Winter 1983/84. Für die Schulaufgaben unverzichtbar, zog der rundliche C64 in die Dorfstraße 42 ein; zu uns, in das Haus der Familie Müller. Kurz darauf folgte ein ebenfalls beigefarbener, jedoch eckiger Kasten, auf dem links Commodore und rechts 1541 stand.
Natürlich auch für die Schule. Schließlich gesellte sich der ausgediente 3-Zentner schwere Nordmende-Röhrenfernseher dazu. Ein tolles Gespann. Ich saß selig davor, konnte gerade so über den Tisch linsen… und habe damit natürlich meine Schulaufgaben gemacht. Genauso wie mein Bruder Thomas. Was auch sonst?
Der C64 hat mich wie kein anderer Heimcomputer geprägt. Und das, obwohl er nach nur recht kurzer Zeit von dem Amiga 1000 abgelöst worden ist. Die Floppy habe ich – nach heftigen Bitten und Drängen – an einen guten Freund verkauft. Den C64 aber nicht!
Irgendwann – im Jahr 1987 müsste es gewesen sein – ist das Netzteil abgeraucht. Seit diesem schwarzen Tag hat mein C64 kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben…
Zeitsprung. Sommer 2016. Fast 30 Jahre später. Ich stöbere im Netz nach Hoffnung gebenden Neuigkeiten zu Half-Life 3. Leider ohne Erfolg. Wieder einmal. Aber dann passiert etwas Unerwartetes: Auf der Suche stolpere ich über den Artikel Half-Life 2 – Die Faszination von City 17 und bleibe daran kleben. Das trifft es nicht. Ich bin wie gefangen, ja regelrecht verzaubert. Ich lese ihn gleich zweimal.
Ein emotionaler Artikel, dem man die Begeisterung für HL² anmerkt. Sehr tiefschürfend, voller Details, die von einer feinen Beobachtungsgabe zeugen. Dabei beschreibt der Text mit keiner Silbe das Spiel, sondern ausschließlich die Spielwelt. Aber wie! Half-Life 3 war vergessen. „Wer schreibt denn solche Artikel?“ frage ich mich, immer noch schwer beeindruckt. Der Autor ist ein gewisser André Eymann. Nie gehört. Die Seite nennt sich Videospielgeschichten.de und war mir bis dato völlig unbekannt.
Neugierig Interessiert wie ich bin, schaue ich mich auf der Seite um. Die beiden Artikel Wie YouTube zu meiner Spielekonsole wurde und Habe ich das Spielen verlernt? von Daniel Wagner lese ich als nächstes und stimme innerlich bei jedem Satz zu. Ja, das geht mir ganz genauso. Und dann sehe ich mir die Kommentare an. Alle 30 (!). Und was für welche, Wow. Rund um den Artikel hat sich eine lebendige Diskussion entwickelt. Spätestens jetzt wird mir klar: Hier bin ich richtig!
Die nächsten Tage bin ich beschäftigt. Ich lese. Die nächsten Beiträge, die ich gelesen habe und die sich mir eingeprägt haben sind:
- Klein, aber fein – Der ZX81 von Sinclair von Jens Sommerfeld
- Going 8-bit – The Power of Love von Stefan Vogt
- Faszination AMIGA von Stephan Ricken
- Erinnerungen der Generation C64 von Toddy
Die muss man allesamt einfach gelesen haben. Aber das sind ja noch so viel mehr. Das hat schon eine Weile gedauert, mein jahrelanges Versäumnis nachzuholen.
Schnell habe ich kapiert: Die VSG ist mehr als nur ein Blog. Mit der VSG können sich auch die anderen Blogs gut identifizieren. Es ist die große Klammer, der gemeinsame Nenner, der die Blogs und Leser zusammenführt. Ein Ort der Begegnung, der zum Verweilen einlädt. Wie bei einem gemütlichen Klassentreffen werden Erinnerungen, Anekdoten und Gedanken ausgetauscht. Hier wird Erlebtes neu erlebt und mit der Welt geteilt, denn die Gemeinschaft steht hier im Vordergrund.
Ohne Übertreibung kann ich sagen, dass die zufällige Entdeckung der VSG mein Leben verändert hat. Das betraf zunächst „nur“ mein Surfverhalten. Die VSG wurde zur festen Anlaufstation. Mehr noch; sie wurde schnell zu meiner Lieblings-Webseite.
Aber da ist noch etwas anderes, ja bemerkenswertes passiert. Angeregt durch die Artikel von Jens Sommerfeld, Stefan Vogt, Stephan Ricken und Toddy hatte ich plötzlich Lust, meine eigene Videospielgeschichte aufzuschreiben. Darüber staune ich selbst am meisten. Heute noch.
Ich schreibe ja sonst nur staubtrockene Prüfungsberichte oder kleine Einkaufszettel für den EDEKA-Markt Finis bei uns im Dorf. Und so fing ich also an zu schreiben … Der Text wurde länger und länger. Ständig fielen mir weitere schöne Momente mit C64, Amiga & Co. ein. Auch mein Bruder Thomas wusste noch so einiges zu berichten. Irgendwann war es dann so weit. Der Festplattenspeicher war voll! Nein, Quatsch. Der Text war fertig. Ich nahm mir ein Herz und schrieb an die VSG folgende eMail:
25.10.2016 um 17:59 Uhr
Von: Ferdi
An: André Eymann
Hallo André,
ich hoffe es ist ok für Dich, wenn ich André zu Dir sage. Mein Name ist Ferdinand Müller, Jahrgang 1969 aus der Nähe von Kassel. Du darfst im Gegenzug Ferdi zu mir sagen.
Ich bin leider erst kürzlich auf Deine wunderbare Seite gestoßen, obwohl ich mich seit Jahren für diese Thematik interessiere. Ich muss sagen, Deine Seite ist eine wahre Fundgrube für mich. Ein Schatz, den ich da gefunden habe.
Die Beiträge über ganz persönliche Erfahrungen und Gedanken zur Spielezeit der 80er und 90er finde ich faszinierend. Sie haben mich dazu animiert, meine eigene, ganz persönliche Zeitreise durch die Videospielgeschichte festzuhalten und dabei die ganz besonderen Momente zu beschreiben, die ich dabei durchlebt habe.
Den Text habe ich in erster Linie für mich selbst geschrieben, um die Zeit noch einmal Revue passieren zu lassen und um sie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Der Beitrag ist noch nicht ganz fertig. Ich würde Dir gerne den Entwurf überlassen und Deine Meinung dazu hören.
Wenn der Beitrag Dir nicht gefällt, oder thematisch nicht auf die Seite passt, sag es ruhig gerade heraus. Das ist völlig in Ordnung und ich werde es Dir keinesfalls übelnehmen.
Viele Grüße
Ferdi
Die Antwort ließ – für mich sehr überraschend – nicht lange auf sich warten. Keine drei Stunden später las ich folgende Nachricht:
25.10.2016 um 20:22 Uhr
Von: André Eymann
An: Ferdi
Hallo Ferdi,
vielen Dank für Deine Nachricht über die ich mich sehr gefreut habe 🙂
Noch mehr freut es mich natürlich, dass Du Dich auf meiner kleinen Webseite so „zuhause“ fühlen kannst. Das ist ein tolles Lob. Genau deshalb habe ich das Projekt ja auch seinerzeit ins Leben gerufen. Um etwas Gemeinsames zu teilen und Erinnerungen und Momente zu erhalten.
Gern kannst Du mir Deinen Entwurf zukommen lassen. Ich lese ihn in Ruhe und melde mich dann wieder bei Dir. Momentan bin ich gerade dabei den „Umzug“ der Seite auf eine neue Plattform vorzubereiten. Alles wird alles bleiben wie es ist, nur noch besser 😉
Schönen Abend noch
André
Nach dieser Nachricht hatte ich gleich ein gutes Gefühl. Meinen Text habe ich ohne Zögern am folgenden Tag an André geschickt und war auf die Reaktion gespannt wie ein Flitzebogen. Die Antwort lies wieder nicht lange auf sich warten. Am nächsten Morgen lag folgende Nachricht im Postfach:
27.10.2016 um 09:18 Uhr
Von: André Eymann
An: Ferdi
Hallo Ferdi,
ich habe Deinen Text gestern mehrmals gelesen.
Er ist großartig! Ich habe mehr als einmal denken können „Du bist ich“. Wirklich, es sind so viele sich überschneidende Erinnerungen zu Spielerlebnissen enthalten, dass ich große Teile meiner eigenen Kindheit/Jugend nachlas. Artillery Duel (!), Unreal (!) und sogar das gleiche Lieblingsspiel (Half-Life 2) teilen wird. Es ist frappierend, welche Ähnlichkeiten es doch gibt.
Außerdem finde ich Deinen Artikel wunderbar authentisch und lebendig. Er liest sich einfach wie geschnitten Brot. Und passt perfekt zu meiner Seite. Ich bin sehr glücklich, dass Du an mich gedacht hast 🙂
Dein Text wird sicher sehr beliebt auf VSG werden…
Viele Grüße
André
Und wieder war ich völlig baff. Klar, dass ich mich wie ein Schnitzel gefreut habe. Und was war das für eine Erleichterung. Bis zur Veröffentlichung verging jedoch noch ein Weilchen, da die VSG mit dem Relaunch auf WordPress alle Hände voll zu tun hatte. Aber das hat mich nicht gestört. Der Text war ja schließlich von oberster Stelle abgesegnet.
Wie ich zu Twitter kam
André hat mich gebeten für das Autorenprofil ein Twitter-Account zu hinterlegen. Twitter-Account? Auch das noch! Mit den sozialen Netzwerken hatte ich bisher wenig zu schaffen. Facebook ist nicht mein Ding. Twitter war mir bis dahin völlig fremd und hat mich auch nicht die Bohne interessiert. Schnell habe ich jedoch gemerkt, dass Twitter so gar nicht mit Facebook zu vergleichen ist.
Erst durch Twitter habe ich die vielen Blogs rund um Retro und Gaming kennen und schätzen gelernt. Und die vielen tollen Menschen dahinter. Twitter vernetzt die Blogs perfekt.
Schon erstaunlich, dass man Gleichgesinnte oft nur im Netz findet. Und dass Freunde und Bekannte, ja selbst die eigene Frau oft nicht nachvollziehen können, was man damals so erlebt hat. Da erntet man bestenfalls Kenntnisnahme, schlimmstenfalls Unverständnis. Es ist einem Außenstehenden gegenüber nahezu unmöglich, die Gefühle zu beschreiben die man beim Spielen der Videospielklassiker durchlebt hat. Das versteht wohl nur, wer diese Erfahrungen selbst gemacht hat.
Der VSG-Community muss man das nicht erklären. Auch nicht den vielen Retro-Blogs.
Erst durch Twitter und durch die Blogs habe ich erfahren, wie viele begeisterte Retro-Gamer noch ihre alten Maschinen hegen und pflegen, daran rumbasteln und darauf zocken. Damit hatte ich nun gar nicht gerechnet. Überrascht war ich auch darüber, wie gut die Community untereinander vernetzt ist und erfreut über die gegenseitige Hilfsbereitschaft sowie den freundschaftlichen Umgang miteinander. Das ist also aus der Generation 8-Bit geworden. Atari, Commodore, Sinclair usw. haben offensichtlich nicht geschadet. Sehr schön. Klar, es sind auch Jüngere darunter, und auch das ist schön.
Wie es zur Wiederbelebung des C64 kam
Dabei wurde mir aber auch schmerzhaft bewusst, dass mein eigener C64 ein trauriges Dasein fristet, so ohne Netzteil und seit drei Jahrzehnten ohne Lebenszeichen. Natürlich gibt es viele gute Emulatoren und das ist auch gut so. Aber das ist doch mein Schatz mit Herz und Seele, der da oben seit Jahren im Regal vor sich hin staubt. Das musste sich ändern!
Nicht ganz unschuldig sind übrigens die beiden Stephan’s / Stefan’s. Die haben mir mit ihren wirklich tollen Blogs die Nase lang gemacht. Wie damals im Karstadt, als die Heimcomputer wie Kunstwerke auf Hochglanzregalen ausgestellt waren. Nur noch viel schlimmer, denn die konnte ich ja wenigsten anfassen. Hier drücke ich mir die Nase vor dem Bildschirm platt, wenn ich die Heimcomputer-Gallerie der beiden sehe – und was die mit den Kisten so alles anstellen.
Ganz klar, der C64 muss wieder zum Leben erweckt werden. Die 30-jährige Pause soll nun ein Ende haben. Die Zeit ist reif. Vor allem will ich wissen, ob der Brotkasten überhaupt noch läuft. Ich weiß noch, dass wir daran rumgebastelt haben, um die 1541 aus ihrem seriellen Tiefschlaf zu wecken.
Seinerzeit hatten viele aus dem Freundeskreis einen C64 und es hatte sich herumgesprochen, dass ein Hobby-Elektroniker aus dem Nachbardorf die C64 umgerüstet hat, indem er einen Chip eingelötet hat, um die 1541 anschließend mit einem parallelen Kabel auf Touren zu bringen. Der Eingriff am offenen Herzen geschah ziemlich sicher im Jahr 1985. Denn bei dem besagten Bastler haben wir auch Frank Bruno’s Boxing kopiert, das gerade brandneu war und in diesem Jahr erschienen ist. Ein klasse Spiel übrigens.
Wenn der C64 noch laufen sollte, wird das auf jeden Fall gespielt. Hoffentlich läuft er noch. Aber selbst wenn, würde er mich ganz sicher nicht mit dem klassischen hellblau/blauen Startbildschirm begrüßen, denn der war nach dem Eingriff schwarz-rot, daran erinnere ich mich noch. Auch die Funktionstasten waren neu belegt. Womit weiß ich nicht mehr. Womöglich LOAD „*“,8,1 oder so was.
Klar hätte ich mir einfach ein Netzteil kaufen können, um zu sehen, ob der C64 noch funktioniert. Aber ohne 1541 und vor allem ohne meine Diskettensammlung (beides hatte ich ja vor 30 Jahren abgegeben) fehlten die Spiele und die Möglichkeit, sie ins RAM zu laden.
Also suchte ich nach Alternativen für die 1541. Nein, die Datasette ist keine! Eine Oiginal-1541 aber auch nicht; ohne meine Diskettensammlung. In den letzten 30 Jahren ist viel passiert. Findige Tüftler haben eine SD-Karten-Floppy gebastelt, die es ermöglicht, eine SD-Karte als Speicher für C64-Programme und D64-Images zu verwenden. Manche Erweiterungen gehen sogar noch einen Schritt weiter, emulieren die 1541 und können weit mehr. Mir reicht aber vorerst der SD-Floppy-Ersatz. Ich kann ja später immer noch den einen oder anderen Stefan / Stephan fragen. Die kennen sich damit bestens aus.
Der kleine Schupser der noch fehlte
Manchmal bedarf es nur einer Klitzekleinigkeit, ein winziger Impuls, ein Flügelschlag eines Schmetterlings um Großes zu bewirken – oder einfach nur um in die Gänge zu kommen, so wie bei mir.
Dieses Ereignis geschah am 21.07.2017 um 12:55 auf Twitter.
Das ist es. Das SD2IEC ist genau was ich suche. Es ist obendrein auch noch in einem schicken Gehäuse verpackt. Natürlich hatte ich Interesse! Das war sozusagen die Initialzündung. Der Stupser zur rechten Zeit, der noch gefehlt hatte. Also schrieb ich ohne zu zögern:
Mein erster Gedanke war: „Der Stephan ist ein Engel“. Mein zweiter Gedanke war: „Das Netzteil und das TV-Kabel geschenkt? Das kann ich doch nicht annehmen“. Der dritte Gedanke: „Doch!“.
Ich glaube der Stephan freut sich mit mir, wenn der C64 wieder läuft und er einen Teil dazu beitragen konnte. Würde ich ihm für die Teile Geld anbieten, würde er es a) nicht annehmen wollen und b) würde ich ihm die Freude damit ein Stück weit kaputt machen. Und mir auch. Ich denke, er freut sich mehr darüber, wenn ich ihm ein Bild von H.E.R.O. auf meinem C64 schicke und ihm bei einem realen Treffen – das bestimmt eintreten wird – ein, zwei Bierchen ausgeben werde. Aber dennoch: An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an unseren Stephan. Das war nicht selbstverständlich!
Das große Zittern
Am 25.07.2017 war es dann endlich so weit. Ein Paket vom @brotkastenblog für den Brotkasten ist eingetroffen. Sorgfältig verpackt natürlich; sind ja schließlich lebenswichtige Teile drin. Im wahrsten Sinne des Wortes. Pure Lebens-Energie für den Brotkasten.
Zuvor habe ich einen Blick ins Innere meines C64 riskiert.
Was zum Teufel haben wir dir 1985 nur angetan? Oh je, das sieht ja abenteuerlich aus. Profis waren da sicher nicht am Werk, soviel steht fest. Ich mache den Deckel am besten schnell wieder zu und rühre da bloß nichts an. Die Konstruktion sieht zwar abenteuerlich aus, hat aber funktioniert. Sie hat übrigens die 1541 um den Faktor 12 beschleunigt. Kein Scherz. Es hat nur in kurzer Folge Klack, Klack, Klack gemacht und das Spiel war geladen.
So. Fehlt noch der Bildschirm. Zur Auswahl stehen ein Röhrenfernseher, Marke Hanseatic, mit 68 cm Bildschirmdiagonale und ein Flachbildschirm Dyon Epsilon 25 (Zoll). Letzterer ist ein paar Kilo leichter, was die Entscheidung… erleichtert.
Pssst, nicht verraten: Ich habe mir gerade eben heimlich den Dyon aus dem Zimmer meiner Tochter stibitzt. Der hat sowie genug von der Wii und langweiligen USA-Arztserien. Der sucht neuen Anschluss und bringt dafür die allerbesten Voraussetzungen mit.
Alles klar, jetzt wird es ernst. Zuerst schließe ich den C64 an den Dyon an. Der Dyon läuft schon mal. Kanalsuche läuft… Jetzt das Netzteil. Passt. Die Spannung steigt – auch im C64? Gleich werde ich es wissen. Rechts unten ist der ON-Schalter, soviel weiß ich noch. Ich drücke ihn runter und…
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