Neulich auf der A5. Ich bin beruflich mit dem Auto von Kassel nach Frankfurt unterwegs. Ich hatte es nicht eilig, denn ich hörte einen Podcast von zwei alten Männern über alte Spiele.
Die beiden unterhalten sich gerade über die Spiele-Reihen Wing Commander und X-Wing, als ich plötzlich stutzig werde und innehalte. Wovon reden die da? In einem Satz kamen gleich zwei Begriffe vor, mit denen ich nicht so recht etwas anfangen konnte.
Der Satz lautete in etwa so: „Das Spiel hat eine narrative Struktur und spielt sich immersiv“.
Häh, habe ich etwas verpasst? Ich bin kein Freund von Anglizismen, vor allem wenn es eine griffigere Deutsche Beschreibung dafür gibt, oder wenn sie inflationär eingesetzt werden. Wenn aber Gunnar Lott und Christian Schmidt diese Begriffe verwenden, lässt mich das aufhorchen. Ich schätze beide sehr und höre ihnen gerne zu. Sie wissen wovon sie reden, können sich dabei gut artikulieren und ergänzen sich perfekt. Auch, oder gerade wenn sie völlig unterschiedlicher Meinung sind (die wenigen auf der VSG, die den Podcast von Stay Forever nicht kennen; unbedingt reinhören). Die beiden sagen solche Begriffe nicht einfach so. Also habe ich am Abend recherchiert.
Narrativ ist abgeleitet vom dem lateinischen „narrare“ und bedeutet „erzählen“. Ich kannte den Begriff bisher nur in Verbindung mit Filmen. Und „immersiv“? Es leitet sich vom englischen „immersion“ ab und bedeutet „Eintauchen“. Aha.
Soweit so gut. Aber was ist damit bei einem Computerspiel gemeint? Wann also ist ein Spiel immersiv? Gab es bereits in den 80er und 90er Jahren immersive Spiele (8-Bit/16-Bit)? Ist mein Lieblingsspiel auf dem C64, Elite, immersiv?
Fragen über Fragen. Ich habe mich auf die Suche nach Antworten gemacht.
Rückblick; die 80er und 90er Jahre. Spiele wurden nach Grafik, Sound und Spielspaß beurteilt und bekamen üblicherweise eine Wertung für Grafik, Sound und eine abschließend Gesamtwertung, in die noch der Spielspaß eingeflossen ist. Von „immersiv“ oder „narrativ“ war nie die Rede. Ein Spiel musste in erste Linie Spaß machen.
Hier exemplarisch die Bewertung des Spiel Populous in der Happy Computer Ausgabe 5/1989. Grafik 81 Punkte, Sound 71 Punkte, Gesamtwertung 92 Punkte.
EIN DEFINITIONSVERSUCH VON „IMMERSION (VIRTUELLE REALITÄT)“ IN WIKIPEDIA
„Immersion beschreibt den Eindruck, in eine virtuelle Welt quasi einzutauchen – anstelle der Wahrnehmung der eigenen Person in der realen Welt tritt die Identifikation mit einer Person in der virtuellen Welt, was je nach Glaubwürdigkeit der virtuellen Welt verschieden stark ausgeprägt sein kann.“
Immersive Spiele müssen demnach ganz besondere Spiele sein. Denn ein Spiel, dass mich die Umwelt um mich herum völlig vergessen lässt; das mich dermaßen packt, dass ich komplett in die Spielwelt eintauche; bei dem ich eins bin mit der Spielfigur und der Spielumgebung. Das muss wahrlich ein herausragendes Spiel sein.
Solche Momente kenne ich noch aus Zeiten, als ich etwa 14 Jahre alt war. Ich saß wie so oft vor dem Nordmende-Röhrenfernseher und war gemeinsam mit meinem C64 in ein Spiel vertieft. Völlig abgetaucht sogar. Ich spielte „Seven Cities of Gold“. Um mich herum habe ich nichts wahrgenommen. Auch nicht meine Mutter, die in mein Zimmer kam, mir auf die Schulter tippte und sagte: „Essen ist fertig“. Augenblick war ich in der Realität; im Hier und Jetzt. Zu Tode erschrocken bin ich fast vom Stuhl gekippt. War das immersiv? Keine Ahnung.
Die Definition aus Wikipedia klingt für mich noch sehr vage und allumfassend. Nach dieser Definition ist auch das über 30 Jahre alte Spiel Elite immersiv. Jedenfalls für mich. Trotz (noch) ungefüllter 3D-Vektorgrafik war ich mitten drin in der virtuellen Welt und bin abgetaucht in das Elite-Universum. Ganz ohne 4k-HDR 10 Flachbildschirm, sondern mit dem alten, ausrangierten Nordmende-Röhrenfernseher meiner Eltern, der gefühlt drei Zentner schwer war. Ich war der Kapitän der Cobra MkIII. Das Handels- und Kampfraumschiff ist ein Produkt der Firma Faulcon deLacy Spaceways und wurde mir von der Galaktischen Kooperative der Welten zur Verfügung gestellt.
Das Schiff ist extrem manövrierfähig, zeichnet sich durch einen guten C-Widerstandsfaktor (Materialbeständigkeit) bei Hyperraumsprüngen aus, verfügt über genügend Quirium-H-Treibstoff (maximale Reichweite bei Direktsprung: 7 Lichtjahre) und ist mit einem speziellen ATSL (Autokopplungssystem) für Raumstationen ausgestattet.
Was will ich mit diesen übertriebenen Detailangaben – von denen viele für das Spiel überhaupt nicht relevant sind – sagen? Elite hat dadurch eine eigene, glaubwürdige und stimmige Welt erschaffen. Auch wenn die grafischen Möglichkeiten begrenzt waren, und man die im Handbuch detailliert beschriebenen, hochtechnischen Antriebs- und Waffensysteme meiner MkIII gar nicht sehen konnte, so waren sie doch da. Wenn auch nicht auf dem Nordmende-Fernseher, so aber in meiner Fantasie!
Auf der Suche nach „griffigeren“ Definitionen
Selim Baykara von Giga.de geht bei dem Versuch „immersiv“ zu definieren noch einen Schritt weiter und listet die Eigenschaften auf, die diesen Effekt hervorrufen sollen. Nach seiner Auffassung zählen in Computerspielen dazu vor allem:
- Stimmigkeit und innere Geschlossenheit der fiktiven Umgebung
- Realistisches Verhalten von computergesteuerten Figuren
- Vielfältige Möglichkeiten mit der Spielwelt zu interagieren
- Hoher grafischer Detailgrad
Erfüllt ein Spiel diese Eigenschaften ist es “immersiv” – der Spieler vergisst die reale Welt um sich herum und taucht komplett ins Spiel ein. Die virtuelle Umgebung wird für die Dauer des Spiels zur Primär-Realität – ähnlich wie in einem Traum. Dabei ist natürlich egal, ob die Spielwelt den Gesetzmäßigkeiten unserer eigenen Welt folgt.“
Endlich mal eine griffige Punktetabelle, anhand derer ich prüfen kann, ob mein Elite „immersiv“ ist oder nicht. Na dann mal los; gehen wir die Punkte einzeln durch:
Stimmigkeit und innere Geschlossenheit der fiktiven Umgebung
Das hake ich mal als erfüllt ab. Aus dem Handbuch: „Es gibt acht Galaxien und über 250 bekannte Planeten in jeder Galaxis. Ein so gewaltiges Universum enthält wenig was absolut vorhersagbar wäre. Es bietet unendliche Möglichkeiten für Abenteuer.“ Als Spieler in Elite ist man ein Weltraumabenteurer, der zwischen Sternsystemen Handel treiben, sich als Kopfgeldjäger verdingen oder ein Dasein als Pirat ausleben kann. Wie genau man dabei vorgeht, ist einem selbst überlassen. Während viele Computerspiele dieser Zeit genau vorgeben haben, welcher Weg einzuschlagen ist, bietet Elite vor allem eines: unbegrenzte Freiheit. Es gilt, die eigene Geschichte zu schreiben. Das ganze Universum ist dabei mehr als nur eine Spielumgebung, es ist Projektionsfläche der eigenen Fantasie, in der man sich selbst verlieren kann.
Realistisches Verhalten von computergesteuerten Figuren
Ganz klar erfüllt! Aus dem Handbuch: „Nicht alle Schiffe in der Tiefe des Raums, auch nicht kleine Kampf- Raumer, sind Piratenschiffe. Die meisten Raumfahrzeuge werden auf feindselige Handlungen feindselig reagieren. Greifen Sie einen Polizeiraumer an, oder handeln Sie mit illegalen Waren (siehe Kapitel HANDEL), wird Ihre Einstufung in VERBRECHER (Gefährlich) oder noch höher umgewandelt. Zerstören Sie Piratenschiffe oder eliminieren Sie Thargoidische Eindringlinge (oder Asteroiden), bekommen Sie eine Prämie als Belohnung. Schießen Sie auf die Coriolis-Raumstation, werden Sie von deren Abfangjägern (Viper Kampfraumer) angegriffen.“
Vielfältige Möglichkeiten mit der Spielwelt zu interagieren
Auch erfüllt. Aus dem Handbuch: „Ob Sie nun durch Kopfgeldjagd zu Reichtum kommen oder den ungefährlicheren Weg des traditionellen Händlers beschreiten, allenfalls sich verteidigen wollen – die politische wie wirtschaftliche Infrastruktur der Planeten sind für Ihre Reise durch die Galaxis kursbestimmend.“
„Handel: Die meisten Raumstationen haben die Handelsabwicklung erheblich vereinfacht, um die Umschlagsgeschwindigkeit bei Schiffen und Waren zu beschleunigen.“
„Bergbau: Wer Bergbau auf Asteroiden betreiben will, benötigt Raumgreifer und einen speziellen Asteroiden-Laser auf dem Schiff. Damit ausgestattete Schiffe werden als „Belter“ bezeichnet. Sie suchen nach Asteroiden, zerlegen sie mittels Laser in kleine Stücke, die in den Laderaum verfrachtet werden können.“
„Piraterie: Piraterie ist ein großes, ertragreiches Geschäft. Vorausgesetzt, dass das Piratenschiff mit einem Raumgreifer ausgestattet ist, können die treibenden Container zerstörter Frachter geborgen und verkauft werden. Um als Pirat zu überleben, Frachterkonvois und kleine Schiffe zu überfallen, braucht man sehr große Kampferfahrung. Denn nicht nur Polizei-Viper verfolgen einen, sondern auch andere Piratenschiffe und Prämienjäger lauern.“
Hoher grafischer Detailgrad
Oje, damit kann Elite nicht punkten. Die Voraussetzung ist objektiv betrachtet nicht erfüllt. Das ungeschulte Auge sieht ja nur Linien.
Dabei haben David Braben und Ian Bell mit vielen Tricks und Kniffen alles (und noch viel mehr) aus dem C64 herausgequetscht, um das Unmögliche möglich zu machen: Flüssige 3D-Vektorgrafik in Echtzeit auf einem Prozessor darzustellen, der nie dafür konzipiert worden war. Der C64 ist mit seinem 1 MHz getakteten MOS 6510-Prozessor wahrlich kein Rechenkünstler.
Die Objekte wurden als monochromes Gittermodell unter Berücksichtigung verdeckter Kanten dargestellt. Also nur diejenigen Linien, die der Spieler von einem Objekt sehen konnte, waren sichtbar. Um die Performance weiter zu erhöhen, wurden ausschließlich konvexe, möglichst symmetrische Formen für die Objekte verwendet. Zudem hatten alle Raumschiffe nur Ausbuchtungen nach außen, nie nach innen. Das hat lt. Braben die Geschwindigkeit um 40% erhöht.
Die horizontale Auflösung wurde auf 256 Pixel (von möglichen 320 Pixel) reduziert, um die Performance um weitere ca. 20% zu verbessern. Doch dass alles reichte noch nicht. Es dauerte auf dem C64 zu lang zwischen zwei Renderings den Bildschirm zu löschen. Aus Speichergründen konnte der Bildschirminhalt auch nicht doppelt gepuffert werden. Daher wurde die Raumschiffe Linie für Linie gezeichnet und anschließend mit der gleichen –nur invertieren- Routine wieder Linie für Linie gelöscht. Das kann man manchmal auch sehen (flimmern der Linien bzw. seltener sogar fehlende Linien).
David Braben höchst persönlich hat in einem Vortrag auf der GDC 2011 (Game Developers Conferences) in San Francisco über die Entstehung von Elite berichtet. Wen es interessiert: Das Video dazu findet ihr hier. Die Original Power-Point-Präsentation von David Braben kann man hier downloaden.
Schade, fast hätte es Elite geschafft. Das war aber knapp. Aber beim letzten Punkt (Hoher grafischer Detailgrad) muss Elite leider passen. Jedenfalls nach dieser Definition. Nach meiner Lesart kann der fehlende grafische Detailgrad durch die Fantasie des Spielers ersetzt werden. Dann wiederum erfüllt Elite diese Definition; bei mir zumindest.
Der Medienwissenschaftler Dr. Jan-Noël Thon widmet dieser Thematik gleich ein ganzes Buch mit dem Titel: „Immersion revisited : Varianten von Immersion im Computerspiel des 21. Jahrhunderts“. Er schreibt:
Es ist sicherlich plausibel, dass die dreidimensionalen Räume heutiger Computerspiele mit ihren hochauflösenden Grafiken und den die Raumerfahrung verstärkenden Soundeffekten die Immersion in diese Räume erleichtern.
Allerdings ist für das Entstehen von räumlicher Immersion nicht unbedingt eine realistische audiovisuelle Darstellung der Schauplätze notwendig.
Dr. Jan-Noël Thon
Aha. Die fehlende Eigenschaft (Hoher grafischer Detailgrad) aus dem Pflichtenheft von Selim Baykara ist also für die räumliche Immersion gar nicht unbedingt notwendig. Wenn das so ist, dann ist Elite auf dem C64 aus dem Jahre 1985 trotz dieser fehlenden Eigenschaft ja doch „immersiv“.
Apropos Eigenschaft. Elena Gorfinkel stellt fest, dass Immersion keine Eigenschaft eines Computerspiels, sondern ein Effekt ist, den dieses Spiel im Spieler produziert. (Elena Gorfinkel, zitiert nach Salen und Zimmerman: Rules of Play, S. 453)
Auweia. Auch das noch! Wenn Immersion keine Eigenschaft eines Computerspiels ist, wie kann man dann immersive Spiele über Eigenschaften definieren, wie es Selim Baykara von Giga.de tut. Wie war das noch? „Erfüllt ein Spiel diese Eigenschaften ist es “immersiv“. Ich verstehe das so: Nicht die Grafik- und Soundeigenschaften sind es auf die es ankommt, sondern das was das Spiel in meinem Kopf auslöst.
Dr. Elena Gorfinkel ist nicht irgendwer. Sie ist Associate Professor Department of Art History and Film Studies Program, University of Wisconsin-Milwaukee. Aber egal, wir wollen ja nicht kleinlich sein.
Selim Baykara nennt übrigens als gelungenes Beispiel für ein immersives Spiel an erster Stelle Thief: The Dark Project. Dem stimme ich zu, bis auf den Punkt, an dem auch Elite nach seiner eigenen Definition scheitern würde (Hoher grafischer Detailgrad). Die Grafik ist fürchterlich (war sie im Grunde schon bei seinem Erscheinen) und besticht schon gar nicht durch einen hohen Detailgrad. Von den bauklotzartigen Wachen ohne Finger ganz zu schweigen. Ob hier die Fantasie helfen kann?
Thief geht dennoch auch bei mir als „immersiv“ durch. Dazu tragen die Ego-Perspektive (Garrett ist mein Avatar) und die fiktive Stadt bei, die durch die stimmungsvolle, mittelalterlich düstere Atmosphäre geprägt ist. Die Licht- und Schattenumgebung ändert sich, wenn ich eine Fackel mit einem Wasserpfeil lösche. Die Soundkulisse ist dicht und die Stadt; na ja, lebendig ist jetzt übertrieben. Aber es laufen Bewohner und Wachen umher und unterhalten sich. Sie reagieren auf meine (zu lauten) Schritte. Dagegen helfen übrigens Moospfeile, die Gunnar Lott so liebt (über das Spiel haben Stay Forever einen hörenswerten Podcast aufgenommen).
Die Moospfeile sind tatsächlich lächerlich und machen ein Teil der Immersion wieder kaputt. Da hat Gunnar Lott schon völlig recht; wieso zieht er sich nicht einfach Filzschuhe an? Bei Thief fehlt es aber auch am „Flow“. Thief kann man nicht so spielen, wie z.B. Quake. Quake hat diesen „Flow“. Der Spielfluss wird nicht unterbrochen wie es bei Thief der Fall ist. Spielstand neu laden kommt bei Quake selten vor. Auch Half Life 2 hat diesen „Flow“. Selbst wenn ein Spielabschnitt beendet ist, wird der Spielfluss nicht unterbrochen; der folgende Abschnitt fügt sich meist nahtlos und flüssig ein. Und die Balance passt. Es unterfordert mich nicht und ist dabei nie zu schwer oder unfair. Es flutsch einfach. Bei Thief ist Speichern und Spielstand neu laden Pflicht, sonst führt es schnell zu Frustration. Der Medienwissenschaftler Dr. Jan-Noël Thon schreibt dazu:
Wie sich Flow nur einstellt, wenn der Herausforderungsgrad einer Tätigkeit den Handelnden weder überfordert (was früher oder später zu Frustration führt) noch unterfordert (was letztlich in Langeweile resultiert), so stellt sich ludische Immersion nur ein, wenn der Spieler das Interface beherrscht und seine Fähigkeiten dem Anforderungsgrad des Spiels entsprechen, er also gefordert wird ohne überfordert zu werden.“
Dr. Jan-Noël Thon
Der Artikel listet folgende Spiele auf, „die immer wieder als besonders immersiv angeführt werden“:
- Thief: The Dark Projekt
- Deus Ex
- Elder-Scrolls-Reihe (z.B. Skyrim)
- Fallout 3
- Metroid Prime
- Mirrors Edge
- Dark Souls
- Witcher 3
- Assassins-Creed-Reihe
Nanu? Da fehlt ja Elite. Wie konnte denn das passieren? Sicher ein Versehen. Das GTA fehlt, stört mich nicht, das habe ich nie gespielt. Aber damit gerechnet, dass es hier irgendwo auftaucht, habe ich schon. Es liegt mir nicht, die Liste zu kritisieren, aber meine Vorstellung von „besonders immersiven“ Spielen sieht etwas anders aus. Der Begriff „immersiv“ scheint also eher subjektiv besetzt zu sein.
Auffällig ist, dass die Aufzählung nur reine 3D-Spiele aus der Ego- bzw. Third-Person-Perspektive enthält. Immerhin sind drei „ältere“ Spiele dabei. Thief und Fallout 3 sind aus dem Jahr 1998 und Deus Ex aus dem Jahr 2000. Schade, dass kein einziges Spiel aus der 8-Bit/16-Bit Ära dabei ist.
Spiele aus der 8-Bit/16-Bit-Ära waren meist zweidimensional. Oft hat man einen Helden gesteuert, der aus pixeligen Sprites bestand. Da war schon etwas Fantasie gefragt, um sich mit der Figur zu identifizieren und völlig in die Spielwelt abzutauchen.
Aber hey; was hat die Uni-Professorin nochmal gesagt: „Immersion ist keine Eigenschaft eines Computerspiels, sondern ein Effekt, den dieses Spiel im Spieler produziert.“ Nach meiner Lesart sind es also nicht die Grafik- und Soundeigenschaften auf die es ankommt, sondern das was das Spiel im Kopf auslöst.
Immersive Spiele aus der 8-Bit/16-Bit-Ära zu finden, ist offenbar dennoch schwer. Gibt es denn wirklich keine?
Daniel Wagner schreibt im Artikel: „Habe ich das Spielen verlernt?“:
„Ich habe gespielt und gefühlt – und das war großartig.“
Ich selbst habe „Simon the Sorcerer“ zwar nie gespielt. Aber Du, im Alter von 15 oder 16 Jahren. So wie Du Deine Erlebnisse beschrieben hast, müsste es für Dich in diesem Alter doch immersiv gewesen sein. Oder wie siehst Du das?
Andreas Wanda schreibt in „Space Invasion sollte es sein, mit Commando kam ich heim“:
„Niemand vergisst den Moment, als in Beach Head II der Panzer sich nicht rechtzeitig in eine handvoll Pixel auflösen und den pflichtbewusst heranstapfenden Soldaten vor einem schrecklichen Tod bewahren lässt: „Alles in Ordnung, Andreas?“ riefen die Eltern schon mal ums Eck, ich erblasst und schockstarr. „Immersive“ würde man heute vor einem Kaminfeuer, die Pfeife fest umklammernd, aus der Strickweste heraus wissend urteilen.“
Hier hast Du die Frage ja schon selbst beantwortet. Beach Head II hat zumindest immersive Momente.
Im Artikel „30 Jahre Koronis Rift“ schreibt Andreas Wanda:
„…ich sitze zweifellos in meinem Modular Rover – Mark IV, versteht sich – und werde jedes der zwanzig Rifts nach Reichtümern durchkämmen. Sagenhaft, wie die perfekt realisierte Ego-Perspektive das Kinderzimmer, wo gerade erst eben die Wickie-Bettdecke die schützende Hand auf ein Schulkind legte, zu einem hochtechnisierten Fahrzeug auf gefährlicher Mission verwandelt.„
Ich liebe diesen Beitrag von Dir. Wie sieht es mit Koronis Rift aus. Immersiv oder nicht?
André Eymann in „Call of Duty – Ein Wächter der Geschichte“:
„Ich habe das Spiel für diesen Artikel noch einmal durchgespielt und mich immer wieder dabei ertappt, die geplante Zeit für jede Session weit überzogen zu haben. Man klebt förmlich am Keyboard und wird mit all seinen Sinnen in das Spiel hineingezogen. Kaum bin ich am Bunkerposten vorbeigekommen, rückt der Nachschub unserer Airborne Division an. Die Deutschen geben Fliegeralarm und ein breiter Sirenenton erfüllt die Luft. Es regnet Fallschirme und im gleichen Moment, in dem meine Jungs landen, eröffnen die Deutschen das MG-Feuer. Ich bin im Gefecht. Ich BIN im Gefecht. ICH BIN IM GEFECHT! Und kämpfe jede Sekunde um mein Überleben.“
Ich habe Deinen tollen Gastbeitrag „Call of Duty – Ein Wächter der Geschichte“ auf minkitink.de gelesen. Okay, kein Spiel aus der 8-Bit/16-Bit-Ära, aber schon recht alt. So wie Du es beschreibst, könnte es für Dich immersiv gewesen sein, oder?
Elite ist eines der wenigen echten 3D-Spiele aus der 8-Bit/16-Bit-Ära und deshalb – für mich – noch am ehestens als immersiv zu bezeichnen. Obwohl, wenn ich darüber nachdenke, hatten die frühen Spiele von Lucasfilm Games (Ballblazer, Rescue on Fractalus, The Eidolon, Koronis Rift) sogar schon ausgefüllte 3D-Grafik, die zudem noch sehr flüssig war. Das waren aber auch klasse Spiele, gell. Sensationelle Fraktalgrafik eingebettet in frische, unkonventionelle Spielideen. Spiele mit Charme, Witz und mit niedlichen und (nicht immer) friedfertigen Aliens. Immersiv waren sie aber für mich nur bedingt, obwohl es so manche Schrecksekunde gab.
Bei Rescue on Fractalus habe ich mich z. B. ziemlich erschrocken, als ich einen vermeintlich gestrandeten Piloten aufnehmen wollte, der sich aber als fieser Jaggie entpuppte und anfing, wild auf mein Raumschiff einzuschlagen. Bei The Eidolon gab es einen ganz ähnlichen Moment. Zu Tode erschrocken habe ich mich, als mir ein Dings-Bums (keine Ahnung was das war) wie aus dem Nichts plötzlich auf die Scheibe geklatscht hat. Immersive Spiele müssen aber nicht zwangsläufig dreidimensional sein.
Ein weiteres, im weitesten Sinne immersives Spiel, ist für mich Ant Attack von Quicksilva, das 1984 auf dem C64 erschienen ist. Das lag vor allem an den fiesen Riesenameisen. Aber auch an der isometrischen Perspektive und der Möglichkeit den Betrachtungswinkel während des Spiels zu ändern.
Ant Attack spielt in einer (von Menschen) unbewohnten Ruinenstadt, in der es nur so von gefährlichen Riesenameisen wimmelt. Die Ameisen können sich nur auf dem Boden bewegen, während unser Held auch auf Mauern und Gebäude klettern kann, die mehrere Ebenen haben können. Ziel des Spiels ist es, ein vermisstes Mädchen erst zu finden und anschließend sicher aus der Stadt zu geleiten.
Ich war etwas 14-15 Jahre alt, als ich Ant Attack gespielt habe. Vor den Riesenameisen hatte ich echt Schiss. Die waren real und haben sich auch so bewegt. In meiner Fantasy natürlich. Die fiktive Ruinenstadt war stimmig und ich konnte mich auf den Mauern vor den Riesenameisen in Sicherheit bringen. Es kommt einem immersiven Spielerlebnis nach meinem Verständnis schon recht nahe. Nein, ich habe keine Ameisenphobie!
Das ultimative immersive Spiel aus dem Jahr 1983
Dietmar Bertling hat ein Buch über Ataris Spielautomaten geschrieben. Ein Kapitel befasst sich mit der Entstehung von Ataris Star Wars. Der folgende Auszug stammt aus dem Vorwort zu diesem Kapitel. Er beschreibt darin, seine erste Begegnung mit eben diesem Automaten. Es beginnt damit, dass der 13-jährige Dietmar Bertling ein Geldstück aus dem Portemonnaie nahm und es zitternd in den Münzeinwurfschlitz steckte. Dann kletterte er vorsichtig in die Cockpit-Kabine und nahm auf der einladenden Sitzbank Platz.
„Mein Puls raste und meine Hände waren so nass, dass ich den Controller nicht einmal richtig zu fassen bekam. Wie gebannt starrte ich auf den Monitor und harrte der Dinge, die jetzt auch mich zukommen würden.
Ich befand mich im Cockpit einer X-Wing und blickte ins Weltall hinaus. Lichtjahre entfernte Sterne leuchteten um mich herum und alles schien friedlich zu sein. Plötzlich tauchten imperiale Raumjäger kreischend aus der Dunkelheit des Alls auf und beschossen mich mit unzähligen sternenförmigen Lasersalven. Sie explodieren so dicht vor meinen Augen, dass ich nicht mehr wusste, wo der Gegner war.
Angriffswelle auf Angriffswelle rollte gnadenlos auf mich zu, doch ich wehrte mich tapfer und schaffte es, die Feinde in ihre Einzelteile zu zerlegen. Da erschien der Todesstern auf dem Bildschirm. Die Schubdüsen meines X-Flüglers heulten auf und ich begann mit dem Anflug auf die riesige Raumstation. Auf der schwer befestigten Oberfläche des Todessterns angekommen, erschienen plötzlich Lasertürme und Geschützbunker auf der Bildfläche und eröffneten augenblicklich das Feuer. Nur mit waghalsigen Flugmanövern gelang es mir, nicht mit ihnen zu kollidieren und ihren tödlichen Feuerbällen auszuweichen.
Nachdem ich die äußeren Verteidigungsanlagen der imperialen Kampfstation durchbrochen hatte, jagte ich nun in rasender Geschwindigkeit durch den Graben des Todessterns. Die Luken der Gabengeschütze öffneten sich und feuerten aus allen Rohren, Barrieren tauchten wie aus dem Nichts auf und versperrten mir den Weg. Der Kampf tobte so stark wie nie zuvor. Meine Kräfte schwanden und mein Schutzschild war aufgebraucht – „Shield Gone“ leuchtete in großen, flackernden Buchstaben auf dem Bildschirm. Ich würde es nicht mehr schaffen.
Doch was war das? Der Hinweis „Exhaust Port Ahead“ tauchte auf einmal auf dem Monitor auf. Der Lüftungsschacht! Endlich! Da konnte ich ihn schon sehen. Ich konzentriere mich auf seine winzige Öffnung und hämmerte wie wahnsinnig auf den Feuerknopf. Doch die abgefeuerten Protonentorpedos verfehlten ihr Ziel und ich crashte gegen die dahinter liegende Wand. „Game Over“ erschien auf dem Bildschirm, und das Spiel war vorbei.
Erschöpft ließ ich mich zurückfallen. Ich konnte nicht glauben, was ich soeben erlebt hatte und war von den Eindrücken völlig überwältigt. Von wegen Hasenfuß. Ich war Luke Skywalker! In diesem Augenblick durchströmte ein unbeschreibliches Glücksgefühl meinen Körper, so als hätte mir Prinzessin Leia ein Lächeln geschenkt. Jene Momente zählen für mich bis heute zu den aufregendsten und intensivsten Augenblicken meiner gesamten Videospiel-Vita. Als VSC-gewohnter Teenager erschien einem der Automat als ein wahres Wunder.“
Wow. Wenn das mal kein immersives Spielerlebnis war! Hätte Selim Baykara bloß dieses Buch gelesen. Dann wäre das Spiel auch auf seiner Liste. Und zwar ganz weit oben!
Der wissenschaftliche Ansatz
Ohne Selim Baykara zu nahe treten zu wollen. Aber sein Ansatz und seine Beispiele überzeugen mich noch nicht vollends. Was sagen denn die Experten? Die US-amerikanische Professorin für digitale Medien Janet H. Murray ist eine Koryphäe auf diesem Gebiet und wird gerne zitiert. Die muss es wissen. Sie beschreibt „Immersion“ wie folgt:
Die Erfahrung, in eine aufwändig simulierte Umgebung transportiert zu werden, ist an sich angenehm, unabhängig vom fantastischen Inhalt. Immersion ist ein metaphorischer Begriff, abgeleitet von der physikalischen Erfahrung des Untertauchens in Wasser.
Wir suchen nach demselben Gefühl einer psychologisch immersiven Erfahrung wie wir sie von einem Sprung ins Meer oder den Swimming Pool erwarten: Das Gefühl, von einer vollständig anderen Realität umgeben zu sein, so unterschiedlich wie sich das Wasser zur Luft verhält, die unsere gesamte Aufmerksamkeit auf sich zieht, unseren gesamten Wahrnehmungsapparat
Janet H. Murray: Hamlet on the Holodeck: The Future Of Narrative In Cyberspace. Free Press, New York 1997, ISBN 978-0-684-82723-0, S. 98 f.
Auweia, da hat die Professorin die Messlatte aber ganz schön hoch gelegt. Das Spiel, das dieser Definition auch nur annähernd gerecht wird, muss erst noch erfunden werden.
Den Medienwissenschaftler Dr. Jan-Noël Thon interessiert hauptsächlich, auf welche Ebenen von Computerspielen sich die Aufmerksamkeit von Spielern verlagert, durch welche Elemente von Computerspielen also Immersion hervorgerufen wird. Er unterscheidet zwischen einer räumlichen, einer ludischen (= spielerischen), einer narrativen (= erzählerischen) und einer sozialen Ebene in Computerspielen. Sein Fazit lautet wie folgt:
Räumliche Immersion entspricht am ehesten der Verlagerung der Aufmerksamkeit des Spielers auf den Raum der Spielwelt. Ludische Immersion umfasst die Verlagerung der Aufmerksamkeit des Spielers auf die Steuerung seines Avatars, auf die Interaktion mit den Schauplätzen und ihrem Inventar. Sie hat als eine Voraussetzung das Gleichgewicht von Fähigkeiten des Spielers und Anforderungen des Spiels und ließe sich vermutlich auch mit Hilfe des Begriff des ‚Flows’ beschreiben.
Der Begriff der narrativen Immersion als Verlagerung der Aufmerksamkeit des Spielers auf den Fortgang der Geschichte und die in ihr vorkommenden Figuren ließe sich durch die Begriffe Spannung und Empathie ersetzen. Soziale Immersion schließlich als Verlagerung der Aufmerksamkeit des Spielers auf den durch ein Multiplayer-Spiel geschaffenen sozialen Raum ließe sich vermutlich auch mit Begriffen wie Kommunikation und sozialer Interaktion umschreiben.
Dr. Jan-Noël Thon „Immersion revisited. Varianten von Immersion im Computerspiel des 21. Jahrhunderts.“ In: Christian Hißnauer/Andreas Jahn-Sudmann (Hg.): Medien – Zeit – Zeichen. Beiträge des 19. Film- und Fernsehwissenschaftlichen Kolloquiums. Marburg: Schüren 2006. S. 125-132.
Das ist mir jetzt eindeutig zu theoretisch. Ich bin ja eher praktisch veranlagt und brauche anschauliche Beispiele. Der Begriff „immersiv“ ist bei Computerspielen ohnehin nicht klar definiert. Auch die Wissenschaft ist sich uneins. Jede Spieler hat vermutlich eine andere Vorstellung von immersiven Spielen. Ob immersiv oder nicht; letztendlich kommt es auf den Spielspaß an. Das ist wichtig!
Es ist aber schon bemerkenswert, dass sich offensichtlich ein Schaar von Wissenschaftlern und Professoren mit Immersion in Computerspielen beschäftigen. Das ist doch nur möglich, wenn die selbst intensiv spielen. Das bedeutet aber auch, dass Computerspiele eine faszinierende Wirkung entfalten und in der Gesellschaft mittlerweile eine wichtige Rolle einnehmen. Ganz nebenbei hat der weltweite Umsatz für Computerspiele den Gesamtumsatz der Filmbranche längst überflügelt.
Die Eingangsfrage lautete: „Wann ist ein Spiel immersiv?“ So richtig beantworten kann ich die Frage immer noch nicht. Aber ich habe eine ungefähre Vorstellung davon. Ihr hoffentlich auch. Elite zählt ja sowieso dazu, das ist ja quasi wissenschaftlich belegt 😉
Die (älteren) Spiele, die ich persönlich als immersiv empfunden habe, sind neben Elite, Ant Attack und die frühen Lucasfilm Games auf dem C64, Wing Commander auf dem Amiga, Zelda: Ocarina of Time auf der N64, Half Life, Mafia, Medal of Honor, Call of Duty und Far Cry auf dem PC. Bei einigen davon habe ich die Gründe auch schon genannt. Und zwar in dem Beitrag: „Eine Zeitreise durch meine ganz persönliche Videospielgeschichte“.
JETZT BIST DU GEFRAGT!
Welche Spiele empfindet ihr als immersiv bzw. habt ihr noch aus Eurer Kindheit/Jugend als immersiv in Erinnerung und warum? Und vor allem: gibt es bei Euch auch immersive Spiele aus der 8-/16Bit-Ära?
PS: Auf den Begriff „narrativ“ in Bezug auf Computerspiele bin ich noch gar nicht eingegangen. Das wird wohl ein eigener Beitrag werden, mal sehen.
Weiterführende Links
- Dr. Jan-Noël Thon: „Immersion revisited. Varianten von Immersion im Computerspiel des 21. Jahrhunderts.“
- Wikipedia Immersion (virtuelle Realität)
- Selim Baykara „Immersiv – Was heißt das eigentlich? Leicht erklärt“
- David Braben höchst persönlich erklärt in einer Stunde die Entstehung von Elite
- Die original Power-Point-Präsentation von David Braben
- André Eymann Gastbeitrag: Call of Duty – Ein Wächter der Geschichte
- Buch: Coin-Op: Ataris Spielautomaten. Entstehungsgeschichten, Fakten und Anekdoten rund um Atari Games, Star Wars & Dragon’s Lair Taschenbuch – 1. März 2013, ISBN-13: 978-3938199206
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