Ohne es zu ahnen, dass die Zeitschrift Computer Praxis bald selbst überraschend vom Markt verschwinden würde, betitelte die Redaktion mit der Frage „Quo vadis, Atari?“ den unerwarteten Zusammenbruch des Videospielgiganten Atari in ihrer Oktoberausgabe von 1984.
Nur wenige Monate später, nach einer Fusion mit der Deutschen Telematch erschien im Februar 1985 das allerletzte Heft im Handel. Aber anders als bei der Computer Praxis war das dort beschriebene Ende von Atari erst der Anfang einer bis heute andauernden Odyssee, die zuletzt im Januar 2013 einen weiteren traurigen Höhepunkt erreichte.

Nach einer vielversprechenden Übernahme im Jahr 2000 durch den europäischen Publisher Infogrames schlitterte das französische Unternehmen mit dem damals einprägsamen Gürteltier im Logo nach knapp 12 Jahren erneut in die Insolvenz. Pressemeldungen im Mai 2013 berichteten über den totalen Ausverkauf der einzelnen Spiellizenzen, dadurch schien das unwiderrufliche Ende von Atari nun endgültig erreicht.
Aktuelle Nachrichten geben allerdings wieder leichte Hoffnung, dass der legendäre Name vielleicht doch noch in irgendeiner Form dem heutigen Videospielmarkt erhalten bleibt. Zumindest wird das Unternehmen nicht vollständig zerschlagen und hat etwas Zeit gewonnen, um möglicherweise wieder schwarzen Zahlen zu schreiben. Es bleibt also weiterhin spannend, wie sich die Geschichte von Atari weiterentwickelt.
Atari ist mehr als nur eine Spieleschmiede, Atari ist eine Kultmarke, die einst eine leidenschaftliche und zeitlose Kultur begründet hat.
Fred Chesnais, CEO, Atari Inc. in der offiziellen Pressemiteilung zum Neustart am 18. Juni 2014
Warum erlitt der einstige Marktführer aber ein solch katastrophales Schicksal? Immerhin galt der Branchenriese in den frühen 1980er Jahren noch als das Synonym für Videospiele, setzte mit Pong den kommerziellen Urknall und schuf zahlreiche Meilensteine mit seinen hauseigenen Entwicklungen. Der Stellenwert dieser Firma war in der damaligen Jugendkultur zweifellos vergleichbar mit den heutigen Trendsettern Apple, Sony oder Nintendo. Wenn wir uns nach der Schule mit unseren Freunden trafen, spielten wir keine Videospiele. Nein, wir spielten ATARI!
Was im Sommer 1984 hinter den verschlossen Türen aber wirklich geschah, konnten auch die Redakteure der Computer Praxis nur erahnen. Deswegen erzählt uns jetzt der erste Atari-Geschäftsführer und Begründer der ATARI-Aktivitäten in Deutschland, Klaus Ollmann, seine ganz persönliche Geschichte über die letzten Tage und Stunden der deutschen Niederlassung in Hamburg.
Atari verlegte seinen Firmensitz später nach Frankfurt, konnte sich noch einige Jahre am Markt behaupten, mit der wachsenden Konkurrenz von Commodore, Sega und Nintendo jedoch langfristig nicht mehr mithalten. Durch den Niedergang bei Warner Communications Inc. verlor Atari auch seinen Status als richtungsweisendes Unternehmen der gesamten Spieleindustrie.
In der Zwischenzeit ist der Name Atari schon fast vergessen. Nur eine kleine Schar längst erwachsener Fans erinnert sich mit Wehmut an die glorreichen Tage, als die amerikanische Firma noch als das Maß aller Dinge galt. Aber selbst heute, über 30 Jahre später, stellt sich für uns immer noch die gleiche Frage: „Quo vadis, Atari?“
Text von Klaus Ollmann, März 2015
Manny Gerard – bei WCI verantwortlich für die ATARI-Aktivitäten – hielt seinen Vortrag mit der berühmten Ansage, mit ATARI bald 50 % des US-amerikanischen Marktes abzudecken im Februar 1984 auf der internationalen Vertriebstagung von ATARI während der CES (Computer Electronics Show) in Las Vergas. Ich hätte damals nie gedacht, dass mein flapsiger Hinweis an Hans-Ueli Hasler, ob denen überhaupt bewusst sei, dass bei 100 % Schluss sei, so schnell Wahrheit werden würde.
Nach der Saison 1983 wurde ATARI USA in den ersten Monaten 1984 von einem Berg von Retouren aus dem Handel geflutet. In Deutschland wurden wir nicht darüber informiert – gut, es gab Gerüchte, aber wir waren immer noch mehr als genug gefordert, unsere Wachstumsraten und Erfolge zu sichern. Unsere Marktabdeckung damals lag ja auch noch ganz vorsichtig bei um die 20 %, mit steigender Tendenz.
Der erste Hinweis kam für mich von einem alten Bekannten aus Warner Music Intl., der inzwischen bei Warner Communications am Rockefeller Plaza in New York im Top-Management tätig war. Er schrieb mir ein Telex, in dem er mir u. a. versicherte, dass Warner sich um mich kümmern würde. Das fand ich befremdlich – warum schrieb er mir das?
Dann erreichte mich am 18. Juli 1984 ein Anruf aus London. Ein Mr. David Harris stellte sich vor als Beauftragter von Jack Tramiel, dem ehemaligen CEO von Commodore – ein Anbieter von Homecomputern, der es uns in Deutschland wegen seiner total bescheuerten Preispolitik unmöglich gemacht hatte, jemals mit Homecomputern profitabel zu arbeiten. Mr. Tramiel hätte ATARI weltweit übernommen und er wolle mich am kommenden Tag besuchen, um sich über die deutsche ATARI zu informieren. Nun, mir war es recht – dachte ich doch, aufgrund unserer nachweisbaren Erfolge in meiner Funktion gesichert zu sein.
Allzu blauäugig – wie ich schon bald feststellen musste und ich verpasste total, mich mit Informationen und Firmendaten abzusichern. Ich versicherte mich in New York, dass alles seine Richtigkeit hatte, holte Mr. Harris am Flughafen ab und lud ihn vorab zum Mittagessen im Winterhuder Fährhaus ein. Danach setzten wir uns in mein Büro, er ließ sich 10 Minuten lang auf den neuesten Stand unserer Zahlen bringen und bat dann, unseren Controller Brian Richards dazuzuholen. Mich bat er, für das erste Gespräch mit diesem für einen Moment im Vorzimmer zu warten. Nach einigen Minuten kam Brian wieder raus und forderte mich im Auftrag von Herrn Harris auf, das Haus zu verlassen, ich sei entlassen, alle meine Unterlagen und persönlichen Gegenstände würden mir zugestellt werden.
Das war ein Schlag für mich. Ich nahm mir dennoch die Zeit, auf einem Rundgang durch das Haus – begleitet und kontrolliert von Brian Richards – mich von allen Mitarbeitern zu verabschieden, ihnen für ihren Einsatz zu danken und ihnen für ihre berufliche und persönliche Zukunft alles Gute zu wünschen. Dann nahm er mir meine Schlüssel ab und stellte sicher, dass ich das Haus verließ.
In den nächsten Tagen wurde der Großteil der bewährten Mitarbeiter auf die Straße gesetzt. Auch Detlev Driemeier und Brian Richards überlebten nur wenige Wochen. Unser Nachbar und Vermieter sah keinen Pfennig an Miete mehr. Die Firma wurde nach Frankfurt verlegt und ging dann unter der Führung des ehemaligen COMMODORE-Geschäftsführers auch schnell unter.
Ganz offensichtlich hatten die WCI- und ATARI-Oberbosse in den USA lediglich ihr Talent darin erschöpft, Gewinne abzugreifen – Produktpflege, rechtzeitiges Anpassen der Firmenstruktur an nachlassende Umsätze, Weiterentwicklung der Technologie hin zu verbesserter Grafik und Spielwitz überließ man Firmen wie Nintendo und später SEGA. Erst sehr viel später sprangen Giganten wie SONY oder Microsoft auf den Zug.
Mein persönlicher Abschied von Warner Communications gestaltete sich mühselig.
Mein Arbeitsvertrag war abgeschlossen mit ATARI USA. Für diese Firma war jetzt verantwortlich die Warner Communications in New York. Es bedurfte vieler Anläufe, bevor sich in dem wirren weltweiten Trubel um ATARI der Firmenjurist bei Warner, Martin Payson bereit fand, mir mein ausstehendes Gehalt und die angesparte Altersversorgung anzuweisen. Ich machte erste Anläufe, meine Zukunft neu zu gestalten, als mich ein Anruf meines Freundes Siggy Loch erreichte. Die Warner Home Video Inc. in Los Angeles suchte einen Vizepräsidenten für Europa, den mittleren Osten und Afrika mit Sitz in der Europazentrale in der Wardour Street in London.
Glorreiche Zeiten – ich merkte gar nicht, dass ich nach der Musikindustrie zum zweiten Mal die Geburt einer grandiosen neuen Zeit miterleben durfte.
Klaus Ollmann im August 2015
Ich nahm diese Herausforderung gerne an, hatte ich mich doch in den letzten 14 Jahren bei Warner sehr wohl gefühlt. Es stellte sich allerdings sehr schnell heraus, dass hier mit gezinkten Karten gespielt worden war. Bei der Versetzung meines Vorgängers in dieser Position in die Firmenzentrale nach Los Angeles hatte der CEO von Warner Bros. darauf gedrungen, dass diese Position in London neu zu besetzen sei.
Der internationale Vizepräsident bei Warner wollte dies nicht, aber anstatt es auszufechten, stellte er mich ein – mit dem festen Vorsatz, mir nach Ablauf des ersten Jahres wieder den Stuhl vor die Tür zu setzen. Entsprechend sah er sich weder in der Lage, mir Aufgaben zuzuweisen, noch irgendwelche Verantwortungen zu delegieren. Mein erster Auftrag war, auf einer wochenlangen Rundreise durch mein Verantwortungsgebiet die Welt von Europa über die Türkei und Israel bis hin zu Kenia und Südafrika zu bereisen. Ich fand das auf Dauer wenig witzig und als nach einigen Monaten mein Vorgänger bei einem Besuch in London mir diese Zusammenhänge enthüllte, war meine Zeit mit Warner endgültig abgelaufen.
Erneut kassierte ich eine veritable Abfindung und ging nach Hamburg zurück – sehr zur Freude meiner Tochter, die die letzten Monate in einem Internat verbringen musste. Wir waren wieder vereint und glücklich, die letzten Monate hatten mich nicht arm gemacht, die Zukunft lag weit offen und vielversprechend vor mir.


Jahre später besuchte ich mit meiner Ehefrau Dennis Groth, den ehemaligen Financial Officer von ATARI Inc Sunnyvale und verlebte einige sonnige, weinselige Tage. Er hatte sich mit seiner Abfindung ein Weingut in Napa Valley nördlich von San Francisco gekauft und lebte seinen Traum.
In der Rückschau stellte ich fest, dass mir als Bonus für meine Aktivitäten für ATARI in Deutschland über 4 Jahre lediglich 120.000 DM zugeflossen waren. Zwar nicht schlecht, aber ich wäre wohl besser bei WEA Musik geblieben. Nun war es zu spät – mit der Erfindung der CD und DVD ging es auch mit der Musikbranche steil bergab.
Was soll’s? Mir als Rentner bleiben aufregende und glorreiche Erinnerungen an eine Zeit, die wohl nicht nur mir, sondern auch meinem Historiker Guido Frank und – wie ich immer wieder voller Überraschung an den Reaktionen auf meine ATARI-Vergangenheit feststellen kann – sehr vielen alten ATARI-Fans immer unvergesslich bleiben wird.
Ist doch als Erbe gar nicht so schlecht.
Euer Klaus Ollmann
Dieser Beitrag gehört zur Atari-History-Reihe bei Videospielgeschichten.
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