Vergessen wir für die Lesezeit dieser Geschichte das Internet und Errungenschaften wie das Online-Gaming. Wir befinden uns in den 1980er Jahren und stellen uns vor, dass wir zu zweit, gemeinsam an einem Heimcomputer, ein Spiel namens Artillery Duel spielen.
Artillery was?
Schlägt man unter dem Begriff Artillerieduell in gängigen Lexika nach, gerät man schnell in ein Kreuzfeuer des militärischen Sprachgebrauchs. Von „Vernichtung“ oder zumindest einem „erzwungenen Stellungswechsel des Gegners“ ist dort die Rede. Da der genaue Standort des Feindes unbekannt ist, muss man sich an dessen Stellung – bis zum Sieg – „heranschießen“.
Spätestens jetzt klingeln bei Retrogaming-Veteranen die Ohren. Denn genau diese Situation brachte seinerzeit der C64-Klassiker Artillery Duel auf die heimischen Bildröhren.
Die Ur-Version Artillery wurde von Mike Forman in BASIC programmiert und erschien 1976 mit einer textbasierten Darstellung. Eine Weiterentwicklung (War 3) von 1977 enthielt bereits wichtige Einflussfaktoren wie Entfernung, Schusskraft oder Schusswinkel. Den ersten grafischen Grundstein für das spätere Artillery Duel legte 1980 das Apple-II-Spiel Artillery. Neben der optisch ansprechenden Visualisierung führte die in Applesoft BASIC entwickelte Fassung zusätzlich Wind als Einflussfaktor ein. Nun waren alle wesentlichen Spielelemente der rundenbasierten Action vorhanden.
Die ersten Konsolen-Versionen, die Artillery Duel zu mehr Bekanntheit verhalfen, erschienen 1982 auf Ballys Astrocade und dem Magnavox Odyssey². Ab jetzt hatte das Spiel eine fast reale Darstellung der Spielumgebung. Die bereits definierten Einflussfaktoren fügten sich nun in ein optisches Gesamtsetting ein, das auch heute noch das „Artillery Game“ definiert.
Übrigens: Von der Frühzeit der Videospiele bis heute können viele Spielkonzepte auf die grundlegenden Elemente von Pong zurückgeführt werden: zwei Spieler, eine Grenze und ein mit Punkten messbares Spielziel. Pong von 1972 legte auch den Aufbau von Artillery Duel fest.
Wir hatten ja nichts
Wo spielen, wenn man selbst kein Spielsystem besitzt? Die Antwort: dort, wo es möglich ist! Also rauf aufs Fahrrad und ab zum besten Freund geradelt. Es gibt ja immer jemanden, der ein Atari 2600, einen Commodore 64 oder gar einen Amiga hat. In Ermangelung der eigenen technischen Ausstattung waren wir als Videospiel-Kids der 1980er Jahre gezwungen, den Kontakt zu anderen Kindern zu suchen und unseren Standort zu wechseln.
So sitzen wir wenige Minuten später gemeinsam beim Nachbarn vor dem Brotkasten und laden Artillery Duel von Diskette. Schnell noch die Ranks (Captain!) eingestellt und schon baut sich die Bergwelt vor uns auf. Vögel zwitschern und wir fiebern einer günstigen Stellung unseres eigenen Geschützes entgegen. Ab jetzt heißt es: nur einer kann gewinnen!
Artillery Duel ist ein perfektes Beispiel für die frühe Ära des „zusammen Zockens“. Das Spiel ist überschaubar, hat eine flache Lernkurve und verspricht dennoch viele Stunden der gemeinsamen Spielfreude.
Die Magie der Zweisamkeit
Ich bin sicher, dass mir viele Spieler zustimmen werden: Das gemeinsame Spielen dieser Zeit hatte etwas Magisches. Die Spannung und Leidenschaft, mit der wir damals vor den Konsolen oder Heimcomputern um Punkte kämpften, war von einer ganz besonderen Atmosphäre geprägt. Wie könnte man sonst erklären, dass uns ein Spielkonzept wie Artillery Duel stundenlang gefesselt hat?
Schenkelklopfen, Haare raufen und Frustschreie waren die Zutaten des sozialen Duells. Man spielte nicht gegen den Computer, sondern gegen seinen Mitspieler. Jede Reaktion des anderen war durch die Körpersprache lesbar. Das Verzweifeln, die Unsicherheit, die Freude. So wurden Zwei-Spieler-Spiele wie The Way of the Exploding Fist, Bruce Lee oder Wizard of Wor zu Institutionen ihrer Zeit.
Die Grenze zwischen dem kooperativen und dem unkooperativen Spiel verschwamm dabei gelegentlich. Aber auch das war Teil des gemeinsamen Spiels. Zufallstreffer des Gegners in Wizard of Wor beispielsweise wurden dann mit kurzen Sätzen wie „Sorry, ich kann nichts dafür, wenn Du im Weg stehst!“ quittiert.
Sogar wenn nur einer spielte, gab es eine Zweisamkeit. So wurde dem anderen einfach beim Spielen zugeschaut. Das gemeinsame Lösen von Aufgaben führte zu einer geteilten Spielerfahrung. Das klappte nicht nur bei den in diesem Zusammenhang oft zitierten Adventures (bspw. The Secret of Monkey Island), sondern auch bei nahezu jedem anderen Videospiel dieser Epoche.
Kooperativ zum Ziel
In den 1990er und 2000er Jahren durchlebten wir dann den Zenit der LAN-Partys. Ego-Shooter wie Doom, Quake, Unreal Tournament oder Counter-Strike bündelten das gemeinsame Erlebnis im heimischen Wohnzimmer oder in großen Hallen. Auch hier war die soziale Magie wieder der Treibstoff der Motivation.
Nur allzu gern erinnere ich mich an den LAN-Coop-Modus von Rune. Das Hack-and-Slay-Walhalla-Spiel von Human Head Studios hatte uns im Jahre 2000 wochenlang an unsere PCs gefesselt. Gemeinsam sind wir in die nordische Mythenwelt abgetaucht und haben uns gegenseitig beim Durchstreifen von Höhlen und Eiswelten den Rücken freigehalten. Das Zusammenarbeiten und Zusammenhalten in dieser virtuellen Welt hat uns großen Spaß gemacht und die Erinnerungen daran lassen sich bis heute mühelos abrufen.
Egal ob im lokalen Multiplayer gegeneinander oder im Coop miteinander: das gemeinsame Spielen an einem Ort hat uns berührt und immer wieder zusammengeführt.
Zu Zeiten von Artillery Duel gab es noch keine Netzwerke und somit gab es für uns keine andere Möglichkeit, als gemeinsam an einem System zu spielen. Das Aufkommen der lokalen Netzwerke ermöglichte uns dann Multiplayer-LAN-Spiele. Auch hier waren wir wieder in einer lokalen sozialen Struktur.
Ein unwiederbringlicher Verlust
Erst mit dem Internet erschienen MMOGs (Massively Multiplayer Online Games). Fortan konnten Spieler online mit oder gegen weit entfernte Menschen spielen. Leider sind LAN- oder Coop-Spiele – vor allen Dingen in der Konsolenwelt – zur Ausnahme geworden. Nur wenige Marken wie Unreal Tournament (Epic) oder Modern Warfare (Activision) pflegen diese Spielmodi noch.
Mit dem Verlust der LAN-Spiele verlieren wir in unserer Spielkultur eine besondere soziale Intimität, die Online-Games nicht ersetzen können. Kein TeamSpeak kann die Präsenz des Menschen neben uns ersetzen und kein Skype die unmittelbare Reaktion eines LAN-Mitspielers imitieren.
Gleichwohl setzt die die Spieleindustrie weiter auf die kommerzielle Optimierung von Online-Spielen, die natürlich für die Hersteller weit mehr Profit bedeuten. Der Schaden für uns Spieler aber ist unwiederbringlich. So bleibt nur die Hoffnung, dass die Hersteller den LAN-Modus wieder als einen Wert entdecken, den es – aller monetären Interessen zum Trotz – zu bewahren gilt.
Wie ist es bei Dir? Kannst Du Dich auch noch an Coop- oder LAN-Erlebnisse erinnern? Welchen Stellenwert hatten oder haben diese Spielmodi für Dich? Welche Spiele kommen Dir dabei in den Sinn? Vermisst Du diese Zeit?
Quellen und Verweise
- List of cooperative video games (Wikipedia)
- Gaming has left the LAN party behind (Ben Kuchera für Polygon)
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