Die Angst vor dem Rauschen
Obwohl Sonic The Hedgehog nicht zuletzt durch die Tatsache, dass es eben eines meiner ersten virtuellen Erlebnisse war, sicher einen ganz besonderen Eindruck hinterlassen hat, ist es beileibe nicht das einzige Spiel, dessen Sounds sich ganz tief in mein Hirn gebohrt haben. Der Soundchip des Mega Drive genießt zwar bei vielen keinen guten Ruf, aber schon auf dem 16-Bit-Kasten gab es neben Sonic viele Titel, die mir heute noch in den Ohren klingen. SEGAs Streets of Rage hatte beispielsweise nicht nur einen legendären Soundtrack, auch der Klang, wenn man ein Leben einsammelte oder Axels Kampfschrei bleiben hängen. Dank Dune II folgt in meinem Kopf auf ein „Befehle?“ immer ein „Bestätigt!“ und die Todesschreie der Soldaten – die eigentlich kaum mehr als ein paar kleine Farbkleckse waren – sind unverkennbar.
Was bleibt von Silent Hill übrig, wenn das Rauschen des Radios nicht mehr vor den Gefahren warnt, die im Nebel lauern?
Roberto Kracht
Mit dem Ende der 16-Bit-Generation und dem Beginn der CD-Ära waren dann nicht nur die Soundchips besser, sondern auch Speicherplatz war plötzlich im Überfluss vorhanden. Damit wandelten sich natürlich auch die Soundeffekte, die nun immer öfter auf Aufnahmen aus der realen Welt setzten, statt alle Töne von Hand selbst zu „komponieren“. Trotzdem haben auch spätere Generationen von Sound-Designern immer wieder Effekte hervorgebracht, ohne die so manches Kult-Spiel einfach nicht das gleiche gewesen wäre.
Als Shooter-Fan steigt sofort der Puls, wenn man den unheilvollen Sound des Quad-Damages hört. Der unverwechselbare Klang des Schildes aus der Halo-Reihe ist untrennbar mit einem Gefühl der Erleichterung verknüpft und das blecherne Hämmern von Half-Lifes Brechstange hallt noch immer nach. Großartige Sounds können gute Spiele nicht nur zu sehr guten Spielen machen. Für manche Titel sind sie sogar essentiell, denn ohne sie verkommen die schaurigsten Horror-Meisterwerke zu öden Geisterbahnen.
Was bleibt von Silent Hills verstörender Atmosphäre übrig, wenn das schrecklich schöne Rauschen des Radios nicht mehr vor den Gefahren warnt, die im Nebel lauern? Wie vorsichtig wäre man noch, wenn Left 4 Deads Special Infected nicht mehr lauthals ihre ekligen Geräusche von sich geben würden? Gerät man ohne das schrille Piepen noch genauso in Panik, wenn die kleinen Punkte auf dem Motion Tracker immer näher kommen? Und fürchtet man Forbidden Sirens irre Dorfbewohner noch, wenn man beim Blick durch deren Augen nur noch Stille hört? Uns ist es zwar oft nicht ganz bewusst, aber wer diese Spiele gut kennt, der wird mir zustimmen, dass viel von ihrer Wirkung von eben jenen vermeintlich unscheinbaren Sound-Schnipseln abhängt.
Sound als Schlüssel zum Sieg
Manchmal gehen Spiel-Designer aber sogar noch einen Schritt weiter und machen den Sound zum zentralen Element des Spiels. Den meisten dürften dabei vor allem populäre Rhythm-Games in den Sinn kommen. Wenn man es genau nimmt, dann steht bei Indie-Hits wie Audiosurf und Thumper oder Klassikern wie Space Channel 5 und Bust-A-Groove aber eigentlich nicht das Sound-Design, sondern die Musik im Fokus. Dabei gibt es auch Beispiele, die Töne noch auf ganz andere Weise nutzen.
Schon für den Sega Saturn designte Kenji Eno eine Art spielbares Hörbuch namens Real Sound: Kaze no Regret, das auch Blinde spielen konnten. Im Indie-Horror Sylvio müsst ihr paranormale Botschaften auf Tonbändern entschlüsseln, indem ihr beim Abspielen genau hinhört und gezielt Richtung und Geschwindigkeit verändert.
In Gattai Games Multiplayer-Shooter Muffled Warfare machen die Schallwellen eurer Aktionen – schießen oder springen z.B. – erst die Umgebung sichtbar. Geräusche werden also zugleich zur Gefahr und zum unverzichtbaren Hilfsmittel. Ein ähnliches Konzept kommt auch in ihrem Horror-Titel Stifled zum Einsatz. Hier müsst ihr ins Mikro flüstern, um die Spielwelt sehen zu können, aber gleichzeitig immer aufpassen, dass ihr damit nicht die Monster auf euch aufmerksam macht.
Ein besonders effektives aber leider selten sinnvoll genutztes Feature sind separate Lautsprecher, wie sie zum Beispiel in der VMU des Dreamcast, in Nintendos WiiMote oder dem Dual Shock 4 zu finden sind. In SEGAs Skies of Arcadia dient das piepen der Memory Card beispielsweise als Metalldetektor, der auf versteckte Schätze hinweist. In Silent Hill: Shattered Memories hört man damit gruselige Anrufe und im Splitscreen-Modus von Red Steel erfahren die Kontrahenten über den Lautsprecher geheime Ziele.
Akustische Experimente
Cleveres Audio-Design findet sich aber längst nicht mehr nur auf PC und Konsole. Durch das Fehlen von Tasten, den Mobilitäts-Faktor sowie technische Spielereien wie den Gyrosensor und AR sind inzwischen auch Smartphones ein willkommenes Experimentierfeld für kreative Entwickler.
So gibt es für Android und iOS etwa Zombies, Run!, das auf spannende Art ein spielbares Hörbuch mit einer Fitness-App kombiniert. Mit Sprache, Geräuschen und Musik verwandelt es eure gewöhnliche Laufstrecke in eine dramatische Hetzjagd durch eine Zombie-Apokalypse. Diverse Missionen und Belohnungen sollen langfristig zum Laufen motivieren und verschiedene Situationen sorgen dafür, dass ihr euer Tempo variiert. In Mayday! Deep Space lasst ihr wiederum den Protagonisten laufen. Der irrt verzweifelt durch ein Raumschiff und ist auf eure Sprachkommandos angewiesen. Und Papa Sangre 1 & 2 lassen euch blind durch ein Horror-Spiel voller Fallen und unheimlicher Geräusche stolpern. Mit Virtual Reality stehen den Entwicklern mittlerweile sogar noch mehr Möglichkeiten offen und schon allein das Thema Surround Sound bietet genug Stoff für mehrere Artikel.
Obendrein gibt es ja auch noch Audio-Künstler wie Robin Arnott, die für ihre Ideen ganz eigene Lösungen basteln. Statt einem VR-Headset setzt er euch für sein experimentelles Audio-Game Deep Sea einfach eine eigens gebastelte Maske auf, die euch die Sicht nimmt und das Atmen erschwert. Mit diesem körperlich deutlich spürbaren Handicap müsst ihr dann ein Monster abwehren, das euch aus allen Richtungen überraschen könnte. Da braucht es keine Bilder mehr, um euch den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben.
In the most flowery terms, the ambient sound in Dead Space 2 is almost a character in itself. It’s such an intrinsic part of the player’s experience, and the psychological experience of playing a game.
J. White, Lead Sound Designer von Dead Space 2, SW: Galaxies uvm.
Ausgefeiltes Sound-Design wird oft verkannt, dabei steckt genauso viel Arbeit darin wie in Grafik oder Gameplay und wenn man ein außergewöhnliches Erlebnis erschaffen will, führt kein Weg daran vorbei. Und trotzdem, so spannend all die Möglichkeiten und Experimente auch sein mögen, am Ende sind es dann doch wieder die Kleinigkeiten, die wir für immer abspeichern.
Oder habt ihr etwa nicht bis heute die Menü-Sounds von Metal Gear Solid und Final Fantasy im Ohr?
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