RUN – Im Land der endlosen Listings

Avatar von André Eymann
Lesedauer: 3 Minuten

Immer wenn ich in meiner gemütlich-chaotischen Leseecke im nach Informationen zu klassischen Videospielthemen recherchiere, bleibe ich an ihr hängen. An ihren drei Buchstaben, die so schön in einem knalligen Magenta auf einem ebenso gelben Gelb gebettet sind. Die Zeitschrift RUN – ein Synonym der Heimcomputerzeit.

Denn „RUN“ war mit Sicherheit das wichtigste Kommando eines fleißigen BASIC-Listing-Abtippers, wenn sie oder er nach stundenlanger Arbeit der Texteingabe endlich das ersehnte Programm starten wollte. Und RUN war eben auch der Name einer deutschen Heimcomputerzeitschrift, die von 1984-1988 im CW-Verlag, München erschienen ist. Scheinbar hatte es die Redaktion auf einen sicheren Markt abgesehen. Der etwas sperrige Untertitel des Magazins „Unabhängiges Commodore Computermagazin“ zielte eindeutig auf die heimische Commodore-Gemeinde. Und diese war seinerzeit weit größer, als die Gemeinden anderer Heimcomputersysteme.

Ich selbst hatte unter dem Umstand gelitten, nicht zu dieser großen Anhängerschaft zu gehören. Denn meine Eltern schenkten mir einen ZX81, mit dem ich selbstverständlich auf dem Schulhof allein dagestanden hatte. Niemand wollte, besser noch konnte mit mir Programme tauschen. Und ich war gezwungen zu anderen Heimcomputerzeitschriften im Händlerregal zu greifen.

So entwickelte ich mich zum Stammleser von Multisystemzeitschriften wie Happy Computer oder HC Mein Home-Computer. Neben dem Import einiger Programm-Kassetten aus England, beschränkte sich mein Spielspaß auf das Abtippen von Listings, die in den soeben erwähnten Zeitschriften abgedruckt wurden. Aber nach einiger Zeit war auch ich im Besitz des legendären C64 und nun ebenfalls Käufer der etablierten Zeitschrift 64er sowie der hier besprochenen RUN. Ab sofort war ich auch nicht mehr zum Eingeben ellenlanger Programmcodezeilen verdammt.

Meist überschlug ich das Editorial von Manfred S. Schmidt und stieg direkt in die Titelthemen und Spieletests ein, die in der RUN abgedruckt waren. Dabei lag der Schwerpunkt der RUN keineswegs auf Spiele-Reviews. Auch die Szene, neue Hardware und natürlich und die damals obligatorischen Tips & Tricks für Heimcomputerbesitzer wurden behandelt. Sogenannte „Computerstorys“ beleuchteten Spezialthemen.

Die weit gefächerten Artikel gingen meist ziemlich in die Tiefe. Vgl. Titelthema: Flugsimulatoren (Bild: Foto, RUN 01/87)
Die weit gefächerten Artikel gingen meist ziemlich in die Tiefe. Vgl. Titelthema: Flugsimulatoren (Bild: Foto, RUN 01/87)

Dealer, Cracker, Listing-Tipper

So musste ich erst neulich schmunzeln, als ich den Beitrag „Vom Auto-Dealer zum Papa Cracker“ in der März Ausgabe von 1985 wiederfand. Dort ging es um Dr. Achim Becker, den damaligen Chef des 2014 aufgelösten Fachverlags Data Becker, und seinen Bruder Harald Becker. Die Story beschreibt ihren gemeinsamen Werdegang. Ihr Vater, Wilhelm Becker, war Autohändler. Und so baute Achim Becker die folgende Gedankenbrücke.

Mit Autos oder Computern zu handeln, macht keinen Unterschied … beide sind mittlerweile zu unverzichtbaren Bestandteilen des täglichen Lebens geworden, die viel Spaß bringen können.

Dr. Achim Becker (1985)
Dr. Achim Becker in einer RUN-Ausgabe von 1985.
Dr. Achim Becker in einer RUN-Ausgabe von 1985.

Etwas später im Text vergeht Becker der Spaß. Und zwar beim Thema „Raubkopierer“. Diesen habe er den Kampf angesagt und persönlich die „Schutzgemeinschaft Deutscher Softwarehersteller“ ins Leben gerufen. Denn: „wer braucht schon ein (Data Becker) Buch ohne die dazugehörige Diskette?“ Solche Details gingen seinerzeit an mir vorüber. Vermutlich habe ich beim Lesen der RUN andere Schwerpunkte gesetzt und mich mehr über den Spielebericht zum Grafikadventure Mask Of The Sun von Brøderbund gefreut, als über ernsthafte Texte zur deutschen Spieleindustrie.

Abschließend möchte ich noch ein Geheimnis gestehen: obwohl ich mit dem C64 und meinen Sicherheitskopien vom Schulhof softwareseitig gut ausgestattet war, habe ich immer wieder Listings aus der RUN Zeitschrift in meinen Brotkasten gehämmert. Warum nur? Eine gute Frage. Vielleicht lag es an meiner Sinclair-Vorprägung. Oder einfach nur daran, dass es selbst in den späten Ausgabe der RUN noch interessante Listings gab, deren digitale Entsprechungen ich nicht auf dem Schulhof fand. Diese Programme waren allerdings eher der Kategorie „Tools“ zuzuordnen. Ein komplexes Spiel wie „Crabyx“ mit 12 (!) Seiten Maschinencode hatte ich sicher nie abgetippt.

Dann doch lieber in den Diskettenkasten greifen.

Das Listung zu „Crabyx“. (Bild: Foto, RUN 12/87)
Das Listung zu „Crabyx“. (Bild: Foto, RUN 12/87)

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TobiAlexander StrellenMichael

Avatar von André Eymann

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8 Antworten zu „RUN – Im Land der endlosen Listings“

  1. Avatar von Heiko
    Heiko

    Zum Thema Listings kann ich auch etwas beitragen. Mitte der 80er war ich stolzer Besitzer eines Atari 800XE, mein Onkel hatte einen 800XL und dessen Arbeitskollege bei der Post ebenfalls. Nun haben wir drei uns zusammen getan und gemeinsam an einem Listing getippt, das damals – so viel ich noch weiß – in der ST-Zeitschrift abgedruckt war. Das schöne Programm nannte sich SAM (Screen-Aided-Management) und war eine Art grafische Benutzeroberfläche für den kleinen Atari. Hach, die 80er… 🙂

    André Eymann
  2. Avatar von Tobi

    Lieben Dank für deinen Beitrag, André. Haha, ich kann deine ersten Zeilen so gut nachvollziehen! Alle, wirklich alle um mich herum hatten damals einen C64, die einen mit Datasette, die anderen sogar mit Floppydrive. Dass mein Paps dann damals ausgerechnet einen CPC6128 gekauft hatte, nun ja. Das Gebrauchtpaket war wohl günstiger. Jedenfalls stand ich damit alleine auf dem Schulhof („cpwas?“), obwohl der dunkelgraue Kasten ja technisch eigentlich sogar mehr auf dem Kasten hatte, als die beige, weitverbreitete Konkurrenz.
    Mit Listings abtippen hatte ich es aber dann auch nicht und so genoss ich die paar Spiele, die wir hatten. Gut möglich, dass das den chaotischen Zuständen meiner Kindheit geschuldet ist, dass ich nicht die Ruhe dafür fand, geschweige denn die Ausdauer dafür hatte.
    Durch windige Geschäfte hatten wir zwischendurch auch mal ein paar Spiele mehr. Ja, die Raupkopien waren ein großes Thema und ich kann mich da wohl auch nicht verstecken. Von dem mysteriösen Doktor, der allen Raubkopierern den Kampf ansagte, hatte ich damals aber auch gehört oder gelesen, weiss ich nicht mehr. Auch gut möglich, dass es dabei um einen anderen Doktor als Herrn Becker ging. Danke für deinen Text und die Erinnerungen! 😘

    André EymannMichael
    1. Avatar von RainerLT

      Moin Tobi, vielleicht meintest Du den Anwalt Günter Freiherr von Gravenreuth. Der war berüchtigt, über
      Computer-Zeitschriften vorzugeben, er suche Leute um Spiele zu tauschen. Also Raubkopien. Gab
      sich auch gerne als Mädchen aus.
      Das war der übelste und bekannteste Geselle auf dem Gebiet.
      Irgendwann ist er dann selbst wegen Betrugsversuch zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
      Als er diese nicht antrat, hat man nach ihm gesucht. Hat sich erschossen.
      Wünsche ich nun auch keinem, aber es gab damals viele, die seinen Freitod sogar begrüßten.
      Das spricht leider Bände über ihn.

      MichaelTobiAndré Eymann
      1. Avatar von Tobi

        Das kann gut sein, bei Freiherr klingelt was bei mir. Aber das ist alles schon so lange her. Tragische Story, erst mit dem Finger auf andere zeigen und dann selbst.. naja. Lieben Dank für die Info und Ergänzung!

        RainerLTAndré EymannMichael
  3. Avatar von Uli
    Uli

    Also, das wichtigste Kommando nach stundenlangem Abtippen war natürlich SAVE (oder DSAVE auf meine, Commodore Plus/4 mit Diskettenlaufwerk). Schließlich hätte das mühsam abgetippte Programm ja abstürzen können 🙂 Und ja, ich hab auch seitenlange Hexwüsten abgetippt, denn im Gegensatz zum C64 gab es für den Plus/4 auf dem Schulhof so gut wie nix…

    André EymannMichaelTobi
  4. Avatar von Alexander Strellen

    Die Zeitschrift RUN habe ich leider nicht mehr kennengelernt. Als ich meinen C64 bekommen habe, war die Zeitschrift schon eingestellt worden. Schade. Listings zum abtippen kenne ich darum nur aus der Zeitschrift 64er. Es gab immer eine Auswahl von Programmen die in 20 Zeilen untergebracht sein mussten und ein Programm des Monats. Da waren immer spannende Sachen dabei.
    Das Listing von Crabyx ist purer Wahnsinn. Das alles abtippen und am Ende ist irgendwo ein Tippfehler versteckt. Da konnte man vor dem Computer schon mal die Kontrolle verlieren. Zum Glück gab es Tools, die beim Eintippen die Suche nach Fehlern durch eine Checksumme unterstützen.
    Ich hab die Listings immer genau studiert. Ich war der Meinung, ich könnte dadurch meine eigenen Fähigkeiten erweitern. Da aber bei den 20-Zeilern hauptsächlich Peek&Pokes benutzt wurden, hatte ich mit dieser Methode nicht so viel Erfolg. Listings in Maschinensprache waren aber Latein & Griechisch in alten Dialekten. Für mich unverständlich.
    Was aber toll war: In der 64er gab es immer Kurse wo bestimmte Projekte oder Probleme vorgestellt wurden. Dann wurde gezeigt, wie man das mit Programmierung lösen konnte. Sehr spannend.

    TobiAndré EymannMichael
  5. Avatar von Michael

    Ha! Das ist eine wirklich schöne Anekdote mit Data Becker. Es gab Bücher mit Disketten ;)? Ich habe selbst noch einige in meinem Besitz. Bücher, meine ich…
    Listings habe ich damals auch einige abgetippt. Zwar gab’s zu meiner favorisierten Zeitschrift damals auch eine sogenannte Databox (eine Datasette, die alle Listings enthielt). Die kostete natürlich aber Extra. Da hat man dann schon lieber mal in die Tasten gekloppt und die Listings abgetippt oder hat seinen Bruder gefragt, ob er nicht evtl. Lust dazu hat 😉

    TobiAndré Eymann
  6. Avatar von Jonas
    Jonas

    Mein Interesse an den Listings kam glaube ich von meiner Vorstellungskraft. Oft, wie in deinem Beispiel oben, gab es keine Screenshots dazu, sondern eine mehr oder minder zutreffende Beschreibung. Und diese befeuerte dann oft meine Fantasie, so dass ich wissen wollte, was das denn für ein Spiel war. Leider war man oft etwas enttäuscht. Das lag sicher auch daran, dass ich erst ab 1987 bewusst mit Computern aktiv war, und zu der Zeit verglich ich dann die Spiele schon zwangsweise mit der 16bit Generation. Naja, und da konnten Listings halt nicht mit einem Defender of the Crown auf Amiga oder ST mithalten.

    TobiAndré EymannMichael