Frei nach dem Slogan „Wie war das damals?“ blicken wir nun zurück auf die Pionierzeit der Heimcomputer in Westdeutschland. Wie nahmen wir als Jugendliche zu dieser Zeit die Eroberung der privaten Haushalte durch Computer wahr?
Wir schreiben das Jahr 1984. In Zeiten des kalten Krieges erscheinen die Bedrohungsszenarien der James-Bond-Filme lange nicht so weit hergeholt, wie heutzutage. Der Kinofilm Octopussy handelt im Schatten des Wettrüstens und des NATO-Doppelbeschlusses von der abenteuerlichen Suche nach einem Fabergé-Ei. Bond musste verhindern, dass der Bösewicht den berühmten Zarenschatz gegen eine Atombombe eintauschen kann. Erst in letzter Minute kann die Apokalypse verhindert werden. Scherzhaft verkündet der US-Präsident Ronald Reagan im gleichen Jahr die Bombardierung der Sowjetunion in einer Probe-Ansprache. Er entschuldigt sich später dafür.
In der BRD „hackt“ der Chaos Computer Club die Deutsche Bundespost und deckt somit einen ersten illegalen und medienwirksamen Datenzugriff mit historischer Tragweite für unser Land auf. Und zu guter Letzt wird River Raid von Activision als das erste deutsche Videospiel indiziert. Gleich zu Beginn des Jahres führt Apple den Macintosh als, wie wir heute wissen, Meilenstein der ästhetischen Computertechnik ein. Obwohl in vielen deutschen Kinderzimmern bereits ein Commodore 64 stand, konnte sich ein kleiner Schwarz-Weiß-Computer aus England, der ZX81, ebenfalls auf dem heimischen Markt behaupten.
1984/1985 erlebt Hamburg einen kalten und trockenen Winter. Unter dem Tannenbaum stand für mich in diesem Jahr ein kleiner Karton, der in seiner Styroporverpackung einen ebenso kleinen Computer mit Folientastatur beherbergte. Einen Sinclair ZX81. Doch wie kam es zu diesem Geschenk?
Eine neue Welt für 98 Mark
Wie ist mein Vater auf die Idee gekommen, seinem damals dreizehnjährigen Sohn ausgerechnet diesen britischen Rechner zum Fest zu schenken? Auf diese Frage antwortete er: „Ich habe beobachtet, wie Dich damals elektronische Spiele wie Pac-Man interessierten“. Sicher wird ihm auch aufgefallen sein, dass ich viel mit meinen verschiedenen Game & Watch LCD-Spielen, wie beispielsweise meinem tragbaren, knallorangenen Nintendo-Spiel Game & Watch Donkey Kong, gespielt habe. Oder wie wesentliche Anteile meines Taschengeldes im Galaga-Spielautomaten im Imbiss um die Ecke verschwanden. Auch ahnte er wahrscheinlich, dass ich mit meinem Freund auf der anderen Straßenseite zusammen auf dessen Atari VCS spielte. Dennoch entschied er sich bewusst, mir einen Computer zu schenken und keine Videospielkonsole.
Dass mich Technologie schon immer interessierte, wurde früh von meinem Vater gefördert. Dazu fiel ihm ein: „Kannst Du Dich noch an das electrum-Museum in Hamburg-Barmbek erinnern? Dort war ein ganzer Raum mit dem Ur-PC von Konrad Zuse ausgefüllt, mit der Leistung von, glaube ich, einem Kilobyte. Im Büro der Großküche hatten wir nur Additionsmaschinen. Zur Not konnte man damit auch multiplizieren. Eine 4-Spezimaschine (Anmerkung: eine Maschine die alle vier Grundrechenarten beherrschte) kostete in den 60er Jahren fast 8.000,- DM. Etwas über 10 Jahre später kostete ein Taschenrechner nur noch 5,- DM.“
So ging er im Dezember des Jahres 1984, durch eine Werbeanzeige inspiriert, los und besuchte die Elektronik-Abteilung im Tiefgeschoss des Kaufhauses Alsterhaus am Hamburger Jungfernstieg, um mir einen ZX81 zu kaufen. „Der Preis war, glaube ich, 98,- DM“, erinnerte er sich. „Commodore 16 und 64 kamen später. Aber auch bei denen reichte zum Abspeichern noch mein Kassettenrekorder“, rief er kürzlich aus dem Gedächtnis ab. Das stimmt nicht so ganz, denn 1984 gab es den Commodore 64 schon seit einem Jahr in der BRD zu kaufen. Die Einführung des C16, dem Nachfolger des VC 20, erfolgte bei uns allerdings erst 1985.
Zum Vergleich: der Apple Macintosh kostete seinerzeit hierzulande ca. 7.200,- DM! Der Commodore 64 kostete ca. 1.495,- DM und lag preislich ebenfalls außerhalb des akzeptablen Rahmens. Die sehr niedrigen Anschaffungskosten für den ZX81 waren sicher auch ein entscheidendes Kaufargument für das Weihnachtsgeschenk. So ist es leicht vorstellbar, weshalb der ZX81 – ob als Bausatz oder Fertigmodell – insgesamt ein großer Verkaufserfolg wurde. Er war in Wirklichkeit der „wahre“ Volkscomputer und nicht der Commodore VC 20, so wie es die Werbung in Deutschland zu vermarkten versuchte.
Magischer Moment in heiliger Nacht
Ich kann mich nicht daran erinnern, ob es noch weitere Geschenke für mich zu diesem Fest gab. Zu sehr war ich nach dem traditionellen Weihnachtsessen damit beschäftigt, den in Ungarn hergestellten Videoton TC 1613 Fernseher auszupacken und in Betrieb zu nehmen. Schließlich sollte dieser 8-Kanal VHF-UHF Röhren-Schwarz-Weiß-Tischfernseher dem ZX81 zur bildlichen Darstellung in meine Welt verhelfen. Kurz danach wurde ein Foto aufgenommen, das die frisch ausgepackten Bestandteile des Kleincomputer-Pakets, nebst seinem stolzen Besitzer, bildlich verewigte.
Nachdem der ZX81 mit dem Fernseher verbunden war, wurde der entsprechende UHF-Kanal 36 auf dem Frequenzband des TV-Gerätes gesucht. Langsam wurde mir klar: Du besitzt jetzt einen eigenen Computer! Alle unglaublichen Möglichkeiten stehen nun auch Dir offen. Spiele, Textprogramme, Grafik. Alles, was ich zuvor in Heimcomputerzeitschriften wie Happy Computer oder HC Mein Home-Computer gelesen hatte, war nun auch für mich zugänglich.
Ich schaltete den kleinen schwarzen Kasten ein und es erschien ein weißes „K“ in einem schwarzen Quadrat.
Das „K“ stand für „Keyword“ (engl. für Schlüsselbegriff) und erwartete nun weitere Anweisungen von mir. Sofort blätterte ich im beiliegenden Handbuch ZX81 BASIC Programming und tippte meine ersten Kommandos. Schon nach kurzer Zeit vergaß ich Raum und Zeit um mich. Ein magischer Moment hatte mich erfasst und zog mich unaufhörlich in seinen Bann. Es war, als wäre ich durch ein Tor in eine neue, faszinierende Welt gegangen. Ich glaube die Küche, in der mein ZX81 aufgebaut war, an diesem Abend kaum mehr verlassen zu haben.
Erste kleine Beispielprogramme wurden von mir über die anschlaglose Tastatur des Rechners eingegeben. Programme wie: „Zahlenraten“, „Drucke den gesamten Zeichenvorrat aus“ oder „Rate meinen Namen“. Auch konnte ich schnell erste BASIC-Schleifenroutinen nachvollziehen. Das ZX81-Handbuch stand mit vielen verständlichen Hinweisen hilfreich Pate.
Kaufhaus-Erinnerungen
Wo kam man in den Achtziger Jahren als Jugendlicher mit Heimcomputern in Berührung? Ganz sicher in den großen Kaufhäusern der Stadt. Von meinem Elternhaus war das nächst erreichbare Einkaufszentrum nur 3,5 Kilometer entfernt. Oft ging ich direkt nach der Schule dorthin, um Stunden in der „Computerecke“ von Kaufhof oder Horten zu verbringen.
Das Eldorado der Maschinen dort faszinierte mich. Der Geruch von Kunststoff, erhitzten Netzteilen und Papier war allgegenwärtig. Immer wieder tippte ich Befehlszeilen in die Tastaturen von Commodore 64, Texas Instruments TI-99/4A, VC 20 oder Atari 800 XL ein. Obwohl die meisten Systeme im Kaufhaus meinem ZX81 Zuhause technisch überlegen waren, war ich dennoch glücklich mit meinem eigenen kleinen „Personal Computer“. Meine Eltern konnten die Dinge, die ich in meinem Zimmer auf den Bildschirm zauberte, kaum nachvollziehen. Es war meine eigene Welt, in der ich mich ganz allein behaupten konnte. Rückblickend betrachtet müssen wir Außenstehenden wie Freaks vorgekommen sein.
Mit Nicki-Pullover und Daunenjacke konnten wir Stunden vor den flimmernden TV-Röhren verbringen. Natürlich konnte man im Kaufhaus auch die neuesten Spiele für Heimcomputer und Konsolen ausprobieren. So konnte man beispielsweise kostenlos Smurf für das ColecoVision oder Zaxxon für den Commodore 64 spielen. Alles Top-Hits, die man sich auch zuhause wünschte, die aber preislich leider oft unerreichbar waren. Als Alternative blieb nur, an den Videospielautomaten in der Öffentlichkeit zu spielen. Das war allerdings teuer und nicht immer einfach, denn normalerweise waren die Automaten nur in Bereichen ab 18 Jahren zugänglich.
Mehr Speicher bitte
Als Datenspeicher für meine ZX81-Programme konnte ich den Kassettenrekorder meines Vaters benutzen. Dabei kamen handelsübliche Compact-Cassetten zum Einsatz. Mit den BASIC-Befehlen LOAD und SAVE konnten die wertvollen Zeilen geladen und gespeichert werden. Später dann benutzte ich meinen eigenen kleinen „Ghettoblaster“. So konnte ich bei komplexeren Programmen Zwischenstände speichern, die sonst beim Ausschalten des Computers für immer verloren gewesen wären.
Nach wenigen Wochen waren die eingebauten 1K-RAM-Speicher des ZX81 dann doch zu begrenzt für meine Wünsche. So bekam ich glücklicherweise die Original ZX 16K RAM-Speichererweiterung von meinem Vater geschenkt. Die Erweiterung kostete damals 139,- DM und ermöglichte es, umfangreichere Programme auf dem Rechner laufen zu lassen. Um den Rechner auf 16K zu erweitern, wurde die neue Zusatzhardware auf den 44-poligen Stecker auf der Rückseite des ZX81 gesteckt.
Leider war die physische Verbindung konstruktionsbedingt instabil. Ein kleines Wackeln daran konnte den Computer umgehend zum Absturz bringen. Dies war ein Albtraum, vor allen Dingen nachdem man stundenlang ein Listing eingetippt hatte. Auf dem folgenden Foto kann man sehen, wie ich die Erweiterung mit dem ZX81 verbinde.
Spielen wie die Großen
Mein erstes Kaufspiel für den ZX81 war The Gauntlet von Colourmatic Computing. Ich habe es für 24,80,- DM bei der Ottobrunner Firma Computer Accessoires Int’l über den Versandhandel bestellt. Das Geld dafür wurde vom kostbaren Taschengeld abgespart. Der Rest, der noch fehlte, wurde durch Autowaschen oder Rasenmähen hinzuverdient. Bei dem als „Ein Weltraumspiel“ beworbenen Gauntlet handelt es sich um eine Variante des Horizontalshooters Scramble von Konami.
Das Original kannte ich damals bereits von einem Videospielautomaten. Auch hatte ich schon oft die Anirog-Version für den Commdodore 64 von 1983 gespielt. Alle Versionen des Spiels, die ich kannte, waren sehr schwer zu gewinnen. Dies traf ebenfalls auf diese Sinclair-Variante des Spiels zu. Dass die Ähnlichkeit des ZX81-Scramble mit dem japanischen Vorbild für mich eindeutig war, habe ich damals in einer Zeichnung in der Innenhülle meiner Kaufkassette festgehalten. Ein Beweis dafür, wie sehr sich die kunstvolle Illustration dieses Videospiels damals bereits in meiner Fantasie verankert hatte. Natürlich war Gauntlet für mich wertvoller und besser als jede andere Version. Denn ich konnte es jederzeit spielen und zwar auf meinem eigenen ZX81.
Zum Programmieren animiert
Ein guter Freund von mir besaß bereits einen Commodore 64, mit dem wir oft zusammen spielten. Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich tagelang nachmittags an meinem kleinen ZX81 saß und versuchte, das C64-Spiel Bagitman nachzuprogrammieren. Ich habe von jeher eine Schwäche für Jump and Run-Spiele wie Jumpman oder Lode Runner. Bagitman hatte mich soweit begeistert, dass ich das komplette Höhlensystem mit dem einfachen Zeichensatz des ZX81 nachgebildet hatte. Auch konnte ich bereits bewegte Objekte programmieren. Für viel mehr hat es damals allerdings nicht gereicht. Ich war noch nicht weit genug mit meinen Programmierkenntnissen.
So tippte ich vorwiegend fertige Listings ab und kaufte mir entsprechende Publikationen, wie das Sonderheft ZX81 Sinclair Programme der CHIP oder den ZX User Club-Sammelband von 1983. Dort gab es so viel Auswahl an interessanten und lehrreichen Programmen, dass mir niemals langweilig wurde. Aufgrund der Einfachheit von BASIC konnte ich vorhandene Programme leicht modifizieren und meine eigenen Ideen einbringen. So lernte ich spielerisch das Programmieren und konnte zusätzlich grundlegende Computerkenntnisse sammeln.
All diese Türen hat mir der ZX81 geöffnet. Und natürlich wäre dies ohne das wegweisende Geschenk meiner Eltern nicht möglich gewesen. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen meiner Generation ähnliche Geschichten erzählen könnten. Die Neugier auf Technik wurde spielerisch geweckt und trägt ihre Früchte bis heute.
Bildergalerie
Weiterführende Links
- ZX-TEAM Homepage: www.zx81.de
- ZX81 Tapes, Hardware and Books Collection: www.zx81stuff.org.uk
Herzlichen Dank an René Achter von für das Aufmacherbild zum Beitrag!
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